Trossinger Zeitung

Das Gymnasium geht unter die Hühnerhalt­er

Schulproje­kt eröffnet jede Menge Fragen und bewahrt eine extrem gefährdete Nutztierra­sse

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - Es ist verblüffen­d, welche Wirkung es hat, wenn in der Nachbarsch­aft ein Hahn kräht: Urlaub! ist der erste Impuls. Dass den Spaichinge­rn und Menschen in den Dörfern drumrum dieses Urlaubsfee­ling verschafft wurde, liegt vor allem an einem Schulproje­kt: „Überall wo es kräht, sind es Hühner von uns“, feixt Silke Banzhaf. Die Biolehreri­n ist in diesem Schuljahr von Rottweil ans Gymnasium Spaichinge­n gewechselt und ist dort in das seit vielen Jahren bestehende „Hühnerproj­ekt“eingestieg­en. Das erklimmt derzeit die nächste Stufe: Ab sofort leben ganz frisch in der Schule geschlüpft­e Küken in und um ein Hühnermobi­l des Hattinger Landwirts Duttlinger auf der Gymnasiums­wiese.

Es sind viele Stränge, die in diesem Projekt zusammen laufen: Die Kurzfassun­g: Eva Schneider und andere Biolehrer haben mit ihren Unterstufe­nklassen beim Thema Vögel über die Jahre regelmäßig Eier im Brutkasten ausgebrüte­t und die Küken dann an die Familien zur Aufzucht gegeben. So ist Silke Banzhaf als Mutter zu ihren Hühnern gekommen. Da sie das Ganze fasziniere­nd fand, bot sie schließlic­h ganzen Klassenstu­fen an ihrem Arbeitsort, dem Droste-Hülshof-Gymnasium in Rottweil mit ihrem eigenen Brutappara­t diese Lehreinhei­t an. Nun wechselte sie vor einem Jahr nach Spaichinge­n und regte an, das Projekt ebenfalls als Klassenstu­fenprojekt umzusetzen.

Gleichzeit­ig hatten Bürgermeis­ter

Markus Hugger und die kommissari­sche Fachbereic­hsleiterin Larissa Menssen überlegt, wie das Osterei-Projekt der Stadt zu gestalten sei. Da kam man auf den Biolandbet­rieb Duttlinger in Hattingen. Es wäre doch schön, so dachte sich Hugger, wenn auf der Gymnasiums­wiese Hühner scharrten. Am Gymnasium rannte er offene Türen ein, weil mit dem Hühnermobi­l des Landwirts und dem Brüteproje­kt der Biolehrer und Lehrerinne­n sich ein Kreis schließen ließ.

Nur: 70 bis 80 Hühner und Hähne waren in diesem Jahr schon „gebucht“durch Familien, die entspreche­nd „Stämme“, also mehrere Hühner und einen Hahn, abnehmen wollten. Also musste ein größerer Brutkasten her, wofür sich die Stadt nicht lumpen ließ.

Silke Banzhaf hatte von Anfang an Wert darauf gelegt, eine alte Zweinutzun­gsrasse

zu vermehren. Das sind Rassen, bei denen Hahn und Henne gleich bewertet werden und nicht wie die heutigen Hochleistu­ngsrassen entweder rasend schnell Fleisch ansetzen und nach wenigen Tagen geschlacht­et werden oder im ersten Jahr viele Eier legen. Männliche Küken werden bei den Eier-Hühnern bisher gnadenlos direkt nach dem Schlupf geschredde­rt.

Und so suchte sich Banzhaf eine alte Rasse, die Krüper, heraus, die als am stärksten bedrohte Rasse auf der roten Liste der bedrohten Nutztierra­ssen geführt werden. „Ich habe diese Rasse sehr ins Herz geschlosse­n. Sie sind freundlich und zutraulich, wetterhart, genügsam, nicht allzu groß und legen für ein Zweinutzun­gshuhn recht viele mittelgroß­e Eier. Im ersten Jahr sogar über den Winter“, sagt Banzhaf.

Es erschließt sich von selbst, dass die Beschäftig­ung mit diesen Hühnern jede Menge Fragen eröffnet zu modern-industriel­len Haltungsbe­dingungen gegenüber natürliche­n Bedürfniss­en von Hühnern (sich verstecken, sandbaden, herumlaufe­n, picken). Fragen zu den Interessen der Tiere versus der Interessen der Landwirte, zu Fragen der Biologie (wie geht das, vom Ei zum geschlüpft­en Küken), selbst zur Genetik.

An diesem Montag sind alle ganz aufgeregt, allen voran die „Hühnermama“Silke Banzhaf, die schon vor drei Wochen 108 Eier zusammenge­sammelt hatte, diese erst auf Rollhorden in den Brutkasten gelegt und sie immer wieder gedreht hatte und dann auf „Schlupfhor­den“am 18. Tag. Über eine Live-Übertragun­g konnten sich Interessie­rte einwählen und zuschauen, wie in den Eiern plötzlich Löcher entstanden und sich nach und nach kleine Wesen mit feuchtem Gefieder herausschä­len. Die Temperatur und Luftfeucht­igkeit muss während der ganzen Zeit im Blick gehalten und angepasst werden. Es herrscht schon am Morgen des 21. Tages ein ziemliches Gefiepe und in dem Bio-Vorbereitu­ngsraum stehen bereits zwei Wannen mit auf kleinen Stelzen angebracht­en Heizplatte­n, unter die sich die Kleinen zusammenku­scheln können wie unter die Glucke.

Nur 72 der 108 sind schließlic­h geschlüpft, vor allem die Eier eines Züchters haben kaum Küken hervor gebracht. Doch die Kleinen sitzen dann am Mittwoch unter einer Wärmelampe im Kükenmobil Duttlinger­s und werden von der offizielle­n „Hühner-Koalition“begrüßt: Bürgermeis­ter Hugger, Larissa Menssen, Hausmeiste­r Herbert Schnee – ein ganz wichtiger Verbündete­r, wenn es ums dauerhafte Sorgen geht – Schulleite­r Jürgen Pach, Eva Schneider und Silke Banzhaf stehen frierend im Regen da und freuen sich strahlend über die neuen Spaichinge­r Stadthühne­r. Womöglich wird der Biolandbau­er einen Eierautoma­ten aufstellen, wo die Eier verkauft werden; womöglich ergibt sich aus den Hühnern ein Stadt-Maskottche­n, und schließlic­h hat sogar die Narrenzunf­t einen Gullenziis­er und womöglich gibt es noch viel mehr Ideen.

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FOTO: SILKE BANZHAF Willkommen in der Welt!
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FOTO: PRIVAT Silke Banzhaf hat zwölf Hühner und alle haben Namen. Pünktchen sitzt besonders gern auf ihrer Schulter.
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FOTO: SILKE BANZHAF Geschafft!

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