Das deutsche Asylrecht und seine Tücken
Abschiebungen sind erst nach genauer Prüfung und unter Einhaltung rechtlicher Voraussetzungen möglich. Das gilt auch für Straftäter.
Das Attentat in Solingen hat die Debatte um Abschiebung und Überstellung erneut angeheizt. Rechtlich gesehen hätte der mutmaßliche Täter in sein Erstaufnahmeland Bulgarien überstellt werden sollen. Das ist nicht geschehen. Die Regelungen für Abschiebungen sind kompliziert. Aber sie folgen rechtsstaatlichen Prinzipien. Hier die wichtigsten Fakten.
Wann darf abgeschoben werden?
Nach Artikel 16a des Grundgesetzes genießen politisch Verfolgte in Deutschland Asyl. Zugleich gelten die Regelungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas), die sich an der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention orientieren. Ein Flüchtling kann in Deutschland beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen Asylantrag stellen. Das Bamf entscheidet, ob der Antragsteller Asyl oder einen subsidiären Schutz (bei akuter Gefahr im Herkunftsland) erhält oder ob ein generelles Abschiebungsverbot vorliegt. Fällt das alles positiv aus, erhält der Flüchtling ein Aufenthaltsrecht. Andernfalls wird er zur Ausreise aufgefordert, verbunden mit einer Abschiebungsandrohung. Ist der Antragsteller oder die Antragstellerin mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, kann er eine Klage vor dem Verwaltungsgericht einreichen. Ein Anwalt wird auf Staatskosten bestellt. Weist das Gericht die Klage ab, ist die Person ausreisepflichtig. Theoretisch könnte der abgelehnte Asylbewerber weitere Rechtsmittel einlegen. Praktisch gilt: „In der Regel ist bei Abschiebungen nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schluss. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist Berufung möglich“, meint der Asylexperte Maximilian Pichl, der an der Rhein-Main-Hochschule Wiesbaden Soziales Recht lehrt. Ist das Urteil rechtskräftig, muss die Person Deutschland verlassen oder wird notfalls mit Zwang abgeschoben.
Wann darf trotz Ausreisepflicht nicht abgeschoben werden?
Auch nach der Ablehnung des Asylantrags
kann auf eine Abschiebung verzichtet werden. Das ist der Fall, wenn humanitäre, rechtliche oder faktische Gründe gegen die Rückführung sprechen. „Abschiebungen sind generell nicht möglich, wenn dem Asylbewerber in seinem Herkunftsland Folter und willkürliche Inhaftierung
drohen“, sagt Rechtsprofessor Pichl. Für Afghanistan und Syrien gilt sogar ein generelles Abschiebeverbot.
Wer ist für die Abschiebung verantwortlich?
Grundsätzlich sind die Bundesländer für die Abschiebung verantwortlich.
Um die Ausweisung sicherzustellen, können Gerichte eine Abschiebehaft anordnen. Das ist besonders dann angebracht, wenn Asylbewerber ihre Identität vertuschen, ihre Mitwirkungspflichten verletzen oder sich der Abschiebung anderweitig entziehen wollen. Selbst wenn die Abschiebung rechtskräftig ist, kann sie sich verzögern. So kann die zuständige Landesbehörde aus „humanitären oder völkerrechtlichen Gründen“die Abschiebung für maximal drei Monate aussetzen. Ursache dafür könnten unsichere Verhältnisse oder kriegerische Auseinandersetzungen im Herkunftsland sein. Auch fehlende Reisedokumente, eine Krankheit oder das Sorgerecht über ein Kind mit Aufenthaltserlaubnis kann eine Abschiebung verzögern. Wer sich in einer Berufsausbildung befindet, darf ebenfalls nicht abgeschoben werden. Angeordnet wird die Abschiebung von der jeweiligen kommunalen Ausländerbehörde. Die überweist den Fall an die Zentrale Abschiebestelle (ZAS), die entsprechende Flüge bucht. Die Landespolizei sucht die abgelehnten Asylbewerber früh morgens auf und überstellt sie am Flughafen der Bundespolizei. Dann geht es mit dem Flugzeug in das Herkunftsland. Auch Sammeltransporte sind möglich.
Wann dürfen Straftäter abgeschoben werden?
Das Asylrecht ersetzt nicht das Strafrecht. „Bei Straftaten von Ausländern wird auch das deutsche Strafrecht angewendet“, sagt Rechtsexperte Pichl. So würden strafrechtliche Verurteilungen nicht automatisch zum Wegfall des Schutzstatus führen, ergänzt der Wiesbadener Wissenschaftler. Deshalb muss im Einzelfall zwischen Ausweisungs- und dem Bleibeinteresse abgewogen werden. Wenn der Täter starke familiäre Verbindungen im Gastland hat oder schon lange in Deutschland lebt, überwiegt das Bleibeinteresse. Ein Ausweisungsinteresse besteht, wenn der Betroffene schwere Verbrechen begangen hat oder terroristisch aktiv wurde. Aber auch hier gelten Abschiebungsverbote, etwa nach Syrien und Afghanistan. Pichl: „Der Rechtsstaat gilt auch für Feinde des Rechtsstaats.“