Richtungskämpfe in der Union
Angela Merkel will sich nicht nach rechts drängen lassen
BERLIN - Sie wirkt etwas angeschlagen. Schlechter gelaunt als sie zugeben mag, tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Morgen nach der Niedersachsen-Wahlschlappe im Adenauer-Haus auf. Es sei in den Parteigremien sehr viel über die Ausrichtung der Partei gesprochen worden, so die CDU-Chefin. Übersetzt heißt das: Es gab Kritik an ihrem Kurs.
„Es geht um eine sinnvolle und tragbare Migrationspolitik“hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff vor der CDU-Zentrale gerade kundgetan. Für Merkel ist die parteiinterne Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik aber nicht ihre Schuld, sondern die ihrer Kritiker. Wenn das Türkei-Abkommen in der Union nie als Wendepunkt angenommen worden sei, „wenn wir den Eindruck erwecken sollten, als ob sich zwischen 2015 und heute nichts getan hat, brauchen wir uns nicht zu wundern“, gibt sie den Kritikern mit auf den Weg.
Bernd Althusmann, der niedersächsische Spitzenkandidat, kartet nicht groß nach. Ja, antwortet er, er habe Rückenwind aus Berlin vermisst, aber es habe eben auch keine Wechselstimmung in Niedersachsen gegeben, sondern eine hohe Zufriedenheit mit der Regierung von Stephan Weil. Blick nach Österreich Doch Merkel muss nicht nur die Niederlage von Althusmann verdauen, der im August noch zwölf Prozentpunkte vor der SPD lag, sondern auch die Wahl in Österreich, wo mit Sebastian Kurz ein junger, ausgewiesen konservativer Politiker an der Spitze der ÖVP gewonnen hat. Und sie weiß auch, dass FDP-Vize Wolfgang Kubicki recht behalten wird. Schon am Wahlabend vermutete Kubicki, dass der Erfolg von Sebastian Kurz in Österreich dazu führen könne, dass die CSU in Bayern jetzt sagt: „Hätten wir uns so aufgestellt, hätten wir 58 Prozent bekommen und nicht 38.“Kubicki rechnet deshalb mit Problemen bei den Sondierungen.
Schon am nächsten Morgen wird Kubicki recht bekommen. „Österreich zeigt deutlich, dass Wahlen mitte-rechts gewonnen werden können“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Merkels neuer bester Freund Daniel Günther, Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein, hält dagegen. „Wenn Rechtsausleger richtig wären, hätten wir in Bayern andere Werte erzielt“, sagt dieser. Günther weist gerne darauf hin, dass gerade moderne Landesverbände auf Merkel-Kurs, so wie seiner in SchleswigHolstein, wie Saarland und Nordrhein-Westfalen, doch die größten Erfolge haben.
Doch das tröstet die CDU nicht über die Verluste bei der Bundestagswahl und der Landtagswahl in Niedersachsen hinweg. „Es ist Endzeitstimmung und selbst die eigene Mannschaft glaubt nicht mehr an sie“, stichelt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider.
Zumindest der CDU-Wirtschaftsrat macht Merkel öffentlich für die Niederlage verantwortlich. „Der Schlüssel für die Niederlage in Hannover liegt leider im Berliner Wahlabend am 24. September, als man die verheerenden Verluste von über acht Prozent zu einem strategischen Sieg schöngeredet hat“, zürnt der Generalsekretär des Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger. CSU-Chef Horst Seehofer zitiert dies genüsslich. Doch auch nach der neuen Wahlschlappe sagt Merkel, dass man zwar das Ziel, stärkste Kraft in Niedersachsen zu werden, nicht erreicht habe, aber immerhin doch das zweite Ziel: „Rot-Grün ist abgewählt.“Sie gehe nicht geschwächt in die Jamaika-Sondierung, „sondern mit dem Verständnis, dass wir die stärkste Kraft sind“.
Das Nachdenken über die Zeit nach Merkel, von CDU-Staatssekretär Jens Spahn und dem Kieler Ministerpräsident Daniel Günther schon vor der Bundestagswahl angefangen, wird sich verstärken. Auch die Junge Union blickt bewundernd nach Österreich zum jungen Wahlsieger Sebastian Kurz.
Der Nachwuchs hatte bereits auf seinem Deutschlandtag einen Neustart für die CDU und die Aufarbeitung der Bundestagswahl gefordert, dazu „neue und frische Gesichter“für die Bundesregierung. JU-Vorsitzender Paul Ziemiak freut sich jetzt auf die Klausur, in der die Aufarbeitung des Wahlergebnisses geschehen soll. Ältere erinnern sich allerdings, dass es schon mehrere solcher Klausuren gab, ohne dass spürbare Konsequenzen gezogen wurden.