Kaltstart mit Bewährungsprobe
Kaum ein anderer Ampel-Politiker musste nach seinem Amtsantritt so schnell durchstarten wie Außenministerin Annalena Baerbock
BERLIN - Es war am Abend eines langen Tages Mitte Dezember, als sich im Beatles-Museum von Liverpool eine besondere Szene abspielte. Nach dem Abendessen mit den anderen sechs Außenministern der G7Staaten erhob sich der japanische Kollege Yoshimasa Hayashi vom Tisch, ging ans Klavier und begann, die Weltverbesserungs-Hymne „Imagine“von John Lennon zu spielen. „Einige haben sogar mitgesungen“, erinnert sich eine, die dabei war. Bei allen Krisen, welche man in den Stunden zuvor erörtert hatte, war dies einer jener Augenblicke, die Annalena Baerbock am meisten berührt hätten. Ein friedlicher Hoffnungsmoment für eine deutsche Politikerin, die wie kaum eine andere – vielleicht mit Ausnahme des Gesundheitsministers – nach ihrem Amtsantritt quasi über Nacht mit Vollgas in ihren neuen Job starten musste und den Krisen dieser Welt gegenüberstand.
Einen guten Monat später kann man sagen: Der Kaltstart passte zu Baerbocks zupackender Art. „Das ist der Job einer Außenministerin, dass man keine Zeit für einen langen Einstieg hat“, sagte sie kurz nach ihrem Amtsantritt schulterzuckend. Bisher offenbarte sie tatsächlich keine Probleme, in ihren neuen Job hineinzufinden, mit dem sie große Pläne verbindet. Als erste deutsche Außenministerin in 152 Jahren Auswärtigem Amt und als zweite Grüne in dieser Position strebt sie noch mehr an als einfach nur eine neue Person an der Spitze ihres Ministeriums zu sein. Sie will ihre Position neu definieren, als Botschafterin von Werten, Frauenrechten und Klimaschutz. Doch die akuten Krisen der Welt holen sie bereits ein. Annalena Baerbock ist eine Frau, deren Mission schon bald an der Realität scheitern kann – und die trotzdem weitermacht.
Ukraine-Krise hier, Russlands Drängen auf eine neue europäische Sicherheitsordnung dort, in Kasachstan brach ein Aufstand los, und dabei war die Ministerin noch gar nicht richtig in ihrem Amt angekommen. Allein in ihrer ersten Amtswoche habe sie mehr Außenminister anderer Länder getroffen als Mitarbeiter ihres Hauses, witzelte Annalena Baerbock Mitte Dezember. Seitdem
führten sie Reisen nach Paris, Brüssel, Warschau, Washington oder Rom. Es waren relativ harmonische Treffen, Baerbock war von Kollegen freundlich gesinnter Nationen umgeben.
Das wird am Dienstag anders sein. Denn die deutsche Außenministerin wird auf dem bisherigen Höhepunkt der Krise mit Russland einem Mann gegenüber sitzen, bei dem es auf Gelassenheit, Prinzipientreue und Schlagfertigkeit ankommt: Sergej Lawrow. Schon seit seinem Amtsantritt vor fast 18 Jahren gilt ein Treffen mit dem bärbeißigen russischen Außenminister mit der anschließenden Zigarre und Wodka auf der Terrasse als Feuertaufe für westliche Amtskollegen.
Unvergessen ist, wie der freundliche EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vor einem Jahr bei einer Pressekonferenz neben Lawrow stand und widerspruchslos eine Tirade gegen die EU über sich ergehen ließ – während Russland gleichzeitig drei
EU-Diplomaten auswies. „Peinlich“fanden das damals viele EU-Politiker. „Die europäische Russlandpolitik steht vor einem Scherbenhaufen“, urteilte CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen.
So etwas soll Baerbock nicht passieren. Allerdings dürfte die Gefahr, dass sie Vorwürfe gegen die EU einfach so hinnimmt, relativ gering sein. In ihren ersten Wochen im Amt hat sie sich durchaus als eine Freundin der klaren Worte profiliert. Zumindest, wenn es um Klimapolitik geht, und um das, was ihre Grünen als „wertebasierte Außenpolitik“in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben. „Gerade bei Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten können wir nicht zulassen, dass Europas Fundamente wegbröckeln“, verkündete die 41Jährige noch vor ihrer ersten Reise.
