Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Ein Alligator auf glitzerndem Plunder
Die Kunstsammlung Jena widmet sich dem künstlerischen Schaffen Ernst Haeckels und seinem Einfluss auf die Nachwelt
Jena. Ernst Haeckel war nicht nur der geniale Zoologe und Evolutionsbiologe, er war auch ein begnadeter Zeichner. Er schuf unzählige wissenschaftliche Skizzen, aber auch kunstvolle Darstellungen von Meeresbewohnern wie Quallen, Seesternen oder Tintenfischen. Haeckels künstlerischem Werk sowie seinen Einflüssen auf die Nachwelt widmet sich die neue Ausstellung der Kunstsammlung Jena: „Kunstformen der Natur. Zum 100. Todestag von Ernst Haeckel“.
Kurator Erik Stephan zeigt neben einer Vielzahl prächtiger Zeichnungen des Jenaer Starbiologen auch Werke von fünf zeitgenössischen Künstlern, darunter Arbeiten, die explizit Bezug auf Haeckel nehmen, wie eine acht Blätter umfassende Fotoserie von Eva-Maria Schön. Hierfür hat die Berliner Künstlerin Motive von Haeckel ausgedruckt, zu Skulpturen geformt und diese anschließend wieder abgelichtet. Faszinierend sind auch ihre Atemstudien. In experimentellen Serien hat EvaMaria Schön frisch aufgetragene Farbe mit dem Atem aufgewirbelt und auf diese Weise ganz eigentümliche Formen kreiert, die teils an Atompilze
oder Quallen erinnern.
Auch ihre Kölner Kollegin Nora Schattauer hat Freude an Experiment und Reihung. Für ihre Arbeiten tröpfelt sie mit der Pipette mineralische Lösungen auf vorbereitete Gründe, die dann chemisch reagieren und mitunter erst nach Tagen ihre eigentliche Wirkung entfalten. So lässt sie unter anderem pastellene Netz- oder Zellstrukturen entstehen. Auch ein Briefwechsel zwischen Schattauer und Schön kann in der Ausstellung studiert werden.
Die auffälligsten Arbeiten steuert der Amerikaner Mark Dion bei. Eines seiner Themen sind die Wunderkammern, die im 16. und 17. Jahrhundert kuriose Exponate aus Wissenschaft und Kunst vereinten. Ein recht kleines Kuriositätenkabinett schuf er als Künstlerbuch. Darin versammelt er in flachen Schaukästen diverse Fundstücke wie das Bruchstück einer Seeigelschale oder ein perlmuttfarbenes Schneckenhaus.
Einen ganz besonderen Reiz besitzt Dions ästhetisch schöne, skurril-ironische Installation „Alligator Mississippiensis“. Hier thront die Replik eines Alligatorenschädels auf einem Kissen, das aus altem Schmuck und glänzendem Flohmarktplunder geformt wurde – der Alligator als Krönung der Schöpfung? Der New Yorker Künstler hinterfragt nur allzu gern humorvoll die geläufigen Ansichten über Natur, biologische Ordnungen und Hierarchien. Aber nicht nur der Kroko-Verwandte erhält eine Aufwertung, auch der Plunder glitzert in seiner Anhäufung verführerisch geheimnisvoll. Man erhält für einen Moment den Hauch einer Ahnung, was Elstern an schillernden Schlüsselringen und Kronkorken so anziehend finden.
Von Haeckel selbst sind 80 Blätter zu sehen, darunter seine bekannten „Kunstformen der Natur“, die er von 1899 bis 1904 in Fortsetzung herausgab und die den Jugendstil stark beeinflussten. Die wohl berühmteste und prächtigste Zeichnung zeigt die Scheibenqualle „Desmonema annasethe“. Haeckel benannte die Medusenart nach seiner ersten Frau, die relativ kurz nach der Hochzeit starb. Anna Sethe blieb zeit seines Lebens seine große Liebe, auch wenn er später ein zweites Mal heiratete.
Das Quintett zeitgenössischer