Karlsruher Forscher lösen Mikroben-WG auf
Mikroorganismen sind winzig klein, bergen aber enormes Potenzial – nicht zuletzt für die Medizin
KARLSRUHE (dpa) - Dieses Forschungsprojekt hat etwas Märchenhaftes: Frei nach dem AschenputtelPrinzip „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“werden am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Mikroben sortiert. All jene, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessieren, haben sie mittels Fluoreszenz zum Leuchten gebracht. Mit dem bloßen Auge ist das nicht mal dann erkennbar, wenn das Licht im Labor ausgeschaltet wird. Aber unterm Mikroskop entstehen Aufnahmen, auf denen die Mikroorganismen in Pink, Grün oder auch mal bläulich erscheinen.
Mikroben sind winzig kleine Lebewesen wie Bakterien. Für die Forschung sind sie interessant, weil einige antivirale oder antibiotische Wirkstoffe produzieren können, wie Professorin Anne-Kristin Kaster vom KIT-Institut für biologische Grenzflächen 5 erklärt. Andere vermögen zum Beispiel beim Stoffwechsel Elektronen abzugeben und Strom zu erzeugen. Und sie sind quasi überall: Allein 200 000 Arten leben mit uns in unseren vier Wänden, wie Rob Dunn in seinem Buch „Nie allein zu Haus“schreibt. Der sogenannte Biofilm in einem durchschnittlichen amerikanischen Duschkopf sei bis zu einen halben Millimeter dick und enthalte viele Billionen Einzelorganismen.
Welches Potenzial manche der Winzlinge haben, welch biotechnologische Anwendungsmöglichkeiten sie bieten, weiß man häufig noch gar nicht. Denn nur rund ein Prozent aller auf der Welt vorkommenden Mikroorganismen kann bisher im Labor kultiviert und untersucht werden. Das seien zwar immerhin fast 50 000 Mikroorganismen, sagt Kaster. Weil aber 99 Prozent nicht kultivierbar sind, ist mitunter auch von „Dunkler Materie“in der Welt der Mikroorganismen die Rede.
Das liegt zum einen daran, dass sie oftmals in extremen Umgebungen wie tief am Meeresboden vorkommen. Zum anderen aber auch daran, dass sie in der Natur in der Regel in Gemeinschaften auftauchen – in Biofilmen. Und genau hier setzen die Karlsruher mit Kollegen aus Tübingen, Freiburg und Hamburg an: Sie wollen die Mikroben gewissermaßen aus der WG holen und ins Eigenheim umsiedeln.
Dafür hat Kersten Rabe mit seinem Team vom KIT-Institut für biologische Grenzflächen 1 eine Art Sieb-Struktur entwickelt. Sie ist der natürlichen Matrix nachempfunden, die Mikroorganismen in der Natur umgibt und von diesen selbst produziert wird. Davon abgeleitet hat das Projekt auch seinen Namen: „Micromatrix“.
„Bakterien brauchen physikalischen Kontakt“, erklärt er. Auf der Gitterstruktur könnten sie anhaften und wachsen. Räumlich werden sie getrennt, aber ein Austausch von Botenstoffen, Enzymen oder Ähnlichem ist weiter möglich. Das ist wichtig, weil sie manche Wirkstoffe zum Beispiel nur dann produzieren, wenn sie sie etwa zur Abwehr brauchen.
Für das Umsiedeln müssen die Mikroorganismen sortiert werden. Dafür werden sie zum Leuchten gebracht, indem sie innen oder außen einen fluoreszierenden Marker verpasst bekommen. Ein heikles Unterfangen, wie Kaster erklärt. „Die Zellen dürfen während des Vorgangs nicht platzen.“Maschinell werden die Mikroorganismen sortiert. Für die Anaerobier, die nicht oder nur kurz mit Sauerstoff in Kontakt geraten dürfen, geschieht das in einem mit Stickstoff gefluteten Zelt.
Wie wichtig der Politik die Sache ist, verdeutlichen nicht nur 1,5 Millionen Euro, mit denen das Bundesforschungsministerium das Projekt „Micromatrix“für zunächst drei Jahre fördert. Es ist auch aus einem Workshop hervorgegangen, den das Ministerium im Jahr 2019 veranstaltet hat. In einem Wettstreit sollten Naturwissenschaftler, Ingenieure aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Kreative anderer Disziplinen Kultivierungsverfahren für Bakterien entwickeln.
Ein anderes Projekt hieraus nennt sich „Multikulti“. Unter Leitung des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres an der Uni Oldenburg entwickeln Forschende aus ganz Deutschland einen Bioreaktor, der die natürlichen Lebensbedingungen von Mikroben simulieren soll. Anders als in Karlsruhe bleiben die Mikroorganismen
hier also erst mal in der Gemeinschaft. Später sollen den Angaben zufolge auch einzelne Arten isoliert werden. Langfristiges Ziel sei ein automatisiertes System, das mit künstlicher Intelligenz gesteuert wird.
Die „Micromatrix“-Technologie soll breit anwendbar sein, sodass künftig auch andere Wissenschaftler möglichst einfach mit ihren Mikroben forschen können. Das Ziel, so formuliert es Kaster, seien Erkenntnisse über mögliche Einsätze von Mikroben, etwa um Medikamente zu entwickeln, Schadstoffe und Plastik abzubauen oder Wasserstoff zu produzieren. Das alles mit einer nachgeahmten Umwelt.
Literatur: Rob Dunn: Nie allein zu Haus. Von Mikroben über Tausendfüßer und Höhlenschrecken bis zu Honigbienen – die Naturgeschichte unserer Häuser. Springer Verlag, 290 Seiten, 22,99 Euro.
ISBN 978-3-662-61585-0.