Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Mehr Macht für Awo-kreisverbände
Landesausschuss will Tochterfirma umstrukturiert sehen und wählt Vorstände
Der Landesausschuss der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Thüringen hat in Oberhof drei neue Vorstandsmitglieder gewählt: Petra Rottschalk (59) aus Rudolstadt, Matthias Graul (66) aus Saalfeld und Thomas Walter (50) aus Gera ergänzen den geschäftsführenden Landesvorstand, der damit handlungsfähig bleibt.
Die Wahl war notwendig geworden, weil im Zuge des Gehaltsskandals um die Awo-tochterfirma AJS nahezu der gesamte geschäftsführende Landesvorstand zurückgetreten ist und einzig Landesgeschäftsführer Ulf Griesmann verblieb. Katrin Matzky, die bis zur Sitzung am
Samstag an ihrem Amt festhielt, verließ das Gremium als Letzte. Zuvor waren schon der Vorsitzende Werner Griese und seine Stellvertreter Steffen Kania und Elvira Diebold nach monatelangen Querelen zurückgetreten.
Die neuen Stellvertreter wurden in geheimer Abstimmung gewählt und sind zunächst bis zur Landeskonferenz im November im Amt. Dort findet eine reguläre Neuwahl des Vorstands statt. Solange bleibt das Amt des Vorsitzenden unbesetzt. Petra Rottschalk, die als einzige der neuen Stellvertreter in Oberhof anwesend war, sieht es als ihre vordringlichste Aufgabe, die Beschlüsse des Landesausschusses zügig umzusetzen und die Landeskonferenz „gut vorzubereiten. Der Landesverband muss ein verlässlicher Gesellschafter für die AJS sein“, sagt sie. Dafür soll das größte Tochterunternehmen wieder enger an die Arbeiterwohlfahrt gebunden werden. Bei nur einer Enthaltung wurde die Einsetzung einer Arbeitsgruppe beschlossen, die die strukturelle Ausrichtung der AJS auf den Prüfstand stellen und neu erarbeiten soll. Einer der Arbeitsaufträge ist die Beteiligung weiterer Kreisverbände an dem gemeinnützigen Unternehmen. Der Landesverband bleibt aber mit mindestens 51 Prozent Anteil (bisher 65 Prozent) Hauptgesellschafter. 35 Prozent hat der Kreisverband Erfurt.
„Wir sind nicht frei von Schuld.“Hinter verschlossener Tür sagt Awo-bundespräsident Wilhelm Schmidt diesen Satz, den mehrere Sitzungsteilnehmer bestätigen, und räumt erstmals Fehler des Bundesverbandes im Gehaltsskandal um die Thüringer Awotochterfirma AJS ggmbh ein. Bundesvorsitzender Wolfgang Stadler wird später auf Nachfrage noch viel deutlicher. Vor dem Versammlungsraum im vierten Stock des Awo-sano-ferienzentrums in Oberhof sagt er: „2017 kannten wir die Gehälter der Ajs-geschäftsführung nicht. Wir waren gutgläubig und haben nicht kontrolliert, ob der Landesverband unseren Empfehlungen zur Anpassung der Gehälter an die Awo-bestimmungen gefolgt ist.“Denn bereits 2017 hatte der Bundesverband nach einer Strafanzeige und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen die Gehälter der Ajsgeschäftsführer unter die Lupe genommen, Empfehlungen zur Anpassung gegeben – aber nicht kontrolliert, ob diese auch umgesetzt wurden.
Als Stadler das sagt, geht der Awolandesausschuss, an dem Vertreter aller Thüringer 18 Kreis- und Regionalverbände, des Landesverbandes und die neue Ajs-geschäftsführung teilnehmen, gerade seinem Ende entgegen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit haben sich die Vertreter zuvor sechs Stunden lang die Meinung zu den Skandalen der vergangenen Monate gesagt – und den Neuanfang eingeleitet.
Mit ihrer Person stehen dafür vor allem die drei neuen Landesvorstandsmitglieder: Petra Rottschalk (59), gewählt mit 16 Ja- und sechs Nein-stimmen bei zwei Enthaltungen, ist Fachdienstleiterin für Kultur, Sport, Jugend und Tourismus in Rudolstadt und seit 14 Jahren ehrenamtliche Vorsitzende der Awo Rudolstadt; Matthias Graul (66), mit 16 Ja- und zwei Nein-stimmen bei fünf Enthaltungen gewählt, bis 2018 Bürgermeister von Saalfeld und außerdem Vorsitzender des Aufsichtsrates der Awo Saalfeld ggmbh; und Thomas Walter (50), er erhielt 17 Ja- und vier Nein-stimmen sowie eine Enthaltung, Anwalt für Handel- und Gesellschaftsrecht in Gera und engagiert in einem Awo-förderverein.
Dass nicht nur zwei, sondern gar drei neue Vorstandsvize gewählt werden konnten, liegt an dem schlussendlich überraschenden Rückzug von Katrin Matzky (Weimar), die dieses Amt viele Jahre bekleidet hatte. Sie legt Wert auf die Feststellung, sagt sie am Rande im Gespräch mit dieser Zeitung, dass sie ihr Mandat an die Mitgliederversammlung zurückgegeben hat, von der sie es zuletzt 2016 bekam. Die 58-Jährige war nach den Rücktritten von Werner Griese (Erfurt), Steffen Kania (Saalfeld) und Elvira Diebold (Erfurt) das letzte verbliebene ehrenamtliche Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand. „Der Landesvorstand hat das ‚System Hack‘ nicht verteidigt“, sagt Matzky, betont aber, dass sich die ehemaligen Geschäftsführer Michael
Hack und Achim Ries große Verdienste um die AJS ggmbh erworben haben. Dass sei ihr in den vergangenen Monaten zu sehr ins Hintertreffen geraten. Zumal sie der Auffassung sei, dass die verbandsinternen Probleme innerhalb der Gremien hätten besprochen und beseitigt werden müssen.
Die alles entscheidende Frage für sie ist: „Was ist arbeitsrechtlich zulässig und was ist die Verbandskomponente?“
Damit macht sie klar, dass es aus ihrer Sicht juristisch keine Handhabe gibt, die Arbeitsverträge von Hack, er verdiente zuletzt mehr als 300.000 Euro im Jahr, und Rieß, sein Salär belief sich auf mehr als 240.000 Euro per anno, in Frage zu stellen. Nach Informationen dieser Zeitung wird genau das aber gerade intensiv geprüft. Der Bundesverband hatte diese hohen Gehälter allerdings in einem Prüfberichtsentwurf
im April als unangemessen hoch eingeordnet und damit nach monatelangem Zögern schlussendlich Recherchen dieser Zeitung vom Januar bestätigt. Mit Blick auf die Stimmung an der Awo-basis sagt Petra Rottschalk, dass alle „im vergangenen halben Jahr und den Jahren davor durch die Hölle gegangen sind“. „Wir müssen dankbar sein, dass uns die Presse viel Arbeit abgenommen hat“, macht sie nach der Sitzung, angesprochen auf die anstehende weitere Aufarbeitung, deutlich.
Dass mit dem Landesausschuss viel geschafft wurde, sieht auch der Awo-bundesvorstandsvorsitzende Wolfgang Stadler so. „Das, was jetzt als Ergebnis auf dem Tisch liegt, ist hervorragend“, sagt er. Es werde jetzt sehr stark darauf geachtet, dass die Compliance-regeln umgesetzt werden und „dass man alle Themen anpackt“. In erster Linie werde dafür gesorgt, dass die AJS eine neue Rolle innerhalb der Thüringer Arbeiterwohlfahrt bekommt.