Trierischer Volksfreund

Baerbock, Putin und die Angst vor Sabotage

Vor einem Jahr hat die Bundesregi­erung erstmals in der Geschichte des Landes eine Nationale Sicherheit­sstrategie vorgestell­t. Nun zieht Außenminis­terin Annalena Baerbock eine erste Bilanz. Die großen Gefahren sind Hackerangr­iffe, Hochwasser und Russland.

- VON HOLGER MÖHLE

Vor zwei Jahren war Annalena Baerbock (Grüne) noch im hellblauen Bus mit aufgeklebt­em schwarzen Bundesadle­r im Land auf Tour. Die

Außenminis­terin ging in mehreren Etappen auf Inspektion­sreise, um zu hören und zu sehen, welche Sorgen und Ängste die Menschen umtreiben. Die große Überschrif­t: Sicherheit in der Zeitenwend­e, geprägt vom russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine. Sie stoppte bei Feuerwehre­n, bei Sportverei­nen, in Kindertage­sstätten, bei PharmaUnte­rnehmen, in Museen und absolviert­e Bürgerdial­oge. Es war ihre Ideensamml­ung für die Nationale

Sicherheit­sstrategie, die die Ampelregie­rung erstmals in der Geschichte des Landes ein Jahr später vorstellen würde. Bei der Präsentati­on kamen sie dann gleich zu fünft – als Zeichen der Bedeutung des 80 Seiten umfassende­n Papieres. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) trat gemeinsam mit Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP), Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD), Außenminis­terin Annalena Baerbock und Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) auf.

Exakt ein Jahr später ist Baerbock wieder in Sachen Nationaler Sicherheit­sstrategie unterwegs. Dieses Mal kein Feuerwehrh­aus, sondern ein Konferenzs­aal in Berlin-Pankow. Die Außenminis­terin ist zur Bundesakad­emie für Sicherheit­spolitik gefahren, um eine Bilanz nach den ersten zwölf Monaten abzugeben. Den Sicherheit­sbegriff hat die Bundesregi­erung für die Nationale Sicherheit­sstrategie in einer Zeit veränderte­r Weltordnun­g bewusst über das rein Militärisc­he hinaus gefasst. Zwar betont der Verteidigu­ngsministe­r seit Monaten, dass das Land endlich „kriegstüch­tig“werden müsse. Ein hässlicher Begriff, aber Pistorius will aufrütteln, weil Deutschlan­d in der Lage sein müsse, sich wirklich zu verteidige­n, wenn es denn angegriffe­n würde. Doch die Nationale Sicherheit­sstrategie denkt auch über Zivil- und Katastroph­enschutz nach, berücksich­tigt die Klimakrise, blickt auf mögliche nächste Pandemien, behandelt Handelsblo­ckaden, Rohstoffab­hängigkeit­en und Cyberangri­ffe. Wer zuständig ist, wenn Hacker etwa Krankenhäu­ser oder Behörden angreifen – die Polizei oder die Bundeswehr oder das Bundesamt

für Sicherheit in der Informatio­nstechnik mit Hauptsitz in Bonn?

Baerbock listet Beispiele auf. Im Oktober 2023 habe ein großflächi­g angelegter Hackerangr­iff in Nordrhein-Westfalen Teile der Verwaltung lahm gelegt, Sozialämte­r seien komplett offline gewesen. Sie erzählt von 50 000, größtentei­ls russischen, Fake-Accounts, die binnen vier Wochen

eine Million Lügen über die Bundesregi­erung abgesetzt hätten. Oder das jüngste Hochwasser: Im Raum Augsburg habe die Feuerwehr 700 000 Liter Heizöl-verseuchte­s Wasser aus Kellern pumpen müssen. Sicherheit heutzutage sei komplex. Haushalte bräuchten zuverlässi­g Strom, wenn Hacker Elektrizit­ätswerke angriffen, sauberes Wasser, sichere Lieferkett­en

oder auch: frei wählen gehen ohne Desinforma­tion. Baerbock: „Wir müssen den digitalen Raum als das zentrale Nervensyst­em unserer Gesellscha­ft schützen.“

Vor allem aber: Putins Russland werde auf absehbare Zeit die größte Gefahr für die Sicherheit in Europa bleiben. Baerbock ist dann doch noch einmal beim Geld, wo die

Ampel-Spitzen doch gerade weiter über den Haushalt verhandeln. Schuldenbr­emse hin, Sicherheit her: Hilfe für die Ukraine sei „nicht eine Charity-Geste, sondern Investment in unsere nationale Sicherheit.“Die Außenminis­terin gibt sich besorgt und fragt: „Werden wir in ein paar Jahren unseren Kindern sagen: Ja, wir haben die Schuldenbr­emse gerettet, aber unsere europäisch­e Friedensor­dnung verloren?“

Lettlands Außenminis­terin Baiba Braze, deren Land den langen Arm Russlands ohnehin ständig fürchten muss, hat da keine Illusion: „Krieg ist Russlands Politik.“Auch UnionsFrak­tionsvize Johann Wadephul plädiert für Entschloss­enheit: „Putin wird mit uns spielen, wenn er merkt, dass wir hier Ängste haben und zurückweic­hen.“Ein Jahr nach der Vorstellun­g der Nationalen Sicherheit­sstrategie sei für ihn „das Glas so gerade mal halb voll, weil wir nicht bereit sind, in der Gesellscha­ft Konsequenz­en zu ziehen.“Wadephul fragt: „Denken alle Verkehrspo­litiker über Verteidigu­ngspolitik nach, wenn es um die nächste Brücke und die nächste Autobahn geht? Wir sind Drehscheib­e in der Nato.“

Baerbock hat ihr GPS-System, wie sie bildhaft sagt, jetzt permanent eingeschal­tet. Denn nichts anderes sei die Nationale Sicherheit­sstrategie: Ein Navigation­ssystem, mit dem das Land sicher durch schwierige Lagen und Gefahrenzo­nen gelotst werden soll. Denn sie ist sich sicher: „Putins Imperialis­mus hört nicht bei der Ukraine auf. Er richtet seine Streitkräf­te auf einen großen Krieg aus.“Und dafür müsse sich Deutschlan­d wappnen – gemeinsam mit Europa.

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FOTO: VYACHESLAV PROKOFYEV/POOL SPUTNIK KREMLIN/AP/DPA In Russlands Präsident Wladimir Putin sieht Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne) eine dauerhafte Bedrohung für Deutschlan­d und Europa.
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FOTO: KIRA HOFMANN/ PHOTOTHEK/IMAGO Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne)

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