Kirche in Zeiten von Corona
Wie die Aldinger Gemeinde den Herausforderungen begegnet
ALDINGEN - Kirche ist ein Gemeinschaftsprojekt (nicht umsonst spricht man von einer Kirchen-Gemeinde). Zu Corona-Zeiten ist es allerdings besonders schwierig, diese Gemeinschaft zu leben, vor allem wenn unterschiedliche Meinungen die Gesellschaft zerreißen. Das Beispiel der evangelischen Kirchengemeinde Aldingen zeigt, vor welche Herausforderungen die Pandemie die Kirche stellt – und wie sie gemeistert werden.
Am Sonntag hat die evangelische Gemeinde in Aldingen gemeinsam Abendmahl gefeiert – eigentlich etwas ganz Normales in einer evangelischen Kirchengemeinde. Wenn nicht die Umstände alles andere als normal wären. Präsenzgottesdienste sind zwar von der Landeskirche erlaubt – allerdings nicht länger als eine halbe Stunde. Die Aldinger Kirchengemeinde hat sich nun für eine Mischform entschieden, in der die Gottesdienste als Livestream auf dem Youtube-Kanal der Gemeinde übertragen werden, aber – wie jetzt beim Abendmahl-Gottesdienst – durch Präsenzelemente in oder vor der Kirche ergänzt werden können.
Pfarrer Ulrich Dewitz kann sich noch genau erinnern, wie er am 15. März 2020, vor bald zwei Jahren, beim damaligen Lockdown erstmals einen Online-Gottesdienst abhielt: „Es ist seltsam, in eine leere Kirche hinein zu sprechen. Es ist ein völlig anderes Predigen, wenn man keine Rückmeldung hat.“Inzwischen ist es zwar nur Normalität geworden, „aber es fühlt sich nicht richtig an“, so Pfarrer Dewitz.
Am Sonntag hat jeder die Möglichkeit, zu Hause den Livestream zu schauen, den Gottesdienst mit zu feiern und in den eigenen vier Wänden Brot und Wein oder Traubensaft bereit zu halten. Es gab aber auch die Option, 20 Minuten nach der entsprechenden Ankündigung im Livestream persönlich vor die Kirche zu kommen, um dann gemeinsam im Freien das Abendmahl zu halten. Am Sonntag hätten sich rund 90 Gäste zum Online-Livestream angemeldet und 21 sind vor die Kirche gekommen. Wenn man bedenkt, dass zu Vor-CoronaZeiten rund 120 bis 150 Menschen in die evangelischen Gottesdienste in Aldingen gekommen sind, sind das keine schlechten Zahlen.
Zudem bieten Livestream und die Aufzeichnungen auch neue Möglichkeiten: „Viele Senioren haben mir gesagt, dass sie durch den Livestream endlich wieder am Gottesdienst teilnehmen können.“Als Zusatzangebot will man daher auch nach Corona, wenn wieder „normale“Präsenzgottesdienste möglich sein werden, weiterhin parallel einen Internet-Livestream anbieten. „Aber wir wollen keine Internet-Gemeinde aufbauen“, betont Dewitz, „sondern der Internet-Auftritt muss so gestaltet sein, dass er Lust macht, selbst in den Gottesdienst zu gehen“.
Doch nicht alles lässt sich online regeln. Gerade ältere Gemeindeglieder sind mit dem Internet nicht vertraut. Deshalb hat die Gemeinde ein Predigttelefon eingerichtet, für das sie jüngst auch eine großzügige Spende erhalten hat. Unter der Nummer 07424/ 98 04 26 0 kann man die Predigt vom vorigen Sonntag hören oder noch einmal nachhören.
„Es war völlig unbefriedigend und grausam für alle Beteiligten, dass nur noch zehn Menschen zu einer Beerdigung kommen durften“, berichtet Dewitz. Aber auch jetzt, wo wieder mehr Menschen erlaubt sind, seien es nach wie vor meistens ganz kleine Beerdigungen. „Man traut sich kaum noch, hinzugehen. Dabei“, so Ulrich Dewitz, „ist Begegnung und Gemeinschaft so unendlich wichtig – und das fehlt uns.“
Viele Angebote und Gruppen müssen derzeit wegen Corona ganz ausgesetzt werden. In Aldingen gibt es auch viel Hauskreise. Einige von diesen treffen sich online, andere weiter in Präsenz, aber draußen im Freien oder beim gemeinsamen Spazierengehen, andere wieder kommen gar nicht mehr zusammen. „Seniorenarbeit geht natürlich gar nicht“, so Dewitz, da dies eine besonders vulnerable Gruppe ist. „Aber es ist zugleich eine Gruppe, die es dringend braucht, weil sie so vereinsamt. Wir sind glücklich, dass wenigstens die Gottesdienste im Seniorenzentrum wieder gefeiert werden können.“Was er beim Kontakt mit den Menschen immer wieder feststellt, sei, dass es zwar nicht mehr so viele Ängste und Sorgen gibt wie zu Beginn der Pandemie, dafür aber ein großer Gesprächsbedarf – und auch eine wachsende Müdigkeit.
Auch in der Kirche gäbe es Impfgegner oder Corona-Leugner. „Es klingt vielleicht abgedroschen, aber die Kirche repräsentiert den Durchschnitt und die Bandbreite unserer Gesellschaft und all der Meinungen, die es in unser Gesellschaft gibt“, so Pfarrer Dewitz; „und es zerreißt uns ganz genauso wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen. Das zieht sich durch Familien und Freundschaften und eben auch durch die Kirchengemeinden, dass man sich nicht mehr gegenseitig versteht und – was das Schlimmste ist: – so verhärtet ist, dass man auch gar nicht mehr gegenseitig verstehen will.“Man sei „beziehungsmüde“, so Dewitz’s Eindruck: „Mir hat mal neulich jemand gesagt: ,Ich könnte schon mit dir diskutieren, aber ich mag nicht mehr.’“Das Abendmahl-Angebot am Sonntag sollte auch die Menschen wieder zusammenbringen: „nicht streiten, sondern gemeinsam machen“.
Dewitz denkt, dass Corona die Gesellschaft längerfristig verändern wird und das unbefangene Gemeinschaftsleben nicht so bald zurückkehren wird. „Ich fürchte, dass man sich dran gewöhnt hat, und zumindest die Dinge nicht automatisch wieder zurück kommen. Wir werden vieles neu gestalten und neu prägen müssen – nicht nur beim Thema Beerdigungen.“