Der schwäbische Blocksberg
In der Frühen Neuzeit galt der Heuberg als Versammlungsort der Hexen
SPAICHINGEN/HEUBERG - „Nicht weit von Balingen ist der berühmte Berg, den man den Heuberg nennt, und von welchem man vorgibt, dass die Hexen auf demselben zusammenkommen und ihre Teufels-Spiele haben.“So schreibt Martin Crusius in seiner auf Lateinisch verfassten „Schwäbischen Chronik” („Annales Suevici“) aus dem Jahr 1596. Der Heuberg war in der Frühen Neuzeit so etwas wie der „Schwäbische Brocken“und galt im ganzen südwestdeutschen Raum und in der Schweiz als Versammlungsplatz der Hexen. Traditionell wurde diesen nachgesagt, dass sie vor allem in der „Walpurgisnacht“vom 30. April auf den 1. Mai zusammenkommen sollen.
„Nicht der ,Blocksberg’ war der erste überregionale Hexenberg Deutschlands, sondern der ,Heuberg’“, so schreibt der Historiker Wolfgang Behringer, einer der führenden historischen Experten auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung. Heute sind Hexen vor allem als Fasnetsgestalten auf dem Heuberg beliebt - etwa in der Obernheimer Hexenzunft oder die Burghexen der Egesheimer Zunft. Aber in der Frühen Neuzeit, als die Menschen in Mitteleuropa noch an böse Zauberer glaubten, die mit dem Teufel im Bunde waren, galten „Hexen“als sehr reale und gefürchtete Bedrohung. In den Protokollen der Hexenprozesse aus ganz Süddeutschland wird dabei immer wieder der Heuberg als Ort für die angeblichen Zusammenkünfte der Hexen genannt.
So erklärte etwa Anno 1561 eine gewisse Margaretha Parnmayer aus Kirchheim unter Teck bei ihrer gerichtlichen Vernehmung: „Es sey bei 6 oder 7 Jahren, daß der böse Geist Nachts zu ihr gekommen, sie auf den Rücken genommen, über die Stadtmauer hinaus getragen und auf den Heuberg zu einem Bildstock oberhalb der Goßheimer Steige geführt habe, wo noch zwei Weiber gewesen seyen, die mit ihr getanzt, sie aber dann mit Gabeln geschlagen hätten und bald darauf verschwunden wären, worauf sie selbst der böse Geist in die Stadt zurück getragen hätte.“
Und Magdalena Stimmler von Waldmössingen gab im Jahre 1572 zu Protokoll, „ihr Bul (der böse Geist) habe ihr einen schwarzen Hund gebracht, sie auf denselben gesetzt und sey gleichfalls auf einem Hunde mit ihr auf den Heuberg geritten, wo sie mit vielen Gespielen gegessen und getrunken und dann auf dieselbe Weise wieder heimgekehrt seyen.“
Ursula Fineisen aus Mühlheim an der Donau, die am 13. September 1608 „gefänglich eingebracht, befragt und examiniert worden“ist, erklärte laut Protokoll: „Einmal war sie in Stetten. Dort erschien ihr der böse Geist und forderte sie auf, mit zum Tanze zu gehen. Sie setzte sich hinter ihn auf einen Stecken. Sie mußte rufen: ,Aus und ab, stoß nimmer an’, und in aller Teufels Namen ging es ab auf den Heuberg zu den ,Unhold Bömle’.“Dort traf sie „viele Weiber und Gespielinnen“. „Zusammen aßen, tranken und tanzten sie. Der böse Geist spielte auf einer Schwegelpfeifen zum Tanz auf. (...) Nachdem
sie genug getanzt hatten, schüttete eine jede verschiedene Salben in einen Topf, den dann Martins Ursel umstieß, worauf über Böttingen ein Unwetter niederging.“
In einem „gründlichen Bericht von Zauberey und Zauberern“aus dem Jahr 1671 heißt es: „Von dem Berg Heuberg / im Herzogthumb Württemberg gelegen / ist bey den Schweizern unnd Schwaben das Sprichwort auch den jungen Kindern gemein: auff den Heuberg fahren“.
Weil es im deutschsprachigen Raum mehrere Landschaftserhebungen mit dem Namen „Heuberg“gibt, wurde das Gerücht vom Hexenversammlungsplatz aber gelegentlich auch auf andere „Heuberge“bezogen, etwa den bei Rottenburg am Neckar.
Dennoch war meistens der Heuberg an der Südwestspitze der Schwäbischen Alb gemeint. „Offenbar“, so der Historiker Wolfgang Behringer, „konnte der sich im 15. Jahrhundert ausbreitende Hexenwahn der Inquisition im alemannischen Raum an ältere sagenhafte Vorstellungen anknüpfen, die mit dem Heuberg verbunden waren. In Heinrich von Wittenweilers um 1400 mittelhochdeutsch verfaßtem ,Ring’ gilt der Heuberg beispielsweise auch als Sitz der Zwerge.“
Der „Heuberg“galt also als abgelegene, geheimnisvolle Gegend, der man zutraute, von Zwergen, Hexen und anderen Fabelgestalten bewohnt zu sein. Zumindest für den bayerischen Heuberg im Inntal hat man vermutet, dass der Name eigentlich „geheuter“(geheiter) Berg bedeutet, das heißt ein „verbotener“Berg, also ein verwunschener Ort, den man meiden sollte. Aus Funden der Bronzeund der Frühen Eisenzeit sind Kultplätze auf dem Heuberg wie das „Heidentor“bei Egesheim oder der „Götzenaltar“bei Böttingen bekannt.
„Der Heuberg war Mittelpunkt einer überregionalen Hexentanzvorstellung des alemannischen Raumes diesseits und jenseits des Bodensees“, so Wolfgang Behringer. Dabei stellt Behringer in seiner Geschichte der Hexengesetzgebung in Bayern fest, dass die Grenze der HeubergVorstellung nach Osten offenbar identisch mit der schwäbisch-bayrischen Sprachgrenze am Lech war: „Bei den Hexenverfolgungen der Jahre um 1590 flogen alle Hexen westlich des Lechs zum Heuberg, östlich davon gab es keine so ausgeprägte Vorstellung von einem überregionalen Hexentanzplatz: Nur solange der Scharfrichter von Biberach in Bayern tätig war, gestanden die Hexen aus Schongau, auch sie seien zum Heuberg geflogen.“
Mit anderen Worten: Auch die Scharfrichter und Folterer, die den Hexen ihre Geständnisse „in den Mund legten“, trugen dazu bei, dass sich bestimmte Vorstellungen – wie die vom Heuberg als Hexentanzplatz – überregional verbreiten konnten und schließlich zum Allgemeingut wurden.