Polizei erschießt Straßburger Attentäter
Chérif Chekatt wird zwei Tage nach dem Anschlag bei Razzia im Stadtteil Neudorf getötet
PARIS/BERLIN (dpa/AFP) - Die französische Polizei hat den Attentäter von Straßburg erschossen. Chérif Chekatt wurde am Donnerstagabend nach Angaben aus Ermittlerkreisen bei einer Razzia im Viertel Neudorf südöstlich des Straßburger Zentrums getötet. Der 29-Jährige habe das Feuer auf Polizisten eröffnet und sei dann von den Beamten erschossen worden. Chekatt war am Dienstag nach dem Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt mit einem Taxi nach Neudorf geflohen.
Am Donnerstag hatte es in diesem Stadtteil einen Polizeieinsatz gegeben. Polizeibeamte nahmen dabei auch einen fünften Verdächtigen aus dem Umfeld des mutmaßlichen Attentäters in Gewahrsam. Die französische Polizei war mit 700 Kräften im Einsatz, außerdem hatte die Regierung die Soldaten im Anti-TerrorEinsatz verstärkt.
Auch die Bundespolizei hatte im Grenzgebiet nach dem mutmaßlichen Attentäter gefahndet, Spezialkräfte waren im Einsatz. Überwacht wurden Fahrzeuge, der Personenverkehr auf einer Fußgängerbrücke über dem Rhein sowie Züge und Straßenbahnen.
Die Zahl der Todesopfer stieg nach dem Terroranschlag von zwei auf drei. Ein viertes Opfer sei hirntot, bestätigte die Staatsanwaltschaft in Paris. Der Attentäter hatte am Dienstagabend das Feuer in der Straßburger Innenstadt eröffnet. Anschließend war er auf der Flucht vor der Polizei von Soldaten verletzt worden und danach verschwunden.
Auch die deutschen Behörden hatten sich in die Ermittlungen gegen Chekatt eingeschaltet. Die Bundesanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen den Angreifer wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung ein, sagte ein Sprecher der Behörde. Die Bundesanwaltschaft habe die Ermittlungen wegen der besonderen Bedeutung des Falles aufgenommen. Ein weiterer Grund sei, dass von dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt sechs Deutsche traumatisiert seien, wenn auch nicht körperlich verletzt.
Deutsche Behörden hatten Chekatt bereits Ende 2016 eine „hohe kriminelle Energie“bescheinigt. Die Verurteilung wegen schwerer Einbrüche offenbare „eine von rücksichtslosem Profitstreben geprägte Persönlichkeitsstruktur“und lasse annehmen, dass er „in Zukunft Straftaten ähnlicher Art und Schwere begehen“werde. Das geht aus der Anordnung des Regierungspräsidiums Freiburg für die Abschiebung aus der Haft hervor.
Das rbb-Inforadio berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise, Chekatt sei unmittelbar vor der Tat aus Deutschland angerufen worden. Er habe den Anruf jedoch nicht angenommen. Unklar sei, wer ihn angerufen habe und warum. Dieser Frage gehen deutsche Ermittler nun intensiv nach, wie der Sender berichtete.
Derweil wurde bekannt, dass auch der Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri mit zwei Islamisten aus Frankreich und Russland zusammengearbeitet und einen Sprengstoffanschlag in Deutschland geplant haben soll. Das geht aus einem Schreiben der Bundesanwaltschaft hervor. Darin sei festgehalten, dass Amri wegen eines möglichen Sprengstoffanschlags mit dem französischen Islamisten Clément B. in Kontakt stand. Beide verkehrten nach Angaben aus Sicherheitskreisen in der Berliner Fussilet-Moschee. Das Justizministerium habe das Schreiben an den Untersuchungsausschuss des Bundestags, der sich mit dem Fall Amri befasst, weitergeleitet, sagte ein Sprecher.
BERLIN - Mobile Poller, Gitterkörbe, Betonwände – mit einem Aufwand von 2,5 Millionen Euro ist der Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz in ein Bollwerk gegen Terror verwandelt worden. Das Attentat von Straßburg macht die Erinnerung an den Anschlag vom 19. Dezember 2016 wieder lebendig. Zwölf Tote und 70 Verletzte waren die Bilanz des ersten großen islamistischen Anschlags in Deutschland, bei dem der Tunesier Anis Amri an einem kalten Adventsabend einen riesigen Sattelschlepper mitten in die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche steuerte.
Jetzt, zwei Jahre später, ist der Markt wieder gut besucht. Zimtsterne und Musik, Spielzeug und Schmuck werden verkauft. An der Gedächtniskirche erinnert ein Denkmal an die Toten, doch die Besucher, die hier ihren Glühwein trinken oder ihre Würstchen essen, denken nicht mehr jeden Moment an die Katastrophe von 2016. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagt, der Anschlag von Straßburg zeige, dass die Terrorgefahr unverändert hoch sei. Auch in Berlin. Doch die Menschen auf dem Markt verlassen sich darauf, dass sie beschützt werden. Polizeiwagen sind in der Nähe, Polizisten patrouillieren zwischen den Buden. Parallelen zu Straßburg Auch in Straßburg gehen die Ermittler von einem terroristischen Hintergrund aus. Grünen-Chef Robert Habeck fordert Konsequenzen. „Die Tat aus Straßburg zeigt erneut, dass es zwingend sicherheitspolitischer Reformen im Umgang mit Gefährdern bedarf: Wie bei allen vergleichbaren Taten der letzten Jahre und Monate war der Täter seit langem auf dem Radar der Sicherheitsbehörden. Trotzdem wurde auch diese Tat nicht verhindert.“
So ähnlich sehen es auch die Hinterbliebenen der Opfer vom Breitscheidplatz. Schon im letzten Jahr warfen sie Kanzlerin Angela Merkel in einem öffentlichen Brief Versagen vor. Schließlich sei ein Top-Gefährder wie Anis Amri in Berlin nur an Werktagen observiert worden. „Zwölf Menschen könnten noch leben, 70 Verletzte unversehrt sein, wenn Behörden, allen voran NRW und Berlin, ihren Hintern hoch bekommen hätten“, zitieren die Angehörigen einen Kommentar von Claus Kleber. Sie sind wütend, wenn sie an den Trauergottesdienst mit Politikern auf dem Breitscheidplatz denken. Unmittelbar nach dem Attentat, zu einem Zeitpunkt, als sie selbst noch gar keine Gewissheit über den Tod ihrer Angehörigen hatten. Und sie warfen der Kanzlerin vor, ihnen nicht einmal kondoliert zu haben. Angela Merkel holte dies anlässlich des ersten Jahrestages des Attentats nach. Als „Tag der Trauer, aber auch als Tag des Willens, das, was nicht gut gelaufen ist, in Zukunft besser zu machen“, hat die Bundeskanzlerin da den 19. Dezember 2016 bezeichnet. Doch die Frage, ob der Anschlag hätte verhindert werden können, ist bis jetzt nicht geklärt.
Seit einem halben Jahr befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages mit dem Attentat. Doch FDP-Obmann Benjamin Strasser aus Ravensburg sagt, dass er vom bisherigen Verlauf des Untersuchungsausschusses sehr ernüchtert sei. „Zu Beginn des Verfahrens wussten wir bei Anis Amri von einem VMann, jetzt von acht“, so Strasser. Kein Vertrauen wiederhergestellt Dabei biete nach dem NSU-Ausschuss doch gerade der BreitscheidAusschuss die Chance, Vertrauen wiederherzustellen. Doch bis jetzt sei dies nicht gelungen. Schließlich stand der Attentäter Anis Amri schon länger unter Beobachtung.
Der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte zunächst immer bestritten, dass man eine Quelle im Umfeld von Anis Amri hatte. Das hat sich als falsch herausgestellt. Denn der Verfassungsschutz hatte eine Quelle in einer radikalen Berliner Moschee, die Amri als erstes in Berlin aufsuchte, dort verkehrte er auch regelmäßig. Wie nahe der Verfassungsschutz dem Terroristen kam, will die Opposition im Untersuchungsausschuss aufklären. Deshalb will sie den V-Mann-Führer vernehmen. Defizite bei der Überwachung, Zusammenarbeit und Informationsweitergabe innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union seien bis heute nicht abgestellt worden“, sagt Robert Habeck. Schon vorangekommen Während FDP, Grüne und Linke höchst unzufrieden sind, werten die Abgeordneten der Unionsfraktion die Arbeit anders. Obmann Volker Ullrich (CSU) meint, man käme recht ordentlich voran. Man habe den Weg des Attentäters in Deutschland von der Einreise über BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen bis Berlin nachvollzogen und das Verhalten des Verfassungsschutzes genau geprüft. Dabei habe sich gezeigt, dass man Verbesserungsbedarf in Ausländerbehörden und auch im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum habe sowie Abstimmungsbedarf mit den europäischen Nachbarn. Da sei auch schon viel geschehen.