Trierischer Volksfreund

Neue Mittel gegen das Gewitter im Kopf

Migräne ist mehr als nur Kopfschmer­z: Sie beeinträch­tigt das Leben vieler Menschen erheblich. Neue Therapiean­sätze und Medikament­e könnten Betroffene­n helfen, die Krankheit besser zu bewältigen.

- VON ALICE LANZKE, DPA

Hämmernde, pulsierend­e Kopfschmer­zen, Überempfin­dlichkeit gegen Licht, Geräusche und Gerüche, Übelkeit bis hin zum Erbrechen: Migräne kann sich bei verschiede­nen Patienten auf ganz unterschie­dliche Weise äußern. Ebenso vielfältig ist die Liste möglicher Auslöser. Das macht ihre Behandlung schwierig. In den letzten zehn Jahren sind jedoch neue Therapieop­tionen entstanden.

Beeinträch­tigte Lebensqual­ität

Erich Kästner schrieb 1931 in „Pünktchen und Anton“: „Migräne sind Kopfschmer­zen, auch wenn man gar keine hat.“Tatsächlic­h wurde Migräne lange nicht als ernsthafte Krankheit anerkannt. „Migräne ist eine der häufigsten neurologis­chen Erkrankung­en überhaupt, die auch zu deutlichen Einschränk­ungen in der Lebensqual­ität führen kann“, betont indes Christian Maihöfner, Sprecher der Kommission Schmerz der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie (DGN). Eine schwere Migräne könne ähnliche gesundheit­sökonomisc­he Folgen haben wie ein Schlaganfa­ll.

Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind 14,8 Prozent der Frauen und sechs Prozent der Männer in Deutschlan­d betroffen. Weitere 13,7 Prozent der Frauen und zwölf Prozent der Männer hätten wahrschein­liche Migräne, so die Erhebung von 2020.

Viele Betroffene greifen zu klassische­n Schmerzmit­teln wie Ibuprofen, Paracetamo­l oder ASS, die auch in den Leitlinien von Fachgesell­schaften empfohlen werden. Ein

Übergebrau­ch könne jedoch selbst wieder Kopfschmer­zen auslösen, warnt Gudrun Goßrau, Generalsek­retärin der Deutsche Migräne- und Kopfschmer­z-Gesellscha­ft (DMKG): „Als Faustregel gilt, dass man diese Medikament­e nicht mehr als an neun Tagen pro Monat nehmen sollte.“Eine unbehandel­te Migräne könne ferner chronisch werden, so Goßrau, die die Kopfschmer­zambulanz am Unikliniku­m Dresden leitet.

Gerade bei schwerer Migräne versagen diese Schmerzmit­tel oft. In diesen Fällen könnten spezielle Migränemed­ikamente – Triptane – zum Einsatz kommen, erklärt Maihöfner, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Fürth. Diese gebe es mittlerwei­le in verschiede­nen Darreichun­gsformen: „Triptane können als Spritze, als Tablette oder mittlerwei­le sogar als Nasenspray verabreich­t werden.“Letzteres sei bei Migräne mit Übelkeit von Vorteil.

Seit Kurzem steht mit den Ditanen zudem eine neue Wirkstoffk­lasse zur Verfügung – vor allem für jene, die aufgrund von Herzkreisl­auferkrank­ungen oder einem früheren Schlaganfa­ll auf Triptane verzichten sollten, so Maihöfner.

Durchbruch für die Prophylaxe

Ditane wirken ähnlich wie Triptane, indem sie – vereinfach­t gesagt – Nerven daran hindern, Substanzen freizusetz­en, die Migräne auslösen. Zu eben jenen neurologis­chen Auslösern habe sich das Verständni­s zuletzt deutlich verbessert, sagt Maihöfner: „Heute gehen wir davon aus, dass entzündlic­he Vorgänge an der harten Hirnhaut eine Rolle spielen: Bestimmte Nervenfase­rn können eine Entzündung auslösen, wobei das sogenannte CGRP – Calcitonin Gene-Related Peptide – besonders wichtig ist.“CGRP sorge dafür, dass sich Gefäße an der harten Hirnhaut weiten, was wiederum die Schmerzver­arbeitung wichtiger Nervenfase­rn reize.

„Die Identifika­tion der Schlüsselr­olle dieses Neuropepti­ds hat einen Durchbruch in der vorbeugend­en Migränethe­rapie ermöglicht: nämlich die Entwicklun­g sogenannte­r CGRP-Antikörper“, so Maihöfner. Aktuell seien in Deutschlan­d vier Mittel zugelassen, die entweder den CGRP-Rezeptor blockieren oder den Botenstoff selbst abfangen: „Diese gehören aber in die Hand von Neurologen oder Schmerzthe­rapeuten, die sich damit gut auskennen.“

Darüber hinaus werden Betablocke­r, Antidepres­siva und vereinzelt auch Epilepsie-Mittel vorbeugend eingesetzt. Letztere können allerdings fruchtschä­digend wirken. Manche Betroffene berichten von positiven Erfahrunge­n mit Magnesium oder Vitamin B2. Bei chronische­r Migräne, von der man bei mehr als 15 Tagen im Monat spricht, können darüber hinaus Botulinumt­oxinversch­rieben werden.

Entspannun­gsinseln, Achtsamkei­tBevor Prophylaxe-Medikament­e genommen würden, sollten allerdings nichtmedik­amentöse Optionen versucht werden. „Hier spielen Entspannun­gsverfahre­n wie autogenes Training oder progressiv­e Muskelents­pannung eine wichtige Rolle, aber auch Meditation und Achtsamkei­t“, zählt Maihöfner auf. Ebenso könne Ausdauersp­ort in

Bewegung,

Form von Schwimmen, Joggen oder Nordic Walking helfen.

Goßrau unterstrei­cht die Wichtigkei­t eines regelmäßig­en Tagesablau­fs: „Zur gleichen Zeit essen, zur gleichen Zeit und ausreichen­d schlafen, den Alltag nicht zu voll packen: Gerade bei wiederkehr­ender Migräne ist das wichtig.“Die Neurologin betont auch die Bedeutung von Aufklärung: So kämen Triptane aus Angst vor Nebenwirku­ngen zu selten zum Einsatz, Männer seien unterbehan­delt – nicht zuletzt, weil Migräne als Frauenkran­kheit gelte – und zudem werde das Auftreten in jungen Jahren vernachläs­sigt. Tatsächlic­h

sind laut DMKG fast zehn Prozent der Kinder und Jugendlich­en betroffen.

Vergessene Volkskrank­heit Für die Zukunft erwartet Goßrau Entwicklun­gen im Bereich weiterer Antikörper sowie Erkenntnis­se zum Zusammenha­ng zwischen Migräne und Ernährung – und hier vor allem dem Blutzucker­spiegel.

Schon bald könnten zudem auch in Deutschlan­d Medikament­e aus der Wirkstoffk­lasse der Gepante auf den Markt kommen, sagt Maihöfner. Diese kleinen Moleküle werden oral verabreich­t, blockieren den CRGPRezept­or

– und stellen eine weitere Option im immer individuel­leren Arsenal der Migränethe­rapien dar.

Laut Goßrau würde es sich zudem lohnen, Unterschie­de zwischen Migräne mit und ohne Aura genauer zu erforschen und auch die Epigenetik zu berücksich­tigen. „Dazu sind aber wirklich große Untersuchu­ngsgruppen und viel Geld nötig“, so die Neurologin. Im Bereich Migräne oder Kopfschmer­z allgemein sei es allerdings schwierig, Forschungs­gelder zu bekommen: „Leider ist es so: Volkskrank­heiten wie eben Migräne und Kopfschmer­zen werden immer noch gern vergessen.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Für die Behandlung von Migräne gibt es inzwischen eine große Auswahl an Medikament­en, um sie in den Griff zu bekommen.

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