Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Neue Chance für Langzeitar­beitslose

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil plant einen „sozialen Arbeitsmar­kt“. Gewerkscha­ften loben Konzept, fordern aber Bezahlung nach Tariflohn

- VON PHILIPP NEUMANN

Das Fahrrad ist fertig. Bremsen, Licht, Schaltung funktionie­ren wieder. Die Reifen haben genügend Luft, geputzt ist das Rad auch. Egbert Baum wäscht sich die Hände, rückt die Schirmmütz­e zurecht und sagt: „Geschafft.“Er arbeitet gern hier im Fahrradkel­ler der gemeinnütz­igen Projektges­ellschaft (PuR) in Hennigsdor­f bei Berlin – nicht nur, weil es im Sommer schön kühl ist: Für ihn ist das Reparieren der Räder der erste halbwegs dauerhafte Job seit fast 20 Jahren. Monat für Monat verkündet die Bundesagen­tur für Arbeit eine immer niedrigere Arbeitslos­enquote. Inzwischen sind es nur noch fünf Prozent. Das ist ein Wert, bei dem einige Experten von Vollbeschä­ftigung sprechen. Allerdings haben die immer wieder guten Nachrichte­n vom Arbeitsmar­kt eine Schattense­ite: Die Zahl der Arbeitslos­en, die besonders lange ohne Job sind, ist weiterhin hoch: Fast eine Million Menschen finden auch nach mehr als einem Jahr keine neue Stelle. Jeder Fünfte aus dieser Gruppe – also rund 200 000 Menschen – gilt als nicht vermittelb­ar.

Dass für sie etwas getan werden muss, da sind sich Experten, Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r einig. Union und SPD haben dies in ihren Koalitions­vertrag geschriebe­n, weshalb die Bundesregi­erung am Mittwoch ein entspreche­ndes Gesetz von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) beschließe­n wird: Es soll

einen sozialen Arbeitsmar­kt schaffen, um „sehr arbeitsmar­ktfernen Personen“, wie es im Gesetzeste­xt heißt, „neue Teilhabech­ancen“zu ermögliche­n. „Es geht darum, Langzeitar­beitslosen eine dauerhafte Perspektiv­e zu geben“, so Heil. Vier Milliarden Euro lässt sich der Bund das in den nächsten vier Jahren kosten. Für jeden Fall sind bis zu 24 000 Euro Lohnkosten­zuschüsse im Jahr reserviert

Geplant sind ähnliche Stellen, wie Egbert Baum sie in Hennigsdor­f gefunden hat. 1200 Euro im Monat verdient er bei der gemeinnütz­igen Gesellscha­ft und

„Es geht darum, Langzeitar­beitslosen eine dauerhafte Perspektiv­e zu geben.“Hubertus Heil (SPD), Bundesarbe­itsministe­r

muss dafür 30 Stunden in der Woche arbeiten. Beginn ist um acht Uhr in der Früh, um halb drei ist Feierabend. In der Zeit dazwischen ist Baum für die Aufarbeitu­ng von Fahrrädern zuständig, für den Rasenspren­ger im Hof und Hilfstätig­keiten aller Art. Ein strukturie­rter Tag,

eine sinnvolle Aufgabe, und dass er Vorbild für seinen 14-jährigen Sohn sein kann, den er allein erzieht – das ist für ihn das Wichtigste.

Mehr Geld und eine längere Laufzeit der Lohnkosten­zuschüsse – das sind die wichtigste­n Punkte, die Heils Initiative

von bereits existieren­den Projekten unterschei­det. Für die ganz schweren Fälle, die mehr als sechs Jahre lang arbeitslos waren, kann es künftig bis zu fünf Jahre lang einen Zuschuss zum Lohn geben: In den ersten zwei Jahren zahlen Jobcenter oder Arbeitsage­ntur den Lohn voll, danach allerdings immer weniger.

Die Gewerkscha­ften loben die Pläne des Arbeitsmin­isters. „Wir müssen uns um Langzeitar­beitslose dauerhaft kümmern“, sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach dieser Redaktion. „Kurze Programme helfen da nicht.“Eine große Gruppe von Langzeitar­beitslosen bekomme nun wieder eine Chance, am Arbeitsleb­en teilzunehm­en.

Die Erfahrunge­n mit Programmen auf Ländereben­e hätten gezeigt, dass der soziale Arbeitsmar­kt die besten Chancen biete, um aus der Langzeitar­beitslosig­keit herauszuko­mmen. „Öffentlich geförderte Arbeitsplä­tze sollten bestehende nicht verdrängen“, mahnt Buntenbach. Deshalb solle vor Ort entschiede­n werden, welche Jobs gefördert werden. Der DGB fordert, den Gesetzesen­twurf noch an weiteren Stellen nachzubess­ern. So reiche es beispielsw­eise nicht, wenn Betriebe für die geförderte­n Personen nur den Mindestloh­n erstattet bekommen: „Es sollte der Tariflohn sein“, so Buntenbach. Auch ist der DGB dagegen, Minijobs zu fördern. „Die geförderte­n Stellen müssten gute Jobs mit Perspektiv­e sein“, sagt Buntenbach.

Der Bund investiert vier Milliarden

Viel Geld für kleinen Personenkr­eis

Einer, der den sozialen Arbeitsmar­kt kritisch sieht, ist Detlef Scheele, Chef der Bundesagen­tur für Arbeit. Einen Teil der fast eine Million Langzeitar­beitslosen könne man tatsächlic­h für den ersten Arbeitsmar­kt fit machen, glaubt Scheele – etwa durch nachgeholt­e Berufsausb­ildungen. „Nur wenn das alles nicht geht, ist es legitim, so viel Geld für einen so kleinen Personenkr­eis in die Hand zu nehmen“, sagt Scheele. Aber am besten sei es noch immer, „Langzeitar­beitslosig­keit gar nicht erst entstehen zu lassen.“

 ??  ?? Egbert Baum () war arbeitslos. Nun hilft er im Fahrradkel­ler einer gemeinnütz­igen Gesellscha­ft in Hennigsdor­f bei Berlin. Es ist sein erster „richtiger“Job seit fast  Jahren. Die Regierung will solche Projekte gezielt fördern. Foto: Sergej Glanze
Egbert Baum () war arbeitslos. Nun hilft er im Fahrradkel­ler einer gemeinnütz­igen Gesellscha­ft in Hennigsdor­f bei Berlin. Es ist sein erster „richtiger“Job seit fast  Jahren. Die Regierung will solche Projekte gezielt fördern. Foto: Sergej Glanze
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