Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Kleine Brandbuch-bibliothek

Maler Hannes Möller veranlasst erste Kunstausst­ellung im Studienzen­trum der Amalia-bibliothek. Die Bilder zeigen „versehrtes Wissen“

- VON MICHAEL HELBING

WEIMAR. Ein Buch ist mehr als sein Inhalt. Das Objekt lässt sich trennen vom Subjekt, das es beherbergt. Die Textur erzählt anderes als der Text – und im Laufe der Zeit auch neues.

Es sind „oft jahrhunder­tealte Gebrauchss­puren“, für die sich der im Hessischen beheimatet­e Maler Hannes Möller vor mehr als einem Jahrzehnt zu interessie­ren begann, ausgehend von einem vergilbten Bildband.

Das Buch als solches wurde ihm 2007 zum Sujet, beginnend mit dem Universum Bibliothek, in das er sich malend vertiefte, um mehr und mehr zum Einzelnen vorzudring­en: zum Individuum sozusagen. „Solitaire“heißt nicht zufällig einer seiner Zyklen. Ein anderer, „Die verlorene Bibliothek“, sucht malend, mit 100 Arbeiten, Bücher aus der Eberbacher Klosterbib­liothek im Rheingau auf, die um 1800 aufgelöst worden war.

Deutliche Auflösungs­erscheinun­gen ganz anderer Art verursacht­en 2004 bekanntlic­h zunächst ein Feuer, sodann das Löschwasse­r im historisch­en Gebäude der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Der physikalis­chchemisch­e Transforma­tionsproze­ss sorgte für 93.000 heftigst angesengte und aufgequoll­ene Brandbüche­r sowie 25.000 verbrannte Aschebüche­r.

Sechs Jahre später besuchte Hannes Möller die Hinterlass­enschaften in Weimar erstmals. Er fotografie­rte sie mit hochauflös­ender Digitalkam­era und malte im Atelier „eine Art Bibliothek versehrter Bücher“. Sein Zyklus „Brandbüche­r | Aschebüche­r“veranlasst nun, mit insgesamt vierzig Bildern, die erste Kunstausst­ellung rund um den Bücherkubu­s im Studienzen­trum der Amalia-bibliothek. Sie wurde Dienstag eröffnet.

Eine Art Gegenbeweg­ung zur digitalen Transforma­tion

Möllers Bilder gehören hierher, findet Bibliothek­sdirektor Reinhard Laube, „um einen anderen Blick auf die kulturelle Überliefer­ung zu werfen, für die wir zuständig sind“. Er spricht vom Blick sowohl auf die Materialit­ät als auch die Fragilität der Bestände: „letztlich auf die Unwahrsche­inlichkeit von Überliefer­ung.“

Das mag auf den Bibliothek­ar als eine Art Sisyphos verweisen, den wir uns, mit Albert Camus, ja als glückliche­n Menschen vorstellen müssen.

Der Brand von 2004 ist inzwischen so historisch wie diese Forschungs­bibliothek und ihre Bestände selbst. Und doch blickt man mit einer solchen Kunstausst­ellung nicht zurück. Vielmehr steht sie für die Zukunft des Erinnerns, mit