Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Neue Chance für Langzeitarbeitslose
Arbeitsminister Hubertus Heil plant einen „sozialen Arbeitsmarkt“. Gewerkschaften loben Konzept, fordern aber Bezahlung nach Tariflohn
Das Fahrrad ist fertig. Bremsen, Licht, Schaltung funktionieren wieder. Die Reifen haben genügend Luft, geputzt ist das Rad auch. Egbert Baum wäscht sich die Hände, rückt die Schirmmütze zurecht und sagt: „Geschafft.“Er arbeitet gern hier im Fahrradkeller der gemeinnützigen Projektgesellschaft (PuR) in Hennigsdorf bei Berlin – nicht nur, weil es im Sommer schön kühl ist: Für ihn ist das Reparieren der Räder der erste halbwegs dauerhafte Job seit fast 20 Jahren. Monat für Monat verkündet die Bundesagentur für Arbeit eine immer niedrigere Arbeitslosenquote. Inzwischen sind es nur noch fünf Prozent. Das ist ein Wert, bei dem einige Experten von Vollbeschäftigung sprechen. Allerdings haben die immer wieder guten Nachrichten vom Arbeitsmarkt eine Schattenseite: Die Zahl der Arbeitslosen, die besonders lange ohne Job sind, ist weiterhin hoch: Fast eine Million Menschen finden auch nach mehr als einem Jahr keine neue Stelle. Jeder Fünfte aus dieser Gruppe – also rund 200 000 Menschen – gilt als nicht vermittelbar.
Dass für sie etwas getan werden muss, da sind sich Experten, Gewerkschaften und Arbeitgeber einig. Union und SPD haben dies in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, weshalb die Bundesregierung am Mittwoch ein entsprechendes Gesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) beschließen wird: Es soll
einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen, um „sehr arbeitsmarktfernen Personen“, wie es im Gesetzestext heißt, „neue Teilhabechancen“zu ermöglichen. „Es geht darum, Langzeitarbeitslosen eine dauerhafte Perspektive zu geben“, so Heil. Vier Milliarden Euro lässt sich der Bund das in den nächsten vier Jahren kosten. Für jeden Fall sind bis zu 24 000 Euro Lohnkostenzuschüsse im Jahr reserviert
Geplant sind ähnliche Stellen, wie Egbert Baum sie in Hennigsdorf gefunden hat. 1200 Euro im Monat verdient er bei der gemeinnützigen Gesellschaft und
„Es geht darum, Langzeitarbeitslosen eine dauerhafte Perspektive zu geben.“Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister
muss dafür 30 Stunden in der Woche arbeiten. Beginn ist um acht Uhr in der Früh, um halb drei ist Feierabend. In der Zeit dazwischen ist Baum für die Aufarbeitung von Fahrrädern zuständig, für den Rasensprenger im Hof und Hilfstätigkeiten aller Art. Ein strukturierter Tag,
eine sinnvolle Aufgabe, und dass er Vorbild für seinen 14-jährigen Sohn sein kann, den er allein erzieht – das ist für ihn das Wichtigste.
Mehr Geld und eine längere Laufzeit der Lohnkostenzuschüsse – das sind die wichtigsten Punkte, die Heils Initiative
von bereits existierenden Projekten unterscheidet. Für die ganz schweren Fälle, die mehr als sechs Jahre lang arbeitslos waren, kann es künftig bis zu fünf Jahre lang einen Zuschuss zum Lohn geben: In den ersten zwei Jahren zahlen Jobcenter oder Arbeitsagentur den Lohn voll, danach allerdings immer weniger.
Die Gewerkschaften loben die Pläne des Arbeitsministers. „Wir müssen uns um Langzeitarbeitslose dauerhaft kümmern“, sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach dieser Redaktion. „Kurze Programme helfen da nicht.“Eine große Gruppe von Langzeitarbeitslosen bekomme nun wieder eine Chance, am Arbeitsleben teilzunehmen.
Die Erfahrungen mit Programmen auf Länderebene hätten gezeigt, dass der soziale Arbeitsmarkt die besten Chancen biete, um aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszukommen. „Öffentlich geförderte Arbeitsplätze sollten bestehende nicht verdrängen“, mahnt Buntenbach. Deshalb solle vor Ort entschieden werden, welche Jobs gefördert werden. Der DGB fordert, den Gesetzesentwurf noch an weiteren Stellen nachzubessern. So reiche es beispielsweise nicht, wenn Betriebe für die geförderten Personen nur den Mindestlohn erstattet bekommen: „Es sollte der Tariflohn sein“, so Buntenbach. Auch ist der DGB dagegen, Minijobs zu fördern. „Die geförderten Stellen müssten gute Jobs mit Perspektive sein“, sagt Buntenbach.
Der Bund investiert vier Milliarden
Viel Geld für kleinen Personenkreis
Einer, der den sozialen Arbeitsmarkt kritisch sieht, ist Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit. Einen Teil der fast eine Million Langzeitarbeitslosen könne man tatsächlich für den ersten Arbeitsmarkt fit machen, glaubt Scheele – etwa durch nachgeholte Berufsausbildungen. „Nur wenn das alles nicht geht, ist es legitim, so viel Geld für einen so kleinen Personenkreis in die Hand zu nehmen“, sagt Scheele. Aber am besten sei es noch immer, „Langzeitarbeitslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen.“