Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Wo die „Regentrude“zuhause ist
Das Literaturmuseum „Theodor Storm“in Heiligenstadt gilt als besonderer Anziehungspunkt
Den Namen Theodor Storm kennen vermutlich hierzulande alle aus ihrer Schulzeit, zumindest die älteren Jahrgänge. Doch wer war Storm als Mensch und – die vielleicht dringlichere Frage – warum sollte man sich heute noch für ihn interessieren? Diesen Fragen geht das Literaturmuseum „Theodor Storm“in Heilbad Heiligenstadt mit Leidenschaft und Einfallsreichtum nach.
In sechs Räumen präsentiert eine regelmäßig aktualisierte Dauerausstellung die Lebenswelt des Schriftstellers zwischen 1856 und 1864 – die siebeneinhalb Jahre, die der gebürtige Husumer in dem Städtchen im thüringischen Eichsfeld verbrachte. Storm war als Richter in Heiligenstadt vor allem bei Strafprozessen im Einsatz, hat sogar an drei Todesurteilen mitgewirkt. Sein Privatleben war verzwickt: Er liebte zwar seine Ehefrau Constanze, mit der er sieben Kinder großzog, ließ sich aber auch auf eine Affäre mit Dorothea Jensen ein, die er dann – ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau – heiratete.
In Sichtweite lieg der Schauplatz von „Pole Poppenspäler“
Natürlich widmet sich das Museum vor allem auch Storms künstlerischem Schaffen, das zahlreiche Novellen, Kunstmärchen und Gedichte umfasst. Direkten Bezug auf Thüringen nehmen davon die Novelle „Pole Poppenspäler“; hier wird zum Beispiel das „Gefangenenhaus“gegenüber von Storms Wohnung in der Wilhelmstraße 68 zum Schauplatz. Im Weihnachtsgedicht „Knecht Ruprecht“wird in der Originalfassung Heiligenstadt namentlich erwähnt.
Am deutlichsten ist der Bezug zu Heiligenstadt in Storms vielleicht schönstem Märchen „Die Regentrude“. Ort und Handlung der Erzählung sind vom Geislede-wasserfall inspiriert, der heute im Heinrich-heine-kurpark liegt. Den Wasserfall beschreibt Storm malerisch: „Da gingen sie an dem Bache entlang, der zu dem Wasserfalle führte. Der stürzte sich schon wieder tosend über die Felsen und floß dann strömend in der breiten Rinne unter den dunklen Linden fort.“
Diese literarischen Werke auszustellen ist gar nicht so einfach – schließlich ist Lesen eine Beschäftigung, der man in der Regel allein und in den eigenen vier Wänden nachgeht. Doch das Storm-museum hat für die Vermittlung von Literatur
kreative Lösungen gefunden. So macht beispielsweise ein Gedichtpuzzle Storms Lyrik erlebbar. Hier wurden Worte aus zwei Gedichten von Theodor Storm und Heinrich Heine auf Holzbausteine gedruckt, und die Besucher sind eingeladen, selber ein Gedicht mit den Worten der beiden Heiligenstädter Dichter zu legen.
Für Gideon Haut, der das Stormmuseum seit 2018 leitet, ist es Aufgabe und Berufung zugleich, Theodor Storms literarisches Werk lebendig zu halten. Storms Werk ist von großer Kraft. In seinen Novellen wie in seinen Gedichten konnte er düster sein, scherzhaft oder sentimental; konnte ebenso sehr von der Schönheit der Natur und von der Liebe schwärmen wie er sich in Abgründen des Todes, der Vergänglichkeit und gesellschaftlicher Missstände verlieren konnte. Zudem besaß Storm ein außerordentliches Geschick dafür, Orte und Personen plastisch zu schildern.
Die emotionale Bandbreite und die szenischen Schilderungen seiner Erzählungen regen noch heute viele Künstlerinnen und Künstler zur Produktion eigener Werke an. Sei es Malerei, Zeichnung, Literatur oder Krimis – überall wird seine Literatur verarbeitet. Die Auseinandersetzung mit der Rezeption von Storms Werk ist eine der Kernaufgaben
des Literaturmuseums. Es gibt der künstlerischen Auseinandersetzung mit Theodor Storm regelmäßig im Rahmen von Sonderausstellungen Raum, die meist in Kooperation mit lebenden Künstlern gestaltet werden. Dieser starke Gegenwartsbezug ist ein Alleinstellungsmerkmal des Heiligenstädter Museums, das es vom Storm-haus in Husum unterscheidet.
All das leistet das Museum, obwohl es wenig Personal hat: Neben einer Vollzeitstelle gibt es zwei Teilzeitkräfte,
eine Bürokraft, jeweils eine Volontariats- und eine Praktikumsstelle sowie ein ehrenamtlich tätiges Team, das sich um die Sicherung der Öffnungszeiten am Wochenende, die Veranstaltungsorganisation sowie die Pflege des Rosengartens kümmert. Getragen wird das Museum seit 1997 vom gemeinnützigen Verein „Theodor Storm“, dessen Wohl und Werden Bürgerinnen und Bürger der Region begleiten. Viele treue Mitglieder begleiten das Museum seit seiner Eröffnung 1988. Das ist erfreulich, aber es ist auch wichtig, junge Menschen für die Vereinsarbeit zu begeistern.
Ort für geistigen Austausch und kulturelle Begegnungen
Kleinere Museen wie das Stormmuseum stehen vor Herausforderungen. Neben Eintrittsgeldern bedarf es vielfältiger Förderungen. Eine intensive Öffentlichkeitsarbeit ist nötig, um die Aufmerksamkeit potenzieller Besucherinnen und Besucher auf sich zu ziehen. Zudem gilt es, die Kontakte zum Stormhaus in Husum und zur Theodorstorm-gesellschaft zu pflegen.
Nicht nur wegen ständig wechselnder Sonderausstellungen, sondern auch dank eines breitgefächerten Veranstaltungsprogramms ist das Theodor-storm-museum immer einen Besuch wert. Wissenschaftliche
Vorträge und Lesungen, Literaturabende, die längst zu einer Tradition des Hauses gewordene Reihe „Zum Tee bei Theodor Storm“, Konzerte und Theateraufführungen machen den Ort zu einem Zentrum literarischer und kultureller Begegnungen und des geistigen Austauschs im Eichsfeld.
Einmal im Jahr richtet das Museum im angrenzenden Blumengarten das Rosenfest aus, welches ganz im Zeichen von Lyrik und Natur steht. Ein besonderer Höhepunkt im Veranstaltungskalender sind die Stormtage, die jährlich um den Todestag des Dichters am 4. Juli stattfinden. Drei Tage lang geben wissenschaftliche Vorträge nationaler und internationaler Referent:innen einen Einblick in die aktuelle Storm-forschung. Begleitet werden sie von Lesungen, Konzerten, Exkursionen und Wanderungen auf den Spuren des Dichters. Dass dieses Konzept aufgeht, sagt Gideon Haut, zeigen die zahlreichen Besucherinnen und Besucher sowie ein breites Publikum, zu dem Heiligenstädter Familien und Schulklassen gehören sowie Kurgäste und Touristen aus ganz Deutschland.
Theodor Storm besaß ein außerordentliches Geschick dafür, Orte und Personen plastisch zu schildern. Gideon Haut leitet das Literaturmuseum in Heiligenstadt seit 2018
Stormtage vom 5. bis 7. Juli im Literaturmuseum: Festvortrag und Ausstellungseröffnung am Freitag, 5. Juli, 19.30 Uhr. stormmuseum.de