Das Gymnasium geht unter die Hühnerhalter
Schulprojekt eröffnet jede Menge Fragen und bewahrt eine extrem gefährdete Nutztierrasse
SPAICHINGEN - Es ist verblüffend, welche Wirkung es hat, wenn in der Nachbarschaft ein Hahn kräht: Urlaub! ist der erste Impuls. Dass den Spaichingern und Menschen in den Dörfern drumrum dieses Urlaubsfeeling verschafft wurde, liegt vor allem an einem Schulprojekt: „Überall wo es kräht, sind es Hühner von uns“, feixt Silke Banzhaf. Die Biolehrerin ist in diesem Schuljahr von Rottweil ans Gymnasium Spaichingen gewechselt und ist dort in das seit vielen Jahren bestehende „Hühnerprojekt“eingestiegen. Das erklimmt derzeit die nächste Stufe: Ab sofort leben ganz frisch in der Schule geschlüpfte Küken in und um ein Hühnermobil des Hattinger Landwirts Duttlinger auf der Gymnasiumswiese.
Es sind viele Stränge, die in diesem Projekt zusammen laufen: Die Kurzfassung: Eva Schneider und andere Biolehrer haben mit ihren Unterstufenklassen beim Thema Vögel über die Jahre regelmäßig Eier im Brutkasten ausgebrütet und die Küken dann an die Familien zur Aufzucht gegeben. So ist Silke Banzhaf als Mutter zu ihren Hühnern gekommen. Da sie das Ganze faszinierend fand, bot sie schließlich ganzen Klassenstufen an ihrem Arbeitsort, dem Droste-Hülshof-Gymnasium in Rottweil mit ihrem eigenen Brutapparat diese Lehreinheit an. Nun wechselte sie vor einem Jahr nach Spaichingen und regte an, das Projekt ebenfalls als Klassenstufenprojekt umzusetzen.
Gleichzeitig hatten Bürgermeister
Markus Hugger und die kommissarische Fachbereichsleiterin Larissa Menssen überlegt, wie das Osterei-Projekt der Stadt zu gestalten sei. Da kam man auf den Biolandbetrieb Duttlinger in Hattingen. Es wäre doch schön, so dachte sich Hugger, wenn auf der Gymnasiumswiese Hühner scharrten. Am Gymnasium rannte er offene Türen ein, weil mit dem Hühnermobil des Landwirts und dem Brüteprojekt der Biolehrer und Lehrerinnen sich ein Kreis schließen ließ.
Nur: 70 bis 80 Hühner und Hähne waren in diesem Jahr schon „gebucht“durch Familien, die entsprechend „Stämme“, also mehrere Hühner und einen Hahn, abnehmen wollten. Also musste ein größerer Brutkasten her, wofür sich die Stadt nicht lumpen ließ.
Silke Banzhaf hatte von Anfang an Wert darauf gelegt, eine alte Zweinutzungsrasse
zu vermehren. Das sind Rassen, bei denen Hahn und Henne gleich bewertet werden und nicht wie die heutigen Hochleistungsrassen entweder rasend schnell Fleisch ansetzen und nach wenigen Tagen geschlachtet werden oder im ersten Jahr viele Eier legen. Männliche Küken werden bei den Eier-Hühnern bisher gnadenlos direkt nach dem Schlupf geschreddert.
Und so suchte sich Banzhaf eine alte Rasse, die Krüper, heraus, die als am stärksten bedrohte Rasse auf der roten Liste der bedrohten Nutztierrassen geführt werden. „Ich habe diese Rasse sehr ins Herz geschlossen. Sie sind freundlich und zutraulich, wetterhart, genügsam, nicht allzu groß und legen für ein Zweinutzungshuhn recht viele mittelgroße Eier. Im ersten Jahr sogar über den Winter“, sagt Banzhaf.
Es erschließt sich von selbst, dass die Beschäftigung mit diesen Hühnern jede Menge Fragen eröffnet zu modern-industriellen Haltungsbedingungen gegenüber natürlichen Bedürfnissen von Hühnern (sich verstecken, sandbaden, herumlaufen, picken). Fragen zu den Interessen der Tiere versus der Interessen der Landwirte, zu Fragen der Biologie (wie geht das, vom Ei zum geschlüpften Küken), selbst zur Genetik.
An diesem Montag sind alle ganz aufgeregt, allen voran die „Hühnermama“Silke Banzhaf, die schon vor drei Wochen 108 Eier zusammengesammelt hatte, diese erst auf Rollhorden in den Brutkasten gelegt und sie immer wieder gedreht hatte und dann auf „Schlupfhorden“am 18. Tag. Über eine Live-Übertragung konnten sich Interessierte einwählen und zuschauen, wie in den Eiern plötzlich Löcher entstanden und sich nach und nach kleine Wesen mit feuchtem Gefieder herausschälen. Die Temperatur und Luftfeuchtigkeit muss während der ganzen Zeit im Blick gehalten und angepasst werden. Es herrscht schon am Morgen des 21. Tages ein ziemliches Gefiepe und in dem Bio-Vorbereitungsraum stehen bereits zwei Wannen mit auf kleinen Stelzen angebrachten Heizplatten, unter die sich die Kleinen zusammenkuscheln können wie unter die Glucke.
Nur 72 der 108 sind schließlich geschlüpft, vor allem die Eier eines Züchters haben kaum Küken hervor gebracht. Doch die Kleinen sitzen dann am Mittwoch unter einer Wärmelampe im Kükenmobil Duttlingers und werden von der offiziellen „Hühner-Koalition“begrüßt: Bürgermeister Hugger, Larissa Menssen, Hausmeister Herbert Schnee – ein ganz wichtiger Verbündeter, wenn es ums dauerhafte Sorgen geht – Schulleiter Jürgen Pach, Eva Schneider und Silke Banzhaf stehen frierend im Regen da und freuen sich strahlend über die neuen Spaichinger Stadthühner. Womöglich wird der Biolandbauer einen Eierautomaten aufstellen, wo die Eier verkauft werden; womöglich ergibt sich aus den Hühnern ein Stadt-Maskottchen, und schließlich hat sogar die Narrenzunft einen Gullenziiser und womöglich gibt es noch viel mehr Ideen.