Israels Kulturszene gespalten
Netanjahu polarisiert vor der Parlamentswahl
In Israel herrscht Wahlkampf. Mal wieder. Am 23. März wird zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren gewählt. Während viele israelische Kulturschaffende den Rücktritt von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu fordern, suchen manche von ihnen in der Pandemie Unterstützung bei der Regierung. Bibi, wie der Premier im Volksmund genannt wird, hat unter Intellektuellen und Künstlern auch treue Bewunderer.
Gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird schon seit Monaten nahe seiner Residenz in der Balfour-Straße in Jerusalem laut protestiert. Dort finden sich immer wieder auch Intellektuelle und Künstler zusammen, die den Rücktritt des Premiers fordern. Zu den letzten Rednern gehörten Yossi Levy, Netanjahus früherer Medienberater, und Orit Yaal, Historikerin und Genderforscherin. Beide geißeln den „Bibismus“, jenes nach Netanjahus Spitznamen Bibi benannte staatspolitische Phänomen, das die Opposition für die beklagte Misere im Land verantwortlich macht. Die Historikerin Orit Yaal konstatiert besorgt, der Bibismus, hebräisch Bibizm, habe Israel schon grundlegend verändert: „Ich sehe ein völlig anderes Staatssystem als das, das uns als Demokratie präsentiert wird.“
Aus der Fassung bringen Netanjahu diese Proteste längst nicht mehr. Im Gegenteil. Wie in der Parteipolitik verfolgt er auch gegenüber den Protestierenden die Strategie von Teilen und Herrschen. Ein veritabler Coup gelang ihm unlängst durch den Schulterschluss mit dem Popsänger Aviv Geffen. Der ist nicht nur Friedensaktivist, sondern hat immer wieder an Protesten gegen den Premier teilgenommen. Dennoch wandte sich das Pop-Idol bei einer eigens gestarteten Hilfsaktion für in der Pandemie finanziell notleidende Musiker und Künstler an Netanjahu. Und so wurde mit der Regierung ein Hilfspaket in Höhe von umgerechnet 18 Millionen Euro geschnürt. In der Pose des Gönners erklärte der Ministerpräsident – mit Geffen an seiner Seite – in einem offiziellen Video feierlich: „Es ist ein Tag mit einer großartigen Botschaft für die Welt der Kultur und Kunst in Israel.“
Aviv Geffen erntete für seinen gemeinsamen Auftritt mit dem Premier einen wahren Proteststurm. Im Lager der Bibi-Gegner wurde dem Sänger Verrat vorgeworfen. Derweil landete Netanjahu seinen nächsten Coup: Um seiner Likud-Mannschaft für die Wahl einen intellektuellen Anstrich zu geben, hievte er die Autorin, Journalistin und Radiomoderatorin Galit Distal Atbaryan kurzerhand auf Platz 10 der Likud-Liste. Und inthronisierte die neue Verbündete wiederum in einem gemeinsamen Videoauftritt mit den Worten: „Galit ist eine starke weibliche Kraft. Eine selbstständige Frau, die nicht zögert, ihre Meinung zu sagen.“Dies tut Galit Atbaryan übrigens mit Vorliebe dann, wenn sie als Moderatorin die Proteste gegen Netanjahu karikiert.
Nicht weniger leidenschaftlich pflegt die Publizistin Atbaryan den Premier gegen Korruptionsvorwürfe zu verteidigen. In israelischen Kulturkreisen steht sie damit keineswegs allein da. Der 77-jährige Pop-Veteran Ariel Zilber – einst Entfant terrible, heute ultrarechter Siedler – hat Netanjahu schon mal als „Gottes Freund“besungen. In seinem neuen Song hetzt Zilber gegen Netanjahus Gegner, die sich über seinen Prozess freuen und „aus allen Rohren“auf ihn schießen würden. Auf linker Seite ist man über Zilbers, „abgrundtiefen Hass“erschüttert. Bei den Rechten kommt sein eingängiger Song gut an.