Veto des Vaters ebnet den Weg zum Top-Manager
Der Trossinger Gerhard Neipp hat sein Glück jenseits der Baar gefunden - Ungeahnte Möglichkeiten genutzt
TROSSINGEN (lise) - Gerhard Neipp hat eine steile Karriere hingelegt. Im Alter von 19 Jahren hat der gebürtige Trossinger seine Heimat verlassen – unter anderem war er Vorstand der MAN Aktiengesellschaft und Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG. Seit 36 Jahren lebt er nun in Essen. Seine berufliche Laufbahn begann mit zarten 13 Jahren als Mechaniker-Lehrling bei Hohner. Das war der erste Schritt auf der Erfolgsspur, auf die ihn ein Veto seines Vaters brachte.
Neipps Geschichte beginnt am 16. August 1939 in der Lindenstraße 12. Im weiteren Verlauf seines Lebens wird ein 16. August Jahre später noch mehrmals eine zentrale Rolle einnehmen. Doch zurück zu den Anfängen. „Meine Erinnerungen an die Kindheit und Jugend beginnen in der Buchdruckerei Trossingen“, sagt Neipp. „Dort liegt der Ursprung meines bis heute erhaltenen Interesses an der Technik.“Mit seiner sieben Jahre älteren Schwester Hannelore und seinen Eltern lebte Neipp in der Dachwohnung der Buchdruckerei. Sein Vater arbeitete dort als Buchdrucker, seine Mutter in der Buchbinderei.
„Ich habe heute noch den Geruch von Blei in der Nase, da im Zimmer neben meinem Schlafraum ab 3 Uhr morgens die aus Leutkirch kommenden Matern der überregionalen Seiten mit Blei ausgegossen wurden“, erinnert er sich. Statt in den Kindergarten zu gehen, verbrachte Neipp den ganzen Tag im Maschinensaal „bei den faszinierenden Bogendruckmaschinen.“Sein Berufswunsch war daher naheliegend: „Eigentlich wollte ich Setzer werden, denn das war der anspruchsvollste Beruf in der Drucke. Doch mein Vater war dagegen“, erklärt Neipp. Er wollte nicht, dass sein Sohn im selben Betrieb wie er arbeitet. „Das war mein Glück“, stellt Neipp fest, „denn die Entwicklung zur Digitalisierung hat diesen Beruf aussterben lassen.“
So kam es, dass Neipp schon mit 13 Jahren seine Lehre zum Mechaniker bei Hohner begann. Ein Fernstudium kostete ihn zwar über zwei Jahre hinweg seine Wochenenden, eröffnete ihm aber beruflich weitere Chancen. Unter anderem legte er in Schwenningen eine Prüfung zum Technischen Zeichner ab. „Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass in Stuttgart der zweite Bildungsweg eröffnet wurde. Ich war einer der 30 ersten Absolventen bei 600 Bewerbern“, sagt er zu seinem nachgeholten Abitur. „So kam der Abschied mit 19 Jahren von Trossingen und meinem beliebten Freizeittreff, dem Trossinger Schwimmbad.“ Die Liebe fürs Leben Auch das Trossinger Schwimmbad wird, ebenso wie der 16. August, eine wichtige Rolle in Neipps Leben einnehmen. Wie er schildert, sei die Investition in das Trossinger Freibad für die Jugendlichen von besonderer Bedeutung gewesen. „Endlich konnte man in Trossingen Schwimmen lernen.“Für den jugendlichen Neipp eine wichtige Weichenstellung, wie er sagt. Denn zum einen hatte er zusätzlich zum Posaunenchor und der Jungschar eine Herausforderung in seiner Freizeit. „Ich wurde Schwimmlehrer und technischer Leiter der Rettungsschwimmer in der DLRG.“Zum anderen lernte er dabei, offen auf Menschen zuzugehen, was ihm später viele Chancen eröffnete, „denn bei meinen Berufen als Mechaniker oder Konstrukteur kam es nicht auf Kontaktpflege, sondern auf die Abarbeitung eines klar umrissenen Auftrages an.“
Dann kommt der 16. August 1958: „Ich lernte meine Frau Doris kennen, weil ich einer ihrer Freundinnen Schwimmunterricht gegeben hatte.“Fünf Jahre später wird geheiratet – ebenfalls am 16. August. Die Ehe hält bis heute. Gemeinsam mit den drei Kindern und deren Familien können Gerhard und Doris Neipp in diesem Jahr ihren 56. Hochzeitstag feiern. Chef von 11 000 Mitarbeitern Doch nicht nur privat läuft es gut bei Neipp. „Mit 39 Jahren wurde ich Vorstand der MAN Aktiengesellschaft und leitete den gesamten Maschinenund Stahlbau mit über 11 000 Mitarbeitern in den Werken Nürnberg und Gustavsburg. Es waren zu der Zeit die modernsten Produktionsstätten der Welt“, sagt er. „Um an der Spitze zu bleiben, setzte ich schon zu einer Zeit auf die Verwendung von Computern in der Konstruktion und an den Werkzeugmaschinen, als die Rechner noch langsam waren und zwei Millionen DMark kosteten.“Dass er von der Technik begeistert ist, zeigen die Details, die er bei seinen Erzählungen nennt. „Meine Arbeiten im Grenzbereich von Wissenschaft und Praxis führte letztlich zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Hochschule in Karlsruhe“, berichtet er.
In seinem Berufsleben hat Neipp viele Stationen mit verantwortungsvoller Position durchlaufen. Vor seinem Ruhestand, Ende 1999, war er Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG (RAG) in Essen – einem Unternehmen mit damals mehr als 100 000 Mitarbeitern.
Seither ist Neipp nicht mehr Industriemanager, sondern Segler, Pilot, Golfspieler, Maler, Musiker und Familienmensch. Bei Freizeitaktivitäten legt er großen Wert darauf, dass seine Familie dabei ist. Und heute reist er mit seiner Frau um die Welt, hält sich gerne auf seiner kleinen Insel, zwei Stunden von Toronto entfernt, auf. Oder geht im spanischen Denia auf Segeltour.
„Allein auf dem Segelschiff lebten wir viele Monate, oft im Heimatrevier Mittelmeer, oft auf Törn“, sagt Neipp, der seit nunmehr 36 Jahren in Essen lebt. „So kamen etwa 12 000 Seemeilen zusammen“, was etwas mehr als 22 000 Kilometern entspricht, rechnet er vor. „Das heißt, wir haben mit unserem Schiff fast 60 Prozent des Erdumfangs abgesegelt“, berichtet Neipp. „Jeden Sommer zog es uns in die kanadische Wildnis, möglichst für sechs bis acht Wochen“, schildert er die Abenteuerlust von ihm und seiner Frau.
Und irgendwie wird Gerhard Neipp auch immer mit Trossingen verbunden bleiben, auch wenn er heute nicht mehr aus der Lindenstraße, sondern von der Ruhr, seiner Insel in der kanadischen Wildnis oder seinem 16 Meter langen Segelschiff in Spanien grüßt. Schließlich hat er seine Frau im Trossinger Freibad kennengelernt – und mit der genießt er noch heute jeden Tag.