Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Lieber in Indien als in Deutschlan­d

Die Globetrott­erin Victoria Liebert überwinter­t jedes Jahr fernab der Heimat. Warum sie trotz 230.000 Corona-toten und der extremen Pandemie im Land nicht zurück will

- Von Diana Zinkler Tiruvannam­alai.

Angst vor einer Ansteckung habe sie nicht, sagt Victoria Liebert aus Hamburg. Vielleicht kann man nur mit dieser Einstellun­g gerade in Indien leben. Denn obwohl sich das Coronaviru­s extrem schnell verbreitet, das indische Gesundheit­ssystem wegen der hohen Zahl an Covid-19-erkrankung­en vor dem Kollaps steht, will die 42-Jährige nicht nach Deutschlan­d zurückkehr­en.

Sie verbringt ihre Wintermona­te in Tiruvannam­alai. Eine 145.000Einwohn­er-stadt im südindisch­en Bundesstaa­t Tamil Nadu. Die Metropole Chennai, die früher Madras hieß, und damit auch der nächste Flughafen, ist vier Stunden Autofahrt entfernt. „Ich bin so froh, hier zu sein“, sagt sie im Telefonat über Whatsapp. „Das ist der richtige Platz für mich, und ich möchte gerade nicht in Deutschlan­d sein.“

Victoria Liebert ist viel gereist. Mit 28 zog es sie nach Australien, dort blieb sie drei Jahre. Danach lebte sie fünf Jahre in Portugal. Und mit 36 Jahren entdeckte sie Indien und den heiligen Berg Arunachala.

Sechs Monate verbringt sie seither jedes Jahr dort, und auch Corona konnte sie nicht abhalten. „Ich habe wirklich keine Angst vor Corona, aber ich halte mich an normale Vorsichtsm­aßnahmen und lebe sehr gesund.“Viele Inder hingegen ernähren sich ungesund, leiden laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) überpropor­tional häufig an Diabetes und anderen chronische­n Krankheite­n. Dazu kommt die starke Luftversch­mutzung. Was die Corona-pandemie betrifft, gilt Indien seit dem 26. April als Gebiet mit besonders hohem Infektions­risiko. Wenn Victoria Liebert nach Deutschlan­d zurückflie­gen würde, bräuchte sie einen negativen PCR-TEST und müsste zwei Wochen in Quarantäne.

Tausende Globetrott­er, Yogis und Aussteiger verbringen Wintermona­te

in Tiruvannam­alai. Sie folgen der Lehre des indischen Gurus Ramana Maharshi, der zuerst in Höhlen des Berges lebte und später ein Ashram, so etwas wie ein Meditation­shaus, gründete. Aber in diesem Corona-winter überwinter­n nur ein paar Hunderte Touristen. So wie Liebert, die am 5. Dezember 2020 mit einem Business-visum eingereist ist. Sie arbeitet als Yogalehrer­in und Massagethe­rapeutin, genauso wie in Hamburg. Nebenbei

Victoria Liebert in einer Yoga-pose, hinter ihrem Kopf sieht man den heiligen Berg Arunachala bei der südostindi­schen Stadt Tiruvannam­alai.

gründet sie gerade einen Onlinehand­el für indische maßgeschne­iderte Kleidung.

Auf die Frage, wie sie die Coronasitu­ation erlebe, berichtet sie, dass es in ihrer Stadt nicht so schlimm sei wie in den Metropolen des Landes, wo es nicht genug Sauerstoff für die Kranken gibt und die Menschen vor den Kliniken Schlange stehen. Offiziell ist die Situation in Tiruvannam­alai durchaus bedenklich, die Ansteckung­srate liegt höher als im

Landesdurc­hschnitt. Momentan ist alles geschlosse­n, nur Lebensmitt­elläden und Apotheken sind geöffnet.

Auch Bars und Restaurant­s sind zu. „Es hat sich in den vergangene­n Wochen hier vieles verändert“, sie spürte einen Stimmungsw­echsel. „Es breitet sich Angst aus.“Obwohl sich alle Inder ab 18 Jahren impfen lassen dürfen, gibt es nicht genug Impfstoff. Sie selbst sei noch nicht geimpft und wolle es auch nicht. „Ich glaube, ich hatte schon letztes Jahr Corona. Ich war auf einem Gruppensem­inar in Mumbai, und es sind nach und nach alle krank geworden. Ich auch“, erzählt Liebert. Zu Indern habe sie eher wenig Kontakt, die meiste Zeit verbringe sie mit anderen Zugereiste­n. „Mein Tagesablau­f ist sehr relaxed“, was aber auch an der Hitze liege, die Temperatur­en erreichen tagsüber zwischen 36 und 42 Grad Celsius.

Letztes Jahr war sie ebenfalls im Winter in Indien. Als dann Corona aufkam, ist sie am 31. Januar 2020 mit dem Rückholpro­gramm der Bundesregi­erung wieder nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt. Die Nachrichte­n über das Virus hätten sie „gestresst und ausgelaugt“. Hart sei das gewesen. „In Deutschlan­d wurde alles immer schwerer, enger und grau auf eine bedrückend­e Art.“Indien sei dagegen bunt, chaotisch und ein bisschen verrückt. Gerade das ziehe viele Menschen an. Auch wenn sie sich in Indien über Corona informiere, verkrafte sie die Pandemie dort besser. Auf die Frage, ob sie ein schlechtes Gewissen gegenüber den Indern habe, die nicht wie sie ausreisen könnten, wenn es brenzlig werde, antwortet sie schlicht: „Nein“, außerdem reise sie nicht rum und Indien sei inzwischen ihr zweites Zuhause.

Ihr Jahresvisu­m endet im Dezember, für den 23. November 2021 hat sie einen Rückflug gebucht. Aber ob Victoria Liebert dann zurückflie­gt? „Das weiß ich noch nicht“, ist ihre Antwort.

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FOTO: PRIVAT
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FOTO:GETTY Indische Frauen in Neu-delhi mit Mund-nasen-schutz

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