Ungern wird sie dabei allerdings daran erinnert, dass sie als Deutschlands Chef-Diplomatin anders reden muss als in Wahlkampfzeiten. Das betrifft nicht nur den Umgang mit der umstrittenen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2, deren Bau sie abgelehnt hatte und zu dem sie nun aus Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD einen abwartenden Ton anschlägt, so wie sie überhaupt die Außenpolitik immer mit dem Kanzleramt abstimmen muss. Kürzlich warf ihr der linke Außenpolitiker und Ex-Parteichef Gregor Gysi sogar Unglaubwürdigkeit vor, weil sie sich nicht mehr öffentlich für den Whistleblower Julian Assange einsetze. „Sie hatten vor dem Ministeramt eine Meinung“,
Annalena Baerbock schimpfte er im Bundestag. „Vielleicht haben Sie sie jetzt noch, aber sie äußern sie nicht mehr. Aber genau das geht nicht, wenn man eine wertebasierte Außenpolitik machen will.“Dass Baerbock ausgerechnet das Außenministerium führt, wirkt angesichts ihrer geringen außenpolitischen Erfahrung nur auf den ersten Blick so willkürlich wie vor vier Jahren die Ernennung ihres Vorgängers Heiko Maas. Es hat vielmehr mit dem erklärten Ziel ihrer Grünen zu tun, „Klimaaußenpolitik“betreiben zu wollen. Beim G7-Außenministertreffen verkündete Baerbock, dies zum Schwerpunkt des deutschen G7-Vorsitzes in diesem Jahr machen zu wollen. Und noch etwas anderes will sie in den Blick nehmen: Frauenrechte. Eine „feministische Außenpolitik“kündigt der Koalitionsvertrag an. Dass sie sich ausdrücklich als Frau in die Weltpolitik einbringen will, macht sie schon optisch klar. Sie versteckt ihr Geschlecht nicht in Hosenanzügen wie andere Politikerinnen ihrer Generation, sondern setzt auf modische Kleider und Blusen in wechselnden Farben. Und auch, dass sie eine Familie und zwei Töchter im Alter von sechs und zehn Jahren hat, muss man nicht aus ihrem Lebenslauf herauskramen. Sie spricht gern darüber.
Baerbocks erste Entscheidungen im Ministerium waren nicht unumstritten – sie ersetzte unter anderem den SPD-nahen Staatssekretär Miguel Berger durch dessen Vorgänger Andreas Michaelis, der ein grünes Parteibuch hat. Dennoch sind im Auswärtigen Amt viele von Baerbock angetan. „Tough“sei die Neue, sagt eine Diplomatin, die lange Zeit mit Maas gearbeitet hat. „Immer gut vorbereitet“, hat ein anderer beobachtet. „Unkompliziert“, heißt es aus dem Presseteam.
Wäre da nicht diese Englisch-Sache. Bei ihrem ersten Treffen mit dem EU-Außenbeauftragten Borrell äußerte sie sich vor der Presse in der Fremdsprache. Es sollte wohl ihre Weltläufigkeit zeigen. Jedoch schwoll auf den sozialen Medien ein Sturm der Häme an. Das sei Schulenglisch und einer Außenministerin unwürdig, hieß es da unter anderem. Dabei hat Baerbock keinerlei Wortfindungs-Schwierigkeiten. Nur die Aussprache liegt fern vom OxfordEnglisch. Inzwischen spricht sie bei solchen Anlässen Deutsch.
Kollegen aus der Ampel-Koalition nehmen sie in dieser Sache in Schutz. „Ich weiß nicht, wie gut Hans-Dietrich Genschers Englisch war“, merkt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid an. „Und der war ein geachteter Außenminister.“Auch sein FDP-Kollege Bijan Djir-Sarai ist generell von Baerbocks ersten Wochen angetan. „Sie macht ihre Aufgabe gut. Es werden aber noch enorme Herausforderungen kommen.“
Ab Ende kommender Woche wird sie noch mehr Zeit haben, sich darauf zu konzentrieren. Dann gibt sie, genauso wie Vizekanzler Robert Habeck, die Führung der Grünen ab. Die gewonnene Zeit wird leicht zu füllen sein. Die Krise zwischen Russland und dem Westen wird ihr zunächst wenig Zeit für ihre Großprojekte lassen. Gleichzeitig gibt sie ihr aber bei ihrer Begegnung mit Außenminister Lawrow in Moskau die Gelegenheit, ihre Bewährungsprobe als Diplomatin abzulegen.
„Das ist der Job einer Außenministerin, dass man keine Zeit für einen langen Einstieg hat.“