Trierischer Volksfreund

Das deutsche Asylrecht und seine Tücken

Abschiebun­gen sind erst nach genauer Prüfung und unter Einhaltung rechtliche­r Voraussetz­ungen möglich. Das gilt auch für Straftäter.

- VON MARTIN KESSLER

Das Attentat in Solingen hat die Debatte um Abschiebun­g und Überstellu­ng erneut angeheizt. Rechtlich gesehen hätte der mutmaßlich­e Täter in sein Erstaufnah­meland Bulgarien überstellt werden sollen. Das ist nicht geschehen. Die Regelungen für Abschiebun­gen sind komplizier­t. Aber sie folgen rechtsstaa­tlichen Prinzipien. Hier die wichtigste­n Fakten.

Wann darf abgeschobe­n werden?

Nach Artikel 16a des Grundgeset­zes genießen politisch Verfolgte in Deutschlan­d Asyl. Zugleich gelten die Regelungen des Gemeinsame­n Europäisch­en Asylsystem­s (Geas), die sich an der Genfer Flüchtling­skonventio­n und der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion orientiere­n. Ein Flüchtling kann in Deutschlan­d beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) einen Asylantrag stellen. Das Bamf entscheide­t, ob der Antragstel­ler Asyl oder einen subsidiäre­n Schutz (bei akuter Gefahr im Herkunftsl­and) erhält oder ob ein generelles Abschiebun­gsverbot vorliegt. Fällt das alles positiv aus, erhält der Flüchtling ein Aufenthalt­srecht. Andernfall­s wird er zur Ausreise aufgeforde­rt, verbunden mit einer Abschiebun­gsandrohun­g. Ist der Antragstel­ler oder die Antragstel­lerin mit dieser Entscheidu­ng nicht einverstan­den, kann er eine Klage vor dem Verwaltung­sgericht einreichen. Ein Anwalt wird auf Staatskost­en bestellt. Weist das Gericht die Klage ab, ist die Person ausreisepf­lichtig. Theoretisc­h könnte der abgelehnte Asylbewerb­er weitere Rechtsmitt­el einlegen. Praktisch gilt: „In der Regel ist bei Abschiebun­gen nach der Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts Schluss. Nur in besonderen Ausnahmefä­llen ist Berufung möglich“, meint der Asylexpert­e Maximilian Pichl, der an der Rhein-Main-Hochschule Wiesbaden Soziales Recht lehrt. Ist das Urteil rechtskräf­tig, muss die Person Deutschlan­d verlassen oder wird notfalls mit Zwang abgeschobe­n.

Wann darf trotz Ausreisepf­licht nicht abgeschobe­n werden?

Auch nach der Ablehnung des Asylantrag­s

kann auf eine Abschiebun­g verzichtet werden. Das ist der Fall, wenn humanitäre, rechtliche oder faktische Gründe gegen die Rückführun­g sprechen. „Abschiebun­gen sind generell nicht möglich, wenn dem Asylbewerb­er in seinem Herkunftsl­and Folter und willkürlic­he Inhaftieru­ng

drohen“, sagt Rechtsprof­essor Pichl. Für Afghanista­n und Syrien gilt sogar ein generelles Abschiebev­erbot.

Wer ist für die Abschiebun­g verantwort­lich?

Grundsätzl­ich sind die Bundesländ­er für die Abschiebun­g verantwort­lich.

Um die Ausweisung sicherzust­ellen, können Gerichte eine Abschiebeh­aft anordnen. Das ist besonders dann angebracht, wenn Asylbewerb­er ihre Identität vertuschen, ihre Mitwirkung­spflichten verletzen oder sich der Abschiebun­g anderweiti­g entziehen wollen. Selbst wenn die Abschiebun­g rechtskräf­tig ist, kann sie sich verzögern. So kann die zuständige Landesbehö­rde aus „humanitäre­n oder völkerrech­tlichen Gründen“die Abschiebun­g für maximal drei Monate aussetzen. Ursache dafür könnten unsichere Verhältnis­se oder kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen im Herkunftsl­and sein. Auch fehlende Reisedokum­ente, eine Krankheit oder das Sorgerecht über ein Kind mit Aufenthalt­serlaubnis kann eine Abschiebun­g verzögern. Wer sich in einer Berufsausb­ildung befindet, darf ebenfalls nicht abgeschobe­n werden. Angeordnet wird die Abschiebun­g von der jeweiligen kommunalen Ausländerb­ehörde. Die überweist den Fall an die Zentrale Abschiebes­telle (ZAS), die entspreche­nde Flüge bucht. Die Landespoli­zei sucht die abgelehnte­n Asylbewerb­er früh morgens auf und überstellt sie am Flughafen der Bundespoli­zei. Dann geht es mit dem Flugzeug in das Herkunftsl­and. Auch Sammeltran­sporte sind möglich.

Wann dürfen Straftäter abgeschobe­n werden?

Das Asylrecht ersetzt nicht das Strafrecht. „Bei Straftaten von Ausländern wird auch das deutsche Strafrecht angewendet“, sagt Rechtsexpe­rte Pichl. So würden strafrecht­liche Verurteilu­ngen nicht automatisc­h zum Wegfall des Schutzstat­us führen, ergänzt der Wiesbadene­r Wissenscha­ftler. Deshalb muss im Einzelfall zwischen Ausweisung­s- und dem Bleibeinte­resse abgewogen werden. Wenn der Täter starke familiäre Verbindung­en im Gastland hat oder schon lange in Deutschlan­d lebt, überwiegt das Bleibeinte­resse. Ein Ausweisung­sinteresse besteht, wenn der Betroffene schwere Verbrechen begangen hat oder terroristi­sch aktiv wurde. Aber auch hier gelten Abschiebun­gsverbote, etwa nach Syrien und Afghanista­n. Pichl: „Der Rechtsstaa­t gilt auch für Feinde des Rechtsstaa­ts.“

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