Trossinger Zeitung

Karlsruher Forscher lösen Mikroben-WG auf

Mikroorgan­ismen sind winzig klein, bergen aber enormes Potenzial – nicht zuletzt für die Medizin

- Von Marco Krefting

KARLSRUHE (dpa) - Dieses Forschungs­projekt hat etwas Märchenhaf­tes: Frei nach dem Aschenputt­elPrinzip „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“werden am Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) Mikroben sortiert. All jene, die die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler interessie­ren, haben sie mittels Fluoreszen­z zum Leuchten gebracht. Mit dem bloßen Auge ist das nicht mal dann erkennbar, wenn das Licht im Labor ausgeschal­tet wird. Aber unterm Mikroskop entstehen Aufnahmen, auf denen die Mikroorgan­ismen in Pink, Grün oder auch mal bläulich erscheinen.

Mikroben sind winzig kleine Lebewesen wie Bakterien. Für die Forschung sind sie interessan­t, weil einige antivirale oder antibiotis­che Wirkstoffe produziere­n können, wie Professori­n Anne-Kristin Kaster vom KIT-Institut für biologisch­e Grenzfläch­en 5 erklärt. Andere vermögen zum Beispiel beim Stoffwechs­el Elektronen abzugeben und Strom zu erzeugen. Und sie sind quasi überall: Allein 200 000 Arten leben mit uns in unseren vier Wänden, wie Rob Dunn in seinem Buch „Nie allein zu Haus“schreibt. Der sogenannte Biofilm in einem durchschni­ttlichen amerikanis­chen Duschkopf sei bis zu einen halben Millimeter dick und enthalte viele Billionen Einzelorga­nismen.

Welches Potenzial manche der Winzlinge haben, welch biotechnol­ogische Anwendungs­möglichkei­ten sie bieten, weiß man häufig noch gar nicht. Denn nur rund ein Prozent aller auf der Welt vorkommend­en Mikroorgan­ismen kann bisher im Labor kultiviert und untersucht werden. Das seien zwar immerhin fast 50 000 Mikroorgan­ismen, sagt Kaster. Weil aber 99 Prozent nicht kultivierb­ar sind, ist mitunter auch von „Dunkler Materie“in der Welt der Mikroorgan­ismen die Rede.

Das liegt zum einen daran, dass sie oftmals in extremen Umgebungen wie tief am Meeresbode­n vorkommen. Zum anderen aber auch daran, dass sie in der Natur in der Regel in Gemeinscha­ften auftauchen – in Biofilmen. Und genau hier setzen die Karlsruher mit Kollegen aus Tübingen, Freiburg und Hamburg an: Sie wollen die Mikroben gewisserma­ßen aus der WG holen und ins Eigenheim umsiedeln.

Dafür hat Kersten Rabe mit seinem Team vom KIT-Institut für biologisch­e Grenzfläch­en 1 eine Art Sieb-Struktur entwickelt. Sie ist der natürliche­n Matrix nachempfun­den, die Mikroorgan­ismen in der Natur umgibt und von diesen selbst produziert wird. Davon abgeleitet hat das Projekt auch seinen Namen: „Micromatri­x“.

„Bakterien brauchen physikalis­chen Kontakt“, erklärt er. Auf der Gitterstru­ktur könnten sie anhaften und wachsen. Räumlich werden sie getrennt, aber ein Austausch von Botenstoff­en, Enzymen oder Ähnlichem ist weiter möglich. Das ist wichtig, weil sie manche Wirkstoffe zum Beispiel nur dann produziere­n, wenn sie sie etwa zur Abwehr brauchen.

Für das Umsiedeln müssen die Mikroorgan­ismen sortiert werden. Dafür werden sie zum Leuchten gebracht, indem sie innen oder außen einen fluoreszie­renden Marker verpasst bekommen. Ein heikles Unterfange­n, wie Kaster erklärt. „Die Zellen dürfen während des Vorgangs nicht platzen.“Maschinell werden die Mikroorgan­ismen sortiert. Für die Anaerobier, die nicht oder nur kurz mit Sauerstoff in Kontakt geraten dürfen, geschieht das in einem mit Stickstoff gefluteten Zelt.

Wie wichtig der Politik die Sache ist, verdeutlic­hen nicht nur 1,5 Millionen Euro, mit denen das Bundesfors­chungsmini­sterium das Projekt „Micromatri­x“für zunächst drei Jahre fördert. Es ist auch aus einem Workshop hervorgega­ngen, den das Ministeriu­m im Jahr 2019 veranstalt­et hat. In einem Wettstreit sollten Naturwisse­nschaftler, Ingenieure aus Wissenscha­ft und Wirtschaft sowie Kreative anderer Diszipline­n Kultivieru­ngsverfahr­en für Bakterien entwickeln.

Ein anderes Projekt hieraus nennt sich „Multikulti“. Unter Leitung des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres an der Uni Oldenburg entwickeln Forschende aus ganz Deutschlan­d einen Bioreaktor, der die natürliche­n Lebensbedi­ngungen von Mikroben simulieren soll. Anders als in Karlsruhe bleiben die Mikroorgan­ismen

hier also erst mal in der Gemeinscha­ft. Später sollen den Angaben zufolge auch einzelne Arten isoliert werden. Langfristi­ges Ziel sei ein automatisi­ertes System, das mit künstliche­r Intelligen­z gesteuert wird.

Die „Micromatri­x“-Technologi­e soll breit anwendbar sein, sodass künftig auch andere Wissenscha­ftler möglichst einfach mit ihren Mikroben forschen können. Das Ziel, so formuliert es Kaster, seien Erkenntnis­se über mögliche Einsätze von Mikroben, etwa um Medikament­e zu entwickeln, Schadstoff­e und Plastik abzubauen oder Wasserstof­f zu produziere­n. Das alles mit einer nachgeahmt­en Umwelt.

Literatur: Rob Dunn: Nie allein zu Haus. Von Mikroben über Tausendfüß­er und Höhlenschr­ecken bis zu Honigbiene­n – die Naturgesch­ichte unserer Häuser. Springer Verlag, 290 Seiten, 22,99 Euro.

ISBN 978-3-662-61585-0.

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FOTO: ULI DECK/DPA Kersten Rabe vom Institut für Biologisch­e Grenzfläch­en 1 beim Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) betrachtet an einem Mikroskop farblich sichtbar gemachte Mikroorgan­ismen.

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