Noten zum Fürchten und zum Träumen
Mit „Score“gelingt Matt Schrader eine längst überfällige Würdigung des Themas Filmmusik
anchmal, verrät Brian Tyler in „Score“, schleiche er sich heimlich in Kinovorführungen von Filmen, zu denen er den Soundtrack beigesteuert hat. Bei Actionstreifen wie „Avengers: Age of Ultron“beobachtet er dann das Publikum, um zu sehen, wie die Musik die Wirkung des Films verstärkt. Danach kommt der nächste Test, der ihm selber etwas peinlich ist: Tyler lungert nach der Vorführung in den Toilettenräumen des Kinos herum. Wenn dort jemand eine Filmmelodie von ihm nachsummt oder pfeift, verbucht er das Erfolg.
Die amüsante Szene in der Dokumentation bringt die beiden markantesten Funktionen von Filmmusik prägnant auf den Punkt. In erster Linie soll sie die Atmosphäre von Szenen unterstreichen – manchmal aber entfaltet sie auch ein Eigenleben, das weit über den Film hinausreicht. Als Beleg werden in „Score“berühmte Szenen aus „Psycho“und „Der Weiße Hai“erst mit und dann ohne Musikbegleitung gezeigt. Zwar sind sie auch ohne Ton gruselig, aber gerade bei „Psycho“fällt so eher auf, dass die rasche Schnittfolge den Mord hinter dem Duschvorhang eher andeutet als zeigt; erst die verstörende Musik trägt dazu bei, dass man sich das grausige Geschehen zwischen den Schnitten so richtig furchterregend ausmalt. Noten zum Fürchten Gleiches gilt für den weißen Hai – ohne Ton sieht man eine an und für sich recht harmlose Kamerafahrt unter Wasser. Erst das berühmte „Jaws“Thema von John Williams, das gerade mal aus zwei Noten besteht, verleiht der Szene ihre immense Bedrohung. Und das Eigenleben, das die Komposition seitdem entfaltete, lässt sich regelmäßig beobachten – man muss sich nicht lange an einem Strand, in einem Aquarium oder auf einem Tauchboot aufhalten, bis irgendein Scherzbold die Hai-Musik anstimmt.
Die Bedeutung von Filmmusik ist unbestritten, und Matt Schrader gebührt das Verdienst, dem Thema eine längst überfällige Würdigung zu bereiten. Dass es sich dabei um eine Herzensangelegenheit handelt, deutet die Entstehungsgeschichte der Dokumentation an: Der 1988 geborene Amerikaner gab seine Karriere als investigativer Fernsehjournalist auf, um sich ganz dem Film zu widmen. Mit eigenen Mitteln und der Unterstützung einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, machte er sich an das Projekt, bei dem zunächst drei Filmkomponisten im Mittelpunkt stehen sollten. Am Ende waren es mehr als 60 Interviews mit Komponisten aber auch Regisseuren wie James Cameron, Filmhistorikern, dem Musiker Moby und der Musikpsychologin Siu-Lan Tan.
Bei so viel geballter Kompetenz verzichtet der Filmemacher klugerweise auf einen Kommentar, lässt die umfassende Schar an Komponisten für sich sprechen – und natürlich auch deren Musik. Die Anfänge der Filmmusik werden recht zügig abgehakt mit Hinweisen wie dem, dass auch Stummfilme niemals stumm vorgeführt wurden, wobei die Klavierbegleitung anfangs auch dazu gedient habe, das Geräusch des Projektors zu übertönen. „King Kong“wird als der erste namhafte Film identifiziert, bei dem die Kraft von Filmmusik demonstriert wurde. Prägende Komponisten Den Großteil der mit eineinhalb Stunden recht kompakten Dokumentation nehmen dann die prägenden Komponisten der vergangenen Jahrzehnte ein: neben Williams etwa Danny Elfman und der deutschstämmige Hans Zimmer. Vor allem Letzterer erweist sich als unterhaltsamer Erzähler mit markanten Aussagen – etwa der, dass Filmmusik auch für den Fortbestand von Orchestern von großer Bedeutung sei.
Dem Orchester-Soundtrack gilt dann auch erkennbar das Hauptinteresse von Schrader. Zwar kommen auch eher elektronisch arbeitende Komponisten wie Trent Reznor und Atticus Ross („The Social Network“) zu Wort, am meisten Zeit nimmt sich die Doku aber, um zu zeigen, wie Orchestermusiker einen Soundtrack einspielen – teils ohne zuvor eigens dafür geübt zu haben.
So ist „Score“sicher keine erschöpfende Behandlung des Themas geworden, vermittelt aber gekonnt die Bedeutung der Filmmusik und die Leidenschaft ihrer Schöpfer. Der immense Zeitdruck dieser Arbeit klingt eher gelegentlich an, etwa wenn Komponisten erzählen, wie sie an Filmplakaten vorbeifahren, die ihren Namen tragen – und der Soundtrack zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ansatzweise fertig ist. Score – Eine Geschichte der Filmmusik. Regie: Matt Schrader. USA 2016. 93 Minuten. Mit Hans Zimmer, Danny Elfman. John Williams, Trent Reznor.