Amnesty International berichtet von Massenhinrichtungen
Die Menschenrechtsorganisation klagt unfassbare Gräueltaten im syrischen Militärgefängnis Saidnaja an
ISTANBUL (dpa) - Die Henker kommen in der Nacht, wenn die Stille im syrischen Saidnaja-Gefängnis besonders erdrückend ist. Die Gefangenen stehen auf einer Plattform, die Augen verbunden, die Hände gefesselt. Die Henker legen die Schlinge erst dann um den Hals der Opfer, wenn alle zehn Galgen im Hinrichtungsraum besetzt sind. Dann stoßen sie einen nach dem anderen in den Tod.
Es sind Beschreibungen von unfassbaren Gräueltaten, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International für einen Bericht über systematische Massenhinrichtungen in dem syrischen Militärgefängnis Saidnaja gesammelt hat. Im Land ist es schon seit langem ein offenes Geheimnis, dass nur wenige Inhaftierte die Haftanstalt nördlich der Hauptstadt Damaskus wieder lebend verlassen. Amnesty belegt jetzt mit Aussagen von früheren Wächtern, Richtern, Anwälten und Insassen, was lange vermutet worden war.
Bis zu 13 000 Menschen ließ Syriens Regierung dem Amnesty-Bericht zufolge von 2011 bis 2015 dort hängen. Manchmal bis zu 50 Menschen auf einmal in nur einer Nacht, immer unter strengster Geheimhaltung. Ein Militärgericht hatte die Opfer zuvor zum Tode verurteilt, in Verfahren, die nur ein bis zwei Minuten gedauert hätten. Der Richter frage jeden Gefangenen, ob er schuldig sei, erzählte ein Augenzeuge: „Er (der Gefangene) wurde verurteilt, egal, ob er ja oder nein antwortete. Dieses Gericht hat nichts mit einem Rechtsstaat zu tun.“ Entzug von Wasser und Nahrung Geständnisse, so der Bericht, seien ausnahmslos unter Folter erzwungen worden. Die Leichen würden schließlich in Massengräbern auf Gelände des Militärs verscharrt, schreibt Amnesty. Die Familien der Opfer erhielten keine Nachricht über den Tod ihrer Angehörigen. Amnesty untermauert mit der Untersuchung zudem, was entlassene Gefangene in der Vergangenheit immer wieder ausgesagt haben: dass die Haftbedingungen unmenschlich sind. Die Häftlinge vegetieren in völlig überfüllten Zellen vor sich hin, immer im Dunkeln gehalten. Kranke sterben, ohne dass sie Hilfe bekommen. Willkürliche Folter ist genauso an der Tagesordnung wie der Entzug von Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung. Die Gefangenen hätten aus Verzweiflung das Kondenswasser von den Wänden geleckt, berichtete ein früherer Häftling.
Machthaber Baschar al-Assad wies Foltervorwürfe stets zurück. Es sei keine „realistische Geschichte“, dass der Präsident sein eigenes Volk töte, sagte er im vergangenen Herbst . Amnesty dagegen ist überzeugt, dass höchste Stellen der syrischen Regierung die Hinrichtungen in Saidnaja abgesegnet haben – und diese bis heute weitergehen. Die Organisation spricht von einer systematischen „Vernichtungspolitik“, um sämtliche Gegner Assads zum Schweigen zu bringen. Vor dem Beginn des Aufstandes 2011 habe die Regierung in Damaskus gefoltert, um an Informationen zu kommen, sagt der syrische Menschenrechtler Masen Darwisch, der selbst mehrfach in Haft saß. Frühere Berichte bestätigt Amnestys Erkenntnisse decken sich mit anderen Berichten über Gräueltaten. Ein Bericht des UN-Menschenrechtsrats prangerte vor einem Jahr an, Häftlinge in Gefängnissen würden totgeschlagen oder stürben an den Folgen der Folter. Schon vor drei Jahren waren rund 50 000 Bilder bekannt geworden, die ein Gefängnisfotograf mit dem Decknamen „Caesar“2013 aus dem Land geschmuggelt hatte. Sie zeigen Tausende Leichen von Gefangenen, viele mit Spuren schwerster Misshandlungen.
Der Amnesty-Bericht dürfte nicht ohne Folgen für die neuen Syrien-Gespräche im Februar bleiben. Das Schicksal Zehntausender Syrer, die in Gefängnissen verschwunden sind, stand für die Opposition schon bei den gescheiterten Verhandlungen im vergangenen Jahr weit oben auf der Liste. Menschenrechtler fordern, Assad und andere Verantwortliche müssten zur Rechenschaft gezogen werden.