Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Stolze Kroaten vor Endspiel
Mannschaft trifft auf Frankreich
Den historischen Einzug ins Finale der Fußball-Weltmeisterschaft wollten Trainer Zlatko Dalic und seine erschöpften, aber überglücklichen Spieler auskosten. Feiern, dann erst ausruhen und sich vorbereiten auf die Revanche für die WM-Niederlage vor 20 Jahren gegen Frankreich.
„Jeder erinnert sich in Kroatien an dieses Spiel“, sagte Dalic: „Vielleicht hat uns der liebe Gott ja die Möglichkeit gegeben, dieses Ergebnis zurechtzurücken.“Damals bei der WM in Frankreich setzte es eine 1:2Niederlage.
Dalic ist stolz, seine siegreichen Spieler sind stolz, das ganz Land ist stolz auf die kroatische Mannschaft.
Niemand wollte nach Hause gehen, die Spieler wollten nicht mal in die Kabine, und als sie es dann irgendwann am Mittwochabend doch taten, wuselte immer noch ein Quintett in kroatischen Trikots über den Rasen im Luschniki-Stadion. Fünf Kinder im Vorschulalter, denen sich der für seine Gegner so furchteinflößende Domegoj Vida liebevoll angenommen und ihnen schließlich einen Ball besorgt hatte. Fünf kleine Kroaten aus dieser kleinen Nation mit so viel Fußballtalent, wo wir „gute Mütter und Väter haben, die gute Liebe machen“, wie Vidas Abwehrkollege Dejan Lovren später witzelte, um zu erklären, dass es ein Vier-MillionenEinwohnerland in ein WM-Finale schaffen kann. An sich sind diese Siegesfeiern mit Kindern ja ein abgenutztes Ritual. Im riesigen Stadion in Moskau war das auch deshalb anders, weil sie in manchen Momenten so auf ihre Väter kamen, dass es schon fast klischeehaft wirkte. Als Vida noch vor der kroatischen Kurve auf- und abgehüpft war, kam es zu einem Zusammenstoß mit seinem Sohn. Der Kleine, um die drei Jahre alt, stand auf, als wäre nichts gewesen.
Die Kroaten stehen immer auf, das weiß inzwischen die ganze Welt. Dänemark, Russland und England – alle sind mit 1:0 in Führung gegangen, alle schieden trotzdem aus. England schaffte es nicht einmal ins Elfmeterschießen, weil es Mario Mandzukic schon vorher erledigte. Ein Mann, der kaum noch gehen zu können schien, der diese WM quasi durchspielen muss, weil sein einziger Ersatz Nikola Kalinic nach Hause geschickt wurde, und der trotzdem in der 109. Minute den x-ten Sprint in den Strafraum unternahm, weil der Ball ja dort landen könnte. Der Ball landete vor seinem Fuß, Mandzukic traf und wenige Sekunden später begrub sein Team auch den Mexikaner Yuri Cortez unter der Jubeltraube, einen Fotografen der Nachrichtenagentur AFP. Verteidiger Domagoj Vida gab ihm im Anschluss sogar ein Küsschen.
Ivan Rakitic verriet spätnachts auf die Frage, wie es ihm gehe: „Ich bin ein bisschen müde. Gut, ein bisschen sehr müde. Letzte Nacht hatte ich ein bisschen Fieber. Gut, ziemlich viel Fieber, fast 39 Grad, ich war den ganzen Tag im Bett“. Oder über Ivan Perisic, der nicht nur wegen seines Tores zum 1:1, einem Pfostenschuss kurz danach und der Vorlage zum 2:1 als zum „Mann des Spiels“ausgezeichnet wurde. Sondern auch, weil er nach dem Rückstand den Ball umgehend auf den Anstoßpunkt trug und damit signalisierte: Jetzt fangen wir erst richtig an.
Diese Mannschaft auf ihrem Zenit hat viele Anführer, auch das gehört zu ihrem Erfolgsgeheimnis. Kapitän Luka Modric, 32, Rakitic, 30, Perisic, 29, Mandzukic, 32, Lovren, 29, Vida, 29 – irgendwer injiziert immer diese balkanische Leidenschaft, die sich dann mit klugem Fußball paart. Als Kroatien seine Überlegenheit im Mittelfeld ausspielte, wirkten die Engländer geliefert. „Wir waren in allen Belangen überlegen“, jubelte Trainer Zlatko Dalic, der aussah, als käme er selbst aus der Fankurve – er gab seine Pressekonferenz im Kroatien-Trikot. Dalic berichtete, selbst angeschlagene Spieler hätten die Auswechslung verweigert: „Dieser Charakter ist etwas, das ich bewundere.“
Kroatien steht in seinem ersten Endspiel, die als für immer unerreichbar geltenden Halbfinalisten von 1998 sind übertroffen. Ob es auch am Sonntag im Finale gegen Frankreich (17 Uhr/ZDF) reicht? „Wir werden Herz und Seele lassen“, sagte Modric. „Auf den Platz werden elf Krieger gehen.“
Im Luschniki-Stadion blieben die fünf Kinder und viele schunkelnde Fans. Doch weil man immer ins Bett muss, wenn es am schönsten ist, kam Perisic auf den Platz, um seinen Sohn abholen. Der rutschte ihm mit einem Torjubel entgegen, als hätte er gerade das WM-Finale entschieden. Wer weiß, ob ihn der Vater am Sonntag nachmacht.
Rakitic lag noch mit Fieber im Bett