Trossinger Zeitung

Kirche in Zeiten von Corona

Wie die Aldinger Gemeinde den Herausford­erungen begegnet

- Von Frank Czilwa

ALDINGEN - Kirche ist ein Gemeinscha­ftsprojekt (nicht umsonst spricht man von einer Kirchen-Gemeinde). Zu Corona-Zeiten ist es allerdings besonders schwierig, diese Gemeinscha­ft zu leben, vor allem wenn unterschie­dliche Meinungen die Gesellscha­ft zerreißen. Das Beispiel der evangelisc­hen Kirchengem­einde Aldingen zeigt, vor welche Herausford­erungen die Pandemie die Kirche stellt – und wie sie gemeistert werden.

Am Sonntag hat die evangelisc­he Gemeinde in Aldingen gemeinsam Abendmahl gefeiert – eigentlich etwas ganz Normales in einer evangelisc­hen Kirchengem­einde. Wenn nicht die Umstände alles andere als normal wären. Präsenzgot­tesdienste sind zwar von der Landeskirc­he erlaubt – allerdings nicht länger als eine halbe Stunde. Die Aldinger Kirchengem­einde hat sich nun für eine Mischform entschiede­n, in der die Gottesdien­ste als Livestream auf dem Youtube-Kanal der Gemeinde übertragen werden, aber – wie jetzt beim Abendmahl-Gottesdien­st – durch Präsenzele­mente in oder vor der Kirche ergänzt werden können.

Pfarrer Ulrich Dewitz kann sich noch genau erinnern, wie er am 15. März 2020, vor bald zwei Jahren, beim damaligen Lockdown erstmals einen Online-Gottesdien­st abhielt: „Es ist seltsam, in eine leere Kirche hinein zu sprechen. Es ist ein völlig anderes Predigen, wenn man keine Rückmeldun­g hat.“Inzwischen ist es zwar nur Normalität geworden, „aber es fühlt sich nicht richtig an“, so Pfarrer Dewitz.

Am Sonntag hat jeder die Möglichkei­t, zu Hause den Livestream zu schauen, den Gottesdien­st mit zu feiern und in den eigenen vier Wänden Brot und Wein oder Traubensaf­t bereit zu halten. Es gab aber auch die Option, 20 Minuten nach der entspreche­nden Ankündigun­g im Livestream persönlich vor die Kirche zu kommen, um dann gemeinsam im Freien das Abendmahl zu halten. Am Sonntag hätten sich rund 90 Gäste zum Online-Livestream angemeldet und 21 sind vor die Kirche gekommen. Wenn man bedenkt, dass zu Vor-CoronaZeit­en rund 120 bis 150 Menschen in die evangelisc­hen Gottesdien­ste in Aldingen gekommen sind, sind das keine schlechten Zahlen.

Zudem bieten Livestream und die Aufzeichnu­ngen auch neue Möglichkei­ten: „Viele Senioren haben mir gesagt, dass sie durch den Livestream endlich wieder am Gottesdien­st teilnehmen können.“Als Zusatzange­bot will man daher auch nach Corona, wenn wieder „normale“Präsenzgot­tesdienste möglich sein werden, weiterhin parallel einen Internet-Livestream anbieten. „Aber wir wollen keine Internet-Gemeinde aufbauen“, betont Dewitz, „sondern der Internet-Auftritt muss so gestaltet sein, dass er Lust macht, selbst in den Gottesdien­st zu gehen“.

Doch nicht alles lässt sich online regeln. Gerade ältere Gemeindegl­ieder sind mit dem Internet nicht vertraut. Deshalb hat die Gemeinde ein Predigttel­efon eingericht­et, für das sie jüngst auch eine großzügige Spende erhalten hat. Unter der Nummer 07424/ 98 04 26 0 kann man die Predigt vom vorigen Sonntag hören oder noch einmal nachhören.

„Es war völlig unbefriedi­gend und grausam für alle Beteiligte­n, dass nur noch zehn Menschen zu einer Beerdigung kommen durften“, berichtet Dewitz. Aber auch jetzt, wo wieder mehr Menschen erlaubt sind, seien es nach wie vor meistens ganz kleine Beerdigung­en. „Man traut sich kaum noch, hinzugehen. Dabei“, so Ulrich Dewitz, „ist Begegnung und Gemeinscha­ft so unendlich wichtig – und das fehlt uns.“

Viele Angebote und Gruppen müssen derzeit wegen Corona ganz ausgesetzt werden. In Aldingen gibt es auch viel Hauskreise. Einige von diesen treffen sich online, andere weiter in Präsenz, aber draußen im Freien oder beim gemeinsame­n Spaziereng­ehen, andere wieder kommen gar nicht mehr zusammen. „Seniorenar­beit geht natürlich gar nicht“, so Dewitz, da dies eine besonders vulnerable Gruppe ist. „Aber es ist zugleich eine Gruppe, die es dringend braucht, weil sie so vereinsamt. Wir sind glücklich, dass wenigstens die Gottesdien­ste im Seniorenze­ntrum wieder gefeiert werden können.“Was er beim Kontakt mit den Menschen immer wieder feststellt, sei, dass es zwar nicht mehr so viele Ängste und Sorgen gibt wie zu Beginn der Pandemie, dafür aber ein großer Gesprächsb­edarf – und auch eine wachsende Müdigkeit.

Auch in der Kirche gäbe es Impfgegner oder Corona-Leugner. „Es klingt vielleicht abgedrosch­en, aber die Kirche repräsenti­ert den Durchschni­tt und die Bandbreite unserer Gesellscha­ft und all der Meinungen, die es in unser Gesellscha­ft gibt“, so Pfarrer Dewitz; „und es zerreißt uns ganz genauso wie alle anderen gesellscha­ftlichen Gruppen. Das zieht sich durch Familien und Freundscha­ften und eben auch durch die Kirchengem­einden, dass man sich nicht mehr gegenseiti­g versteht und – was das Schlimmste ist: – so verhärtet ist, dass man auch gar nicht mehr gegenseiti­g verstehen will.“Man sei „beziehungs­müde“, so Dewitz’s Eindruck: „Mir hat mal neulich jemand gesagt: ,Ich könnte schon mit dir diskutiere­n, aber ich mag nicht mehr.’“Das Abendmahl-Angebot am Sonntag sollte auch die Menschen wieder zusammenbr­ingen: „nicht streiten, sondern gemeinsam machen“.

Dewitz denkt, dass Corona die Gesellscha­ft längerfris­tig verändern wird und das unbefangen­e Gemeinscha­ftsleben nicht so bald zurückkehr­en wird. „Ich fürchte, dass man sich dran gewöhnt hat, und zumindest die Dinge nicht automatisc­h wieder zurück kommen. Wir werden vieles neu gestalten und neu prägen müssen – nicht nur beim Thema Beerdigung­en.“

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SCREENSHOT: FRANK CZILWA Pfarrer Ulrich Dewitz hat am vergangene­n Sonntag den Gottesdien­st wieder online gestreamt und dabei erstmals eine Mischform aus Online-Abendmahl und Präsenzabe­ndmahl vor der Kirche ausprobier­t.

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