Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Unterwegs auf Kanadas schönster Halbinsel
Natur und Abenteuer verspricht eine Reise auf Cape Breton Island entlang des „Cabot Trails“– einer ganz besonderen Küstenstraße
Hoch oben am Ufer der St. Ann’s Bay erteilt uns Angelo Spinazzola einen Schnellkurs im Kajakfahren. „Unsere Einer sind schneller, aber wackeliger, mit den stabileren Doppelkajaks ist Kentern fast unmöglich“, erklärt der drahtige Kanadier mit einem Augenzwinkern, „Also, wer will ein Tandem?“Fast alle Hände fliegen nach oben.
Wir bilden Zweierteams, es geht an die Trockenübungen: „Taucht nicht zu tief mit den Paddeln ein und haltet die Hände schön mittig am Steg, etwa so.“Unser Guide macht es vor, dann wedeln auch wir rhythmisch in der Luft. Zum Schluss zwängen wir uns in enge Schwimmwesten und klettern unten am Steg in die kippeligen Kajaks. Wir zurren den Spritzwasserschutz in der Taille fest und Angelo hilft uns, ihn um die Einstiegslöcher zu spannen; ein Kraftakt.
„Und ganz wichtig“, so seine letzte Lektion, „solltet ihr doch kentern, einfach vorne an der Lasche ziehen, so könnt ihr euch vom Kajak losmachen.“Kurz wird uns mulmig, doch das Gefühl von Freiheit und Abenteuer gewinnt. ihn hier hügelige Waldlandschaften umrahmt von Atlantikblau; statt Didgeridoo dudelt hier die Fiedel, ein schottisches Erbe der Region.
Und mit etwas Glück kommt er, wie wir, in den Genuss des rund 300 Kilometer langen „Cabot Trails“. Jener Küstenroute, an der auch Angelos Paddel-Paradies liegt. Unsere Kajaks haben wir schnell unter Kontrolle und gleiten im Gleichtakt über den Fjord. In der Herbstsonne glitzert er wie ein Diamantenmeer. In Schattierungen von Grün, Orange und Glutrot zieht das dicht bewaldete Ufer an uns vorbei, der Beginn des wunderschönen Indian Summer.
„Schaut, da!“, ruft Angelo nach einer Weile und zeigt nach oben. Drei Weißkopfseeadler kreisen über uns – in einem wolkenlosen Himmel. Es ist ein unbezahlbarer Glücksmoment, der es schwer macht, von diesem Ort Abschied zu nehmen. Weiter geht es Richtung Norden, entlang perlweißer Naturstrände, schroffer Küsten, versprengter Örtchen mit bunten Holzhäusern.
Ab Neil’s Harbour windet sich der „Cabot Trail“langsam hinauf in den Cape Breton Highlands Nationalpark. Ulmen, Birken, Tannen und der dunkelrot verfärbte Ahorn überziehen das majestätische Hochplateau. Hinter jeder Kurve ein neues, fantastisches Bild. Wir haben längst aufgehört, unsere „Wows“zu zählen. Über den Fischerort Pleasant Bay, an dem der „Cabot Trail“kurz wieder das Meer erreicht, schrauben wir uns abermals hinauf in die Highlands. Unser Ziel: der „Skyline Trail“.
Der rund neun Kilometer lange Rundweg gilt als einer der schönsten aller 26 Wanderwege des Nationalparks. Kojoten und Schwarzbären auf der Suche nach Blaubeeren streifen frei durch diese Wälder – und ein weiterer Vierbeiner, dem wir bald Auge in Auge gegenüberstehen werden. Miranda Dodd erwartet uns schon am Eingang des Trails. „Nun, wir haben hier gerade einen etwas stürmischen Elch“, warnt uns die Rangerin mit einem schrägen Lächeln. „Die Tiere sind mitten in der Brunft, wir müssen daher ein paar Regeln einhalten.“Die wichtigste davon lautet: Abstand halten.
Und tatsächlich, schon bald kreuzt eine imposante Elchkuh unseren Weg, ihr Rücken höher als ein Türrahmen! Unbeirrt bleibt sie wenige Meter entfernt stehen und knabbert an den jungen Trieben einer Tanne – ihre Leibspeise. Sie scheint bester Laune, doch das kann schnell ins Gegenteil kippen.
Uns bleibt nichts, als in einem großen Bogen um sie herum zu stapfen, mitten durch eine verwunschene, von Farnen und knorrigen Bäumen bedeckte Landschaft. Wir folgen dem Trail, stolpern über Baumwurzeln, finden Spuren von Bären. Immer wieder erhaschen wir Aussichten aufs Meer, bis wir den Wald hinter uns lassen und sich der Blick ganz und gar öffnet. Silbrig schimmernd liegt der Sankt-Lorenz-Golf nun vor uns. Himmel, Highlands und Meer treffen an diesem Ort wie in einem Gemälde aufeinander.
Hier sagen sich Finnwal, Elch und Adler Gute Nacht
In der Ferne schlängelt sich der „Cabot Trail“entlang der Berghänge. Sprachlos stehen wir vor so viel Schönheit. Es ist ein Moment, den jeder auf seine Weise nicht nur mit der Kamera, sondern auch in seinem inneren Schatzkästchen festhält. Cape Breton Island, wo sich Finnwal, Elch und Adler Gute Nacht sagen, ist seit Jahrtausenden auch Heimat der indianischen Mi’kmaq-Gemeinschaft – lange bevor schottische und französische Siedler ihnen das Land streitig machten.
Heute leben sie ein Leben wie alle anderen auch, halten dennoch alte Traditionen wie die Jagd, die Musik und auch ihre Sprache lebendig. Die Communitys leben heute am Bras d’Or Lake im Zentrum der Insel. An diesem See, der eigentlich mehr ein salziger Fjord ist, liegt auch das charmante Örtchen Baddeck. Es ist unser letztes Ziel auf dem „Cabot Trail“.
Wir steuern die „Silver Dart Lodge“an. Ihr Name geht zurück auf ein TragflügelFlugzeug, das Alexander Graham Bell vor über hundert Jahren entwickelt hatte. Der Schotte, bekannt als Erfinder des Telefons, hatte seine zweite Lebenshälfte in Cape Breton verbracht. Das Bell Museum in Baddeck ist voll von Artefakten des Tausendsassas.
Früh zieht es mich am nächsten Morgen für ein paar Yoga-Übungen hinaus an den Bras d’Or Lake. Wolkenloses Himmelblau spiegelt sich in ihm. Eine Möwe segelt im Tiefflug vorbei. Diese Stille, diese friedliche Weite. Ich muss an ein altes Zitat von Bell denken: „Ich bin um den Globus gereist. Ich habe die Rockys gesehen, die Anden, die Alpen und die schottischen Highlands, aber mit seiner schlichten Schönheit übertrifft Cape Breton sie alle.“Er hatte recht. Und um meine Reiseerfahrung komplett zu machen, werde ich heute Abend tatsächlich meinen allerersten Hummer kosten.