Kühe in Pfronten trotten zuerst ins Tal
Journalistin sucht nach ihrer Haft in der Türkei den Weg zurück in die Normalität
PFRONTEN (jau) - Mit der Saison der Viehscheide geht der Bergsommer endgültig zu Ende. Zum Auftakt treiben die Älpler am heutigen Samstag in Pfronten (Kreis Ostallgäu) mehr als 400 Kühe ins Tal, um sie ihren Besitzern zu übergeben. Nach Angaben des Alpwirtschaftlichen Vereins sind in den vergangenen Monaten mehr als 28 000 Jungrinder, 2500 Milchkühe, 400 Pferde und rund 300 Ziegen und Schafe auf den Hochweiden des Allgäus gewesen.
NEU-ULM - Seit zwei Wochen ist die deutsche Journalistin Mesale Tolu, die türkische Wurzeln hat, wieder daheim: Sie lebt zusammen mit dem dreijährigen Serkan bei ihrer Familie in Neu-Ulm, wird von Freunden und Bekannten begrüßt. Ihr Schicksal in türkischer Haft und unter Anklage wegen angeblicher Terrorunterstützung hat Tolu zu einem gefragten Gast werden lassen. Zwei Beispiele: Die ARD-Journalistin Sandra Maischberger interviewte Tolu, ebenso haben Politiker im Europäischen Parlament sie zu persönlichen Treffen eingeladen: „Ein wahrer Marathon“, sagt Tolu im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“und fügt hinzu: „Jetzt muss bald Normalität in unser Leben zurückkehren.“ Kindergartenplatz frei gehalten Nach knapp acht Monaten in türkischer Haft von Ende April bis Mitte Dezember 2017 und weiteren acht Monaten, in denen sie mit einer Ausreisesperre belegt war, hatte ein türkisches Gericht Tolu im August die Ausreise nach Deutschland erlaubt.
Weitere Einladungen zu Talkshows und Anfragen zu Interviews stapeln sich auf dem Schreibtisch der 33-jährigen Journalistin und Übersetzerin. „In den ersten beiden Wochen nach meiner Rückkehr war ich viel unterwegs, habe viel berichtet, wurde viel gefragt, doch ab jetzt steht mein Sohn im Vordergrund“, berichtet Mesale Tolu und fügt hinzu: „Ab Montag wird unser Leben eine Spur normaler, denn ab Montag geht mein Sohn in den Kindergarten, ich werde ihn natürlich hinbringen und auch wieder abholen.“Den Kindergartenplatz hatte die Stadt NeuUlm der Familie Tolu frei gehalten.
Der dreijährige Bub war nach Tolus Verhaftung Ende April 2017 zunächst einige Tage von seiner Mutter getrennt. Danach hatte er zusammen mit Mesale Tolu monatelang im Gefängnis gelebt. Sie berichtet: „Serkan geht es sehr gut, er ist psychisch gut drauf, möchte viel erklärt bekommen und genießt es, hier im Haus unserer Familie leben zu können.“Die Urgroßmutter, der Großvater, Bruder Hüseyin mit seiner Familie und nun auch Mesale Tolu leben in dem Mehrfamilienhaus in der Neu-Ulmer Innenstadt. „Und nun hoffen wir, dass auch mein Mann, Suat Corlu, bald mit uns hier in Neu-Ulm leben wird.“
Bisher hatte Corlu, der in der Türkei wegen angeblicher Terrorpropaganda angeklagt ist und derzeit in Freiheit lebt, aber nicht ausreisen darf, seine eigenen Anliegen zurückgestellt: „Suat wollte, dass zuerst Serkan und ich ausreisen konnten“, berichtet Mesale Tolu, „jetzt hat er seinen Einspruch gegen die Ausreisesperre eingelegt.“
In den kommenden Wochen will sich Tolu in ihren freien Stunden bei ihren Unterstützern in der Region persönlich bedanken: „Ich bin noch nicht dazu gekommen, alle Freunde, alle Initiativen, alle Helfer anzusprechen, werde das aber jetzt tun.“ Kampf um Gerechtigkeit Gleichzeitig will Tolu sich politisch engagieren und für Gerechtigkeit und Pressefreiheit eintreten. Sie nutzt die Einladungen und Interviews, um vor anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu warnen. Trotz der jüngsten Entspannung zwischen Deutschland und der Türkei habe sich die Lage für Journalisten dort in keiner Weise verbessert. Regierungskritiker, darunter zahlreiche Medienschaffende, müssten weiter mit langen Haftstrafen Die NeuUlmer Journalistin Mesale Tolu ist am 20. September zu Gast beim Bodensee Business Forum in Friedrichshafen im Graf-Zeppelin-Haus. Informationen und Tickets unter: www.schwaebische.de/bbf rechnen. Sie betont zugleich, dass das Gespräch mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Gratwanderung sei. Die Opposition in der Türkei könne es nicht verstehen, dass der Präsident in Deutschland als Staatsgast empfangen werde.
Den Weg zurück in die Normalität einer Kleinfamilie in Neu-Ulm will Tolu schon bald unterbrechen, um zu ihrem Prozess im Oktober in die Türkei zurückzureisen: „Ich werde für meinen Freispruch kämpfen“, sagt sie. Sie wolle ihre Unschuld beweisen. Zugleich räumt sie ein, dass ihr als Urteil eine Haftstrafe in der Türkei drohen könnte. Zwar rechnen Kenner der Verhältnisse der türkischen Justiz eher nicht damit, dass sie dann wieder inhaftiert wird. „Wenn in einem laufenden Verfahren in der Türkei einmal eine Freilassung aus der U-Haft entschieden wurde, ist es zumindest nicht üblich – falls nicht irgendwelche neuen Punkte vorliegen – das wieder rückgängig zu machen“, sagt Amke Dietert, TürkeiExpertin von Amnesty International.
Gleichzeitig zeigen Hass-Mails und Pöbeleien per Twitter, teils mit übelsten persönlichen Beleidigungen, dass Mesale Tolu erbitterte Feinde hat. „Hauptsache, die kann sich nicht mehr in der Türkei rumtummeln“, heißt es in einem Tweet. „Die darf nie wieder türkischen Boden betreten“, in einem anderen. Noch ist Mesale Tolu nicht völlig frei.