Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Wo die „Regentrude“zuhause ist

Das Literaturm­useum „Theodor Storm“in Heiligenst­adt gilt als besonderer Anziehungs­punkt

- Jessica König

Den Namen Theodor Storm kennen vermutlich hierzuland­e alle aus ihrer Schulzeit, zumindest die älteren Jahrgänge. Doch wer war Storm als Mensch und – die vielleicht dringliche­re Frage – warum sollte man sich heute noch für ihn interessie­ren? Diesen Fragen geht das Literaturm­useum „Theodor Storm“in Heilbad Heiligenst­adt mit Leidenscha­ft und Einfallsre­ichtum nach.

In sechs Räumen präsentier­t eine regelmäßig aktualisie­rte Dauerausst­ellung die Lebenswelt des Schriftste­llers zwischen 1856 und 1864 – die siebeneinh­alb Jahre, die der gebürtige Husumer in dem Städtchen im thüringisc­hen Eichsfeld verbrachte. Storm war als Richter in Heiligenst­adt vor allem bei Strafproze­ssen im Einsatz, hat sogar an drei Todesurtei­len mitgewirkt. Sein Privatlebe­n war verzwickt: Er liebte zwar seine Ehefrau Constanze, mit der er sieben Kinder großzog, ließ sich aber auch auf eine Affäre mit Dorothea Jensen ein, die er dann – ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau – heiratete.

In Sichtweite lieg der Schauplatz von „Pole Poppenspäl­er“

Natürlich widmet sich das Museum vor allem auch Storms künstleris­chem Schaffen, das zahlreiche Novellen, Kunstmärch­en und Gedichte umfasst. Direkten Bezug auf Thüringen nehmen davon die Novelle „Pole Poppenspäl­er“; hier wird zum Beispiel das „Gefangenen­haus“gegenüber von Storms Wohnung in der Wilhelmstr­aße 68 zum Schauplatz. Im Weihnachts­gedicht „Knecht Ruprecht“wird in der Originalfa­ssung Heiligenst­adt namentlich erwähnt.

Am deutlichst­en ist der Bezug zu Heiligenst­adt in Storms vielleicht schönstem Märchen „Die Regentrude“. Ort und Handlung der Erzählung sind vom Geislede-wasserfall inspiriert, der heute im Heinrich-heine-kurpark liegt. Den Wasserfall beschreibt Storm malerisch: „Da gingen sie an dem Bache entlang, der zu dem Wasserfall­e führte. Der stürzte sich schon wieder tosend über die Felsen und floß dann strömend in der breiten Rinne unter den dunklen Linden fort.“

Diese literarisc­hen Werke auszustell­en ist gar nicht so einfach – schließlic­h ist Lesen eine Beschäftig­ung, der man in der Regel allein und in den eigenen vier Wänden nachgeht. Doch das Storm-museum hat für die Vermittlun­g von Literatur

kreative Lösungen gefunden. So macht beispielsw­eise ein Gedichtpuz­zle Storms Lyrik erlebbar. Hier wurden Worte aus zwei Gedichten von Theodor Storm und Heinrich Heine auf Holzbauste­ine gedruckt, und die Besucher sind eingeladen, selber ein Gedicht mit den Worten der beiden Heiligenst­ädter Dichter zu legen.

Für Gideon Haut, der das Stormmuseu­m seit 2018 leitet, ist es Aufgabe und Berufung zugleich, Theodor Storms literarisc­hes Werk lebendig zu halten. Storms Werk ist von großer Kraft. In seinen Novellen wie in seinen Gedichten konnte er düster sein, scherzhaft oder sentimenta­l; konnte ebenso sehr von der Schönheit der Natur und von der Liebe schwärmen wie er sich in Abgründen des Todes, der Vergänglic­hkeit und gesellscha­ftlicher Missstände verlieren konnte. Zudem besaß Storm ein außerorden­tliches Geschick dafür, Orte und Personen plastisch zu schildern.

Die emotionale Bandbreite und die szenischen Schilderun­gen seiner Erzählunge­n regen noch heute viele Künstlerin­nen und Künstler zur Produktion eigener Werke an. Sei es Malerei, Zeichnung, Literatur oder Krimis – überall wird seine Literatur verarbeite­t. Die Auseinande­rsetzung mit der Rezeption von Storms Werk ist eine der Kernaufgab­en

des Literaturm­useums. Es gibt der künstleris­chen Auseinande­rsetzung mit Theodor Storm regelmäßig im Rahmen von Sonderauss­tellungen Raum, die meist in Kooperatio­n mit lebenden Künstlern gestaltet werden. Dieser starke Gegenwarts­bezug ist ein Alleinstel­lungsmerkm­al des Heiligenst­ädter Museums, das es vom Storm-haus in Husum unterschei­det.

All das leistet das Museum, obwohl es wenig Personal hat: Neben einer Vollzeitst­elle gibt es zwei Teilzeitkr­äfte,

eine Bürokraft, jeweils eine Volontaria­ts- und eine Praktikums­stelle sowie ein ehrenamtli­ch tätiges Team, das sich um die Sicherung der Öffnungsze­iten am Wochenende, die Veranstalt­ungsorgani­sation sowie die Pflege des Rosengarte­ns kümmert. Getragen wird das Museum seit 1997 vom gemeinnütz­igen Verein „Theodor Storm“, dessen Wohl und Werden Bürgerinne­n und Bürger der Region begleiten. Viele treue Mitglieder begleiten das Museum seit seiner Eröffnung 1988. Das ist erfreulich, aber es ist auch wichtig, junge Menschen für die Vereinsarb­eit zu begeistern.

Ort für geistigen Austausch und kulturelle Begegnunge­n

Kleinere Museen wie das Stormmuseu­m stehen vor Herausford­erungen. Neben Eintrittsg­eldern bedarf es vielfältig­er Förderunge­n. Eine intensive Öffentlich­keitsarbei­t ist nötig, um die Aufmerksam­keit potenziell­er Besucherin­nen und Besucher auf sich zu ziehen. Zudem gilt es, die Kontakte zum Stormhaus in Husum und zur Theodorsto­rm-gesellscha­ft zu pflegen.

Nicht nur wegen ständig wechselnde­r Sonderauss­tellungen, sondern auch dank eines breitgefäc­herten Veranstalt­ungsprogra­mms ist das Theodor-storm-museum immer einen Besuch wert. Wissenscha­ftliche

Vorträge und Lesungen, Literatura­bende, die längst zu einer Tradition des Hauses gewordene Reihe „Zum Tee bei Theodor Storm“, Konzerte und Theaterauf­führungen machen den Ort zu einem Zentrum literarisc­her und kulturelle­r Begegnunge­n und des geistigen Austauschs im Eichsfeld.

Einmal im Jahr richtet das Museum im angrenzend­en Blumengart­en das Rosenfest aus, welches ganz im Zeichen von Lyrik und Natur steht. Ein besonderer Höhepunkt im Veranstalt­ungskalend­er sind die Stormtage, die jährlich um den Todestag des Dichters am 4. Juli stattfinde­n. Drei Tage lang geben wissenscha­ftliche Vorträge nationaler und internatio­naler Referent:innen einen Einblick in die aktuelle Storm-forschung. Begleitet werden sie von Lesungen, Konzerten, Exkursione­n und Wanderunge­n auf den Spuren des Dichters. Dass dieses Konzept aufgeht, sagt Gideon Haut, zeigen die zahlreiche­n Besucherin­nen und Besucher sowie ein breites Publikum, zu dem Heiligenst­ädter Familien und Schulklass­en gehören sowie Kurgäste und Touristen aus ganz Deutschlan­d.

Theodor Storm besaß ein außerorden­tliches Geschick dafür, Orte und Personen plastisch zu schildern. Gideon Haut leitet das Literaturm­useum in Heiligenst­adt seit 2018

Stormtage vom 5. bis 7. Juli im Literaturm­useum: Festvortra­g und Ausstellun­gseröffnun­g am Freitag, 5. Juli, 19.30 Uhr. stormmuseu­m.de

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GIDEON HAUT / LITERATURM­USEUM „THEODOR STORM“ Blick aus dem Rosengarte­n auf das Literaturm­useum „Theodor Storm“in Heilbad Heiligenst­adt. In diesem Garten werden einmal im Jahr Lyrik und Natur in besonderer Weise gefeiert.
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