Kurz erwartet Anklage wegen Falschaussage
Österreichs Kanzler soll vor Untersuchungsausschuss gelogen haben – Warum er einen Rücktritt ablehnt
WIEN - Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz steht wohl vor einer Anklage wegen einer Falschaussage. Hintergrund ist die Aufarbeitung der früheren Koalition aus Kurz’ konservativer ÖVP und der rechten FPÖ. Es geht um Postengeschacher und fehlenden Respekt vor den staatlichen Institutionen.
Der Kanzler ist nach wie vor höflich. Er lobt sogar Österreichs StarInterviewer Armin Wolf für das „freundliche Gespräch“, während dieser ihn mit Fragen löchert. Doch Kurz’ Blick ist starr und kühl. Dem ehemaligen Lieblingsschwiegersohn der Nation ist offensichtlich bange zumute. Dabei betont er, er sei „mehr als entspannt“.
Der heute 34-Jährige, der von der internationalen Presse hochgeschrieben und von vielen Österreichern wie ein Heilsbringer gefeiert wurde, wird wahrscheinlich angeklagt. Er soll am 24. Juni 2020 vor dem „Untersuchungsausschuss betreffend die mutmaßliche Käuflichkeit der Türkis-Blauen Bundesregierung“falsch ausgesagt haben. Es gilt natürlich die Unschuldsvermutung.
Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit der Frage, ob die damaligen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ Deals ausgemacht haben, wonach etwa der freiheitliche Bezirksrat Peter Sidlo zum Vorstandsdirektor der Casinos Austria AG ernannt wurde, obwohl er für den Job nicht geeignet war, während der ÖVP-nahe Thomas Schmid im Gegenzug zum alleinigen Aufsichtsratschef der Staatsholding ÖBAG befördert wurde, die für vier Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts
sorgt. Im U-Ausschuss wurde Kurz nun befragt, ob er sich dafür eingesetzt habe, dass Schmid im März 2019 zum Aufsichtsratschef der ÖBAG wurde.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich für Schmid eingesetzt habe“, sagte der Kanzler. Auf die Frage, ob er mit Schmid vor dessen offizieller Bewerbung über den Posten gesprochen habe, sagte Kurz: „Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert.“Später versuchte Kurz vergebens, das Wörtchen „nein“aus dem Protokoll streichen zu lassen. Kurz’ Aussagen vor einem Jahr im U-Ausschuss sind deshalb so brisant, weil in der Zwischenzeit die Chat-Protokolle von Schmid aufgetaucht sind, die offenbaren, wie hinter den Kulissen wirklich gedealt wird.
Zwei Wochen bevor Schmid zum Alleinvorstand der Staatsholding bestellt wurde, bat er Kurz im Chat, ihn „nicht zu einem Vorstand ohne Mandate“zu machen. Kurz schickte
Schmid drei Emojis mit O-Mund: „Kriegst eh alles, was du willst.“Schmid antwortete mit zwei Smileys: „Ich bin so glücklich :-))) Ich liebe meinen Kanzler (…).“Diese Liebesbezeugungen wirken jedenfalls nicht wie eine leistungsorientierte Postenbesetzung.
Nun redet sich Kurz auf Formalitäten heraus. Nicht er habe die Entscheidung getroffen, sondern der damalige Finanzminister Hartwig Löger, gegen den auch ermittelt wird. Doch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft glaubt dem Kanzler offenbar nicht. Auf 58 Seiten wird der Verdacht ausgebreitet, dass Kurz im Untersuchungsausschuss „tatsachenwidrig die geführten Gespräche und Telefonate sowie den diesbezüglichen Austausch in Chats“mit Thomas Schmid in Abrede gestellt habe und Kurz zudem behauptet habe, „er sei nur informiert, aber nicht darüber hinausgehend eingebunden gewesen“. Die Staatsanwaltschaft glaubt zudem, dass
Kurz die „faktische Entscheidung, welche Mitglieder von der ÖVP“für den Aufsichtsrat der ÖBAG nominiert werden, „tatsächlich selbst getroffen“hat. Kurz bestreitet dies.
Der Kanzler selbst rechnet mit einer Anklage, glaubt aber, dass er freigesprochen wird. Indessen attackiert er die Opposition, dass diese mit „Anzeigen“gegen ihn arbeiten würde, obwohl natürlich nicht die Opposition, sondern die Staatsanwaltschaft ihn als Beschuldigten führt. „Man darf sich das nicht gefallen lassen“, sagt er. Auf die Frage, ob er zurücktreten werde, falls er verurteilt würde, entgegnet er: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gericht so etwas entscheidet.“Nachsatz von Kurz: „Wir leben in Österreich.“
In Österreich läuft die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft aber gerade zur Höchstform auf. Die Institution ermittelt nicht nur gegen den Kanzler, sondern auch gegen seinen Kabinettschef, den ÖVP-Finanzminister, zwei weitere ehemalige ÖVP-Finanzminister, gegen den ehemaligen Justizminister und gegen die ehemalige Stellvertreterin der ÖVP.
Im Fokus steht schon seit Wochen der aktuelle ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel, der sich wochenlang geweigert hatte, angeforderte E-Mails an den U-Ausschuss zu liefern. Sogar Bundespräsident Alexander van der Bellen musste angefragt werden, die Lieferung zu exekutieren. Bümel wird wegen dieser Weigerung Verfassungsbruch und Verhöhnung des Parlaments vorgeworfen. Bei einer Hausdurchsuchung war sein Laptop nicht auffindbar. Seine Frau hatte ihn zum „Spazierengehen“im Kinderwagen mitgenommen.