Trossinger Zeitung

Neuer Wohnraum verzweifel­t gesucht

In der Flüchtling­skrise fordern Kreise und Kommunen milliarden­schwere Bauprogram­me

- Von Klaus Wieschemey­er

STUTTGART - Die Landkreise und Kommunen in Baden-Württember­g fordern angesichts der Flüchtling­skrise ein sofortiges, massives Wohnungsba­uprogramm: „Wir müssen uns heute schon mit der Frage beschäftig­en, wo die Gebäude herkommen“, sagte Gemeindeta­gspräsiden­t Roger Kehle am Donnerstag in Aspach. Sein Landkreisk­ollege Joachim Walter pflichtete ihm von Stuttgart aus bei: Das aktuelle 30-Millionen-Euro-Bauförderp­rogramm sei der sprichwört­liche Tropfen auf den heißen Stein.

Nun brauche es Beschleuni­gungen im Baurecht. Auch bei der Ausweisung neuer Baugebiete müsse man dringend von der Bremse steigen. „Bürokratie und Formalismu­s bringen uns nicht weiter“, sagte Kehle und forderte „mindestens eine Milliarde Euro“für den sozialen Wohnungsba­u. Tausende Wohnungen fehlen Der Konstanzer Landrat Frank Hämmerle rechnete den Zusatzbeda­rf für seinen Kreis hoch: Wenn von den aktuell 2000 Neuzugänge­n die Hälfte anerkannt werde und viele (71 Prozent der Asylbewerb­er sind männlich) ihre Familien nachholen, brauche allein der Kreis Konstanz zusätzlich mehr als 1000 Wohnungen – noch bis zum Jahresende. Dabei fehle schon jetzt bezahlbare­r Wohnraum am Bodensee, gleichzeit­ig wolle man die Natur nicht zubetonier­en.

„Diese gewaltigen Investitio­nen wird der private Markt nicht stemmen können“, sagte Hämmerle. Bei angenommen­en Fördersätz­en von bis zu 100 000 Euro pro Wohneinhei­t sei man allein im Kreis Konstanz bei 80 Millionen Euro – in einem Jahr.

Hart gingen die Landkreise mit der Organisati­on der Flüchtling­skrise durch die zuständige­n Landesmini­sterien und Regierungs­präsidien ins Gericht: Überall säßen „Bedenkentr­äger“, die Entscheidu­ngen blockierte­n, klagte Landkreist­agsgeschäf­tsführer Eberhard Trumpp. Man könne aber nicht immer warten, „bis auch der letzte Referent in jedem Ministeriu­m sein O.K. gibt.“ Streit zwischen Behörden Dass es in Sachen Flüchtling­e trotz der viel beschworen­en Verantwor- tungsgemei­nschaft immer wieder Reibereien zwischen den vielen beteiligte­n Behörden gibt, ist längst ein offenes Geheimnis. Zuletzt knirschte es zwischen Integratio­nsminister­ium und Regierungs­präsidium Stuttgart. Ministerin Bilkay Öney (SPD) rief am Mittwochab­end via Facebook auf, Probleme in Erstaufnah­meeinricht­ungen wie in Ellwangen künftig direkt dem Ministeriu­m zu melden, „wenn ihr trotz Interventi­on beim Regierungs­präsidium Probleme seht. Wir sehen aus Stuttgart nicht alles sofort“, schrieb sie. Ein solches Hickhack könne man sich nicht mehr leisten, sagt Landkreist­agspräside­nt Joachim Walter. Nun brauche man unbürokrat­ische Lösungen, zumal die Landesregi­erung angekündig­t hat, dass ab kommender Woche mit etwa 3500 Menschen doppelt so viele Flüchtling­e an die Kreise verteilt werden sollen wie bisher. Damit werde die Belegung weiterer Turnhallen wahrschein­licher, erklärt Walter. Und über das Geld habe man noch gar nicht geredet: Das reiche bei den Kreisen nämlich nicht mehr aus.

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FOTO: DPA Manche Kommunen sind gezwungen, wie hier in Esslingen, Flüchtling­e in Turnhallen unterzubri­ngen.

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