Neuer Wohnraum verzweifelt gesucht
In der Flüchtlingskrise fordern Kreise und Kommunen milliardenschwere Bauprogramme
STUTTGART - Die Landkreise und Kommunen in Baden-Württemberg fordern angesichts der Flüchtlingskrise ein sofortiges, massives Wohnungsbauprogramm: „Wir müssen uns heute schon mit der Frage beschäftigen, wo die Gebäude herkommen“, sagte Gemeindetagspräsident Roger Kehle am Donnerstag in Aspach. Sein Landkreiskollege Joachim Walter pflichtete ihm von Stuttgart aus bei: Das aktuelle 30-Millionen-Euro-Bauförderprogramm sei der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.
Nun brauche es Beschleunigungen im Baurecht. Auch bei der Ausweisung neuer Baugebiete müsse man dringend von der Bremse steigen. „Bürokratie und Formalismus bringen uns nicht weiter“, sagte Kehle und forderte „mindestens eine Milliarde Euro“für den sozialen Wohnungsbau. Tausende Wohnungen fehlen Der Konstanzer Landrat Frank Hämmerle rechnete den Zusatzbedarf für seinen Kreis hoch: Wenn von den aktuell 2000 Neuzugängen die Hälfte anerkannt werde und viele (71 Prozent der Asylbewerber sind männlich) ihre Familien nachholen, brauche allein der Kreis Konstanz zusätzlich mehr als 1000 Wohnungen – noch bis zum Jahresende. Dabei fehle schon jetzt bezahlbarer Wohnraum am Bodensee, gleichzeitig wolle man die Natur nicht zubetonieren.
„Diese gewaltigen Investitionen wird der private Markt nicht stemmen können“, sagte Hämmerle. Bei angenommenen Fördersätzen von bis zu 100 000 Euro pro Wohneinheit sei man allein im Kreis Konstanz bei 80 Millionen Euro – in einem Jahr.
Hart gingen die Landkreise mit der Organisation der Flüchtlingskrise durch die zuständigen Landesministerien und Regierungspräsidien ins Gericht: Überall säßen „Bedenkenträger“, die Entscheidungen blockierten, klagte Landkreistagsgeschäftsführer Eberhard Trumpp. Man könne aber nicht immer warten, „bis auch der letzte Referent in jedem Ministerium sein O.K. gibt.“ Streit zwischen Behörden Dass es in Sachen Flüchtlinge trotz der viel beschworenen Verantwor- tungsgemeinschaft immer wieder Reibereien zwischen den vielen beteiligten Behörden gibt, ist längst ein offenes Geheimnis. Zuletzt knirschte es zwischen Integrationsministerium und Regierungspräsidium Stuttgart. Ministerin Bilkay Öney (SPD) rief am Mittwochabend via Facebook auf, Probleme in Erstaufnahmeeinrichtungen wie in Ellwangen künftig direkt dem Ministerium zu melden, „wenn ihr trotz Intervention beim Regierungspräsidium Probleme seht. Wir sehen aus Stuttgart nicht alles sofort“, schrieb sie. Ein solches Hickhack könne man sich nicht mehr leisten, sagt Landkreistagspräsident Joachim Walter. Nun brauche man unbürokratische Lösungen, zumal die Landesregierung angekündigt hat, dass ab kommender Woche mit etwa 3500 Menschen doppelt so viele Flüchtlinge an die Kreise verteilt werden sollen wie bisher. Damit werde die Belegung weiterer Turnhallen wahrscheinlicher, erklärt Walter. Und über das Geld habe man noch gar nicht geredet: Das reiche bei den Kreisen nämlich nicht mehr aus.