Für Länder und Kirchen geht es ums Geld
FDP, Grüne und Linke wollen Entschädigungszahlungen neu regeln – Ein historisches Projekt
BERLIN - Wenn Benjamin Strasser, FDP-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Ravensburg und religionspolitischer Sprecher seiner Partei, das Wort „historisch“bemüht, stimmt es in diesem Fall tatsächlich. Zusammen mit der Linken-Politikerin Christine Buchholz und Konstantin von Notz (Grüne) hat er am Donnerstagmorgen einen Gesetzentwurf vorgestellt, der sich mit einer geschichtsträchtigen Thematik befasst. Es geht um Zahlungen an die Kirchen, die seit mehr als 200 Jahren geleistet werden. Bis ins Jahr 1803 reichen diese zurück.
In diesem Jahr, als das Heilige Römische Reich deutscher Nation sein Ende fand, wurden mit dem Reichsdeputationshauptschluss kirchliche Vermögen verstaatlicht, sie fielen Königreichen und Fürstentümern zu. Der Staat verpflichtete sich im Gegenzug, den Kirchen Entschädigungen zu bezahlen. Der Süden ist davon besonders betroffen: Baden-Württemberg überweist 2020 insgesamt 130,9 Millionen Euro an die katholische und evangelische Kirche im Land. In Bayern sind es insgesamt rund 101,7 Millionen Euro, die als Staatsleistungen an die Kirchen gehen. Die jährlichen Ausgaben aller Bundesländer summieren sich, so Benjamin Strasser, auf rund 550 Millionen Euro.
Die Idee, dass diese Zahlungen an die Kirchen nicht bis zum SanktNimmerleins-Tag weitergehen sollten, hatten rechtskundige Politiker bereits vor mehr als 100 Jahren. Sie schrieben in die Weimarer Verfassung in den Artikel 138 hinein, dass diese Staatsleistungen durch die Landesgesetzgebung abgelöst werden müssen. Auch ins Grundgesetz hat es dieser Verfassungsauftrag geschafft, passiert ist gleichwohl nichts. Und deshalb haben Liberale, Linke und Grüne die Sache in Angriff genommen – wohl wissend, dass sie bei den Parteien der Großen Koalition und auch in den Bundesländern nicht auf Euphorie stoßen werden.
„Wir schaffen einen gesetzlichen Rahmen, in dem die Kirchen und die Bundesländer jeweils einen fairen Kompromiss aushandeln können“, wirbt Strasser für das Vorhaben. Mit dem Entwurf eines „Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen“würde der Bund eine gesetzliche Basis schaffen, auf der die Länder innerhalb von fünf Jahren eigene Gesetze erlassen müssten, um die Entschädigungszahlungen mit einem Enddatum zu versehen. Innerhalb von 20 Jahren müsste damit Schluss sein, heißt es in dem Entwurf. Auch über die Höhe der restlichen Zahlungen
haben sich die Politiker Gedanken gemacht: Sie plädieren dafür, den Kirchen das 18,6-fache des Betrages zu bezahlen, den sie im Jahr 2020 bekommen haben. „Ob das in Form einer Einmalzahlung geschieht, als Ratenzahlung oder beispielsweise in der Rückübereignung von Immobilien, liegt in der Hand der Verhandelnden“, sagt Strasser. Der CDU-Politiker Hermann Gröhe fand bei der ersten Lesung im Bundestag immerhin anerkennende Worte für den „sachlichen Entwurf“. Er kritisierte allerdings die Fünf-Jahres-Frist für die Bundesländer als zu kurz.
Und was sagen die Länder selbst zu dem Vorstoß? „Die Staatsregierung verfolgt derzeit keine Pläne, die Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen abzuschaffen“, teilt ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums mit. Aufgrund der zu erwartenden Höhe der Ausgleichsbeiträge stelle dies „keine realistische
Option“dar. Allerdings werde mit den Kirchen bereits über Ablösungen auf „einzelnen Feldern“verhandelt.
Auch in Baden-Württemberg gibt es nach Auskunft des Kultusministeriums schon „regelmäßige Gespräche“zwischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und den Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche über diese Thematik. Allerdings sieht das Land erst einmal den Bund gefordert, „Grundsätze“für die Ablösung der Staatsleistungen zu formulieren. Die Bundesregierung habe aber mitgeteilt, „dass sie keinen Handlungsbedarf für den Erlass eines entsprechenden Gesetzes sieht“, teilt das Kultusministerium mit. Strasser sieht dies definitiv anders: Seit mehr als 100 Jahren gebe es einen Verfassungsauftrag, der schlicht nicht umgesetzt worden sei, sagt er.
Die Kirchen begegnen derweil dem Vorhaben der Opposition, den
Staatsleistungen nach mehr als 200 Jahren ein zeitliches Ende zu setzen, mit einer gewissen Gleichmut – wohl auch vor dem Hintergrund, dass die Regierungsvertreter in Bund und Ländern in Zeiten wie diesen die Haushalte nicht noch zusätzlich belasten wollen. Und höhere Entschädigungszahlungen als derzeit würden auf jeden Fall anstehen, sollte der Gesetzentwurf wider Erwarten eine Mehrheit finden. Der vorgelegte Entwurf biete „hilfreiche Anknüpfungspunkte für aus unserer Sicht notwendige weitere grundlegende Erörterungen“, teilt Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz mit. Die Diskussion falle jedoch wegen der „Corona-Pandemie in eine schwierige Zeit“. Vonseiten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg heißt es, sie „würde sich entsprechenden Verhandlungen mit dem Staat nicht verschließen“.