„Freiheit zur Abtreibung“kommt in die Verfassung
Der französische Senat hat am Mittwochabend für die Verfassungsänderung gestimmt. Eine Abstimmung steht noch aus.
Mit den Worten, die er kurz nach 20 Uhr am Mittwochabend in sein Mikrofon sprach, schrieb Senatspräsident Gérard Larcher Geschichte. „Der Senat hat angenommen“, sagte der 74-Jährige, nachdem er das Ergebnis der Abstimmung über den Schwangerschaftsabbruch verkündet hatte. Die von Konservativen dominierte zweite Parlamentskammer stimmte mit überraschend großer Mehrheit dafür, die „garantierte Freiheit“zur Abtreibung in die Verfassung aufzunehmen. Frankreich ist damit das erste Land weltweit, das Frauen die Möglichkeit einer Abtreibung verfassungsmäßig garantiert. Am Montag soll der Kongress, der aus Senat und Abgeordnetenhaus besteht, die Verfassungsänderung mit Drei-Fünftel-Mehrheit beschließen. Da die Nationalversammlung bereits für das Projekt stimmte, gilt eine Verabschiedung als sicher.
Anlass für den Verfassungszusatz war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA gewesen, der im Juni 2022 das landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbruch aufgehoben hatte. Auch Ungarn hatte im selben Jahr das Abtreibungsrecht eingeschränkt. Um Ähnliches in Frankreich zu verhindern, wollte Präsident Emmanuel Macron das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankern. Auf Initiative der Konservativen wurde der erste Entwurf in der Nationalversammlung etwas abgeändert, so dass nun von einer „Garantie“statt von einem „Recht“die Rede ist.
„Die Frauen sind frei. Es war wichtig, dass beide Parlamentskammern das aussprachen“, begrüßte Justizminister Eric Duponddas Senatsvotum. Rechtsextremisten um den früheren Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour hatten sich bis zuletzt gegen den Verfassungseintrag gewehrt. Der ultrarechte Fernsehsender CNews, eine französische Version des US-Senders Fox News, hatte vor Abtreibungen als „erster Todesursache“weltweit gewarnt, „noch vor Krebs und Tabakkonsum“.
86 Prozent der Französinnen und Franzosen unterstützen – laut einer Umfrage aus dem Jahr 2022 – eine Verankerung des Rechts auf Abtreibung in der Verfassung. Sogar die Anhängerinnen und Anhänger des rechtspopulistischen Rassemblement National sind mehrheitlich dafür. RN-Fraktionschefin Le Pen hielt sich mit Blick auf die erzkatholische Wählerschaft in der Debatte zurück. Es bestehe kein Anlass, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung zu schreiben, sagte die Anwältin.
Der konservative Senatspräsident Larcher sah das ähnlich. Das Recht auf Abtreibung sei nicht bedroht, bemerkte er in einem Radiointerview. „Die Verfassung ist kein Katalog sozialer und gesellschaftlicher Rechte.“Auch der Fraktionschef der Konservativen im Senat, Bruno Retailleau, sprach sich gegen den Verfassungsrang aus. Für die Abstimmung hob er allerdings den Fraktionszwang auf, so dass 267 Senatoren dafür und nur 50 dagegen stimmten. In den vergangenen Tagen hatten mehrere Senatoren in Interviews gesagt, sie seien von Frauen in ihrem Umfeld davon überzeugt worden, für die Verfassungsänderung zu votieren. „Ich wurde von meiner Lebensgefährtin, meinen Nichten und Schwiegertöchtern angesprochen“, berichtete der konservative Senator Thierry Meignen der Zeitung „Le Parisien“. „Bevor ich als Abtreibungsgegner
abgestempelt werde, wollte ich doch lieber auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.“Meignen stimmte also mit Ja.
Die damalige Gesundheitsministerin Simone Veil hatte im Jahr 1975 das Recht auf Abtreibung gegen konservative Kräfte in den eigenen Reihen durchgesetzt. Die „Loi Veil“ermöglichte 2022, dem letzten erfassten Jahr, 234 300 Abtreibungen – eine Zahl, die seit Jahren weitgehend stabil ist. Die gesetzliche Frist für einen Schwangerschaftsabbruch wurde von zwölf auf 14Wochen verlängert. Damit soll den Schwangeren mehr Zeit gegeben werden, einen Arzt oder eine Ärztin für den Eingriff zu finden. Da immer weniger Mediziner die wenig lukrative Abtreibung vornehmen, sind vor allem Französinnen in ländlicheren Regionen des Landes gezwungen, ins Ausland zu gehen.