Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Weimar keine Stadt der Zuflucht mehr
Der Verein, der jahrelang bedrohte Autoren aus dem Ausland aufnahm, steht vor dem Aus
Russland, Belarus, Iran, Afghanistan – die Liste der Länder, in denen Menschen ihre Meinung nicht frei äußern können, wird nicht kürzer. Gerade Kunstschaffende, Journalisten und Schriftsteller sind dort nicht sicher. Deshalb entstand Mitte der 90er-Jahre das internationale Programm „Städte der Zuflucht“. Auch Weimar gehört dazu, hat seit 2001 insgesamt 18 Personen aufgenommen und betreut. Damit soll nun Schluss sein.
Journalist Babak und Arzt Kawoos Siawash aus Afghanistan waren die letzten, die 2021 in Weimar Zuflucht bekamen. Walters Sachs holt aktuell die letzten Sachen aus der Wohnung in Weimar-Nord, in der einige Gäste des Vereins „Weimar – Stadt der Zuflucht“unterkamen. Walter Sachs ist dessen langjähriger Vorsitzender. Ende Februar beschlossen die Mitglieder die Auflösung. Es mangelt nicht, wie bei vielen Vereinen, an Mitgliedern oder Finanzierung. Stattdessen werden die Hürden, um flüchtende Personen aufzunehmen, immer größer.
Stadt will nicht mehr haften
Zum einen wird es schwerer, von außerhalb in die Europäische Union einzureisen. Zum anderen funktioniert die Zusammenarbeit mit dem PEN-Zentrum (Poets, Essayists, Novelists) nicht mehr. Die Schriftstellervereinigung hatte sonst hilfesuchenden Autoren an die Zufluchtsstädte vermittelt. Den Kooperationsvertrag habe der PEN gekündigt, erklärt Walter Sachs. Als Zufluchtsorte sollen eher Großstädte in den Fokus genommen werden, habe der PEN zu verstehen gegeben.
Etwa 60 Städte und Regionen gibt es vor allem in Europa, die sich bereit erklärt haben, bedrohte Kunstschaffende aufzunehmen. Die Zahl schrumpft, eben weil die Aufnahme
so schwierig geworden ist. Um Menschen Zuflucht bieten zu können, braucht es außerdem die Unterschrift auf einer Verpflichtungserklärung, mit der ein Visum zusammenhängt. Die Städte müssen sich verpflichten, über mehrere Jahre für den Geflüchteten zu haften.
Dazu erklärte sich die Stadt Weimar bisher immer bereit, wenngleich der Verein „Weimar – Stadt der Zuflucht“stets für alle anfallenden Kosten aufkam. Die Wohnstätte vermietete zu günstigen Konditionen, auf Sparkassenstiftung, Fördermittelgeber und spendende Privatleute war Verlass. Walter Sachs half den Gästen bei Papierkram und
Behördengängen. Der Bildhauer kennt sich in den bürokratischen Anforderungen rund um das Ausländerrecht aus und versteht dennoch vieles nicht: Die Gesetzgebung sei an vielen Stellen in sich widersprüchlich.
Und nun setzt die Stadt Weimar keine Unterschrift mehr unter die Verpflichtungserklärung zum Visaantrag für Eingeladene. „Die aktuellen gesetzlichen Bestimmungen versagen uns diese Möglichkeit leider“, heißt es dazu aus dem Rathaus. Man könne nicht unmittelbar weiterhelfen, vielmehr müsse eine Privatperson die Verpflichtungserklärung unterschreiben.
Dabei hat sich an den Gesetzen wenig geändert. Andere Städte bürgen weiter für die geflüchteten Autoren. Walter Sachs würde das gern, doch er kann nicht mehr. Gesundheitlich kommt der Bildhauer, der in diesem Jahr 70 wird, an seine Grenzen. Andere Vereinsmitglieder, die die Verantwortung übernehmen wollen, ließen sich nicht finden. Doch Externen steht die Vereinsübernahme oder eine Neugründung offen.
Bis auf Weiteres steht jedoch Weimar – die Stadt, die mit der Weimarer Klassik aber auch Buchenwald in doppelter Verantwortung steht – als Zufluchtsort vor dem Aus.