Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Kleine Brandbuch-bibliothek
Maler Hannes Möller veranlasst erste Kunstausstellung im Studienzentrum der Amalia-bibliothek. Die Bilder zeigen „versehrtes Wissen“
WEIMAR. Ein Buch ist mehr als sein Inhalt. Das Objekt lässt sich trennen vom Subjekt, das es beherbergt. Die Textur erzählt anderes als der Text – und im Laufe der Zeit auch neues.
Es sind „oft jahrhundertealte Gebrauchsspuren“, für die sich der im Hessischen beheimatete Maler Hannes Möller vor mehr als einem Jahrzehnt zu interessieren begann, ausgehend von einem vergilbten Bildband.
Das Buch als solches wurde ihm 2007 zum Sujet, beginnend mit dem Universum Bibliothek, in das er sich malend vertiefte, um mehr und mehr zum Einzelnen vorzudringen: zum Individuum sozusagen. „Solitaire“heißt nicht zufällig einer seiner Zyklen. Ein anderer, „Die verlorene Bibliothek“, sucht malend, mit 100 Arbeiten, Bücher aus der Eberbacher Klosterbibliothek im Rheingau auf, die um 1800 aufgelöst worden war.
Deutliche Auflösungserscheinungen ganz anderer Art verursachten 2004 bekanntlich zunächst ein Feuer, sodann das Löschwasser im historischen Gebäude der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Der physikalischchemische Transformationsprozess sorgte für 93.000 heftigst angesengte und aufgequollene Brandbücher sowie 25.000 verbrannte Aschebücher.
Sechs Jahre später besuchte Hannes Möller die Hinterlassenschaften in Weimar erstmals. Er fotografierte sie mit hochauflösender Digitalkamera und malte im Atelier „eine Art Bibliothek versehrter Bücher“. Sein Zyklus „Brandbücher | Aschebücher“veranlasst nun, mit insgesamt vierzig Bildern, die erste Kunstausstellung rund um den Bücherkubus im Studienzentrum der Amalia-bibliothek. Sie wurde Dienstag eröffnet.
Eine Art Gegenbewegung zur digitalen Transformation
Möllers Bilder gehören hierher, findet Bibliotheksdirektor Reinhard Laube, „um einen anderen Blick auf die kulturelle Überlieferung zu werfen, für die wir zuständig sind“. Er spricht vom Blick sowohl auf die Materialität als auch die Fragilität der Bestände: „letztlich auf die Unwahrscheinlichkeit von Überlieferung.“
Das mag auf den Bibliothekar als eine Art Sisyphos verweisen, den wir uns, mit Albert Camus, ja als glücklichen Menschen vorstellen müssen.
Der Brand von 2004 ist inzwischen so historisch wie diese Forschungsbibliothek und ihre Bestände selbst. Und doch blickt man mit einer solchen Kunstausstellung nicht zurück. Vielmehr steht sie für die Zukunft des Erinnerns, mit der auch Weimar sehr befasst ist.
„In einer Zeit“, so Laube, „in der alle von digitaler Transformation sprechen, davon also, dass sich Medien in digitale Einheiten auflösen“, stehe die Ausstellung für eine Art Gegenbewegung. Das knüpft an die Kritik an, die Laubes Vorgänger Michael Knoche an seiner Zunft übte: an Bibliothekaren „als Digitalfundamentalisten, die nicht bibliophil sind, sondern bibliophobisch“. Das Buch aber werde seine Existenzberechtigung behalten, glaubt Knoche (wir berichteten).
Für Hannes Möller ist die Beschäftigung mit dem Buch als Objekt: „faszinierend“. Er gebraucht das Wort häufig, auch im Zusammenhang mit der Ausstellung „Buchwelten“im Sinclair-haus Bad Homburg, in dem er bis Februar als einer von 25 zeitgenössischen Künstlern ausstellte.
In Weimar zeigt er zehn stehende Brand- und dreißig liegende Aschebücher: Aquarell-gouache-arbeiten auf Papier, auch mit Kohle gemalt sowie mit der Asche der verbrannten Bücher, die er fein vermalt als Farbpigmente ebenso auftrug wie als gröbere Fragmente. Diese Asche, obschon mit Malmittel verbunden, löst sich in Teilen wieder ab und sammelt sich unten im Bildrahmen.
Die Bücherporträts wirken mitunter wie Kohle oder wie Formen aus Granit, mitunter leuchten sie, scheinen noch zu brennen oder zu glühen.
Sie sind, in ihrer Gesamtheit, für Möller, „versehrtes Wissen, auch wenn ich nicht weiß, was in den Büchern steckt“. Es sind Symbole. Und Momentaufnahme sind es auch.
Die 25.000 Asche gewordenen Bücher bedeuteten sieben Millionen Blatt. 1,5 Millionen davon wurden oder werden restauriert, ein Drittel liegt noch vor der Bibliothek; sie hat es, wie überhaupt, mit Mengenbewältigung zu tun, erinnert Reinhard Laube. Entsprechend organisiere Möller „eine paradoxe Intervention“: in dem er Bücher neu individualisiert. Das betrifft hier insbesondere vier große Bilder im Format 92 mal 142 Zentimeter, derweil die „imaginäre Bibliothek“sonst Aschebücher im Format 50 mal 60 umfasst.
Die Bilder hängen im Studienzentrum, dort aber an den Außenwänden des Kubus mit seinen neueren, unversehrten Büchern, die sie umschließen. Und Kunst umschließt hier gleichsam die Wissenschaft. Hannes Möller gefällt das sehr.
Mit Kunstausstellungen wie diesen will man das Studienzentrum für die Öffentlichkeit künftig zugänglicher machen, sagt Laube. Als Ort der Kommunikation soll es ebenso funktionieren, wie, im bewussten Widerstreit dazu, als einer des stillen Arbeitens und Forschens. Einige der Arbeiten Möllers will Laube unbedingt erwerben. Er verweist aber auch auf Fotografen, die sich Aschebüchern widmeten, sowie auf „fulminante Fotografien der Sammlungsräume“und auf künstlerische Auseinandersetzungen mit Beständen.
Laube gedenkt, den Kubus als „symbolische und kommunikative Mitte“zu profilieren. Auf dessen unteren Ebenen sollen literarische Auseinandersetzungen mit Buchenwald Platz finden, Künstlerbücher inklusive. Man will aber auch zeigen, dass sich „Anna Amalia“mit den Bibliotheken von Autoren und Gelehrten eingehend beschäftigt. Mehr verrät Laube, wenn Möllers Ausstellung im nächsten Februar endet.
● „Hannes Möller – „Brandbücher | Aschebücher“: bis . Februar im Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Eintritt frei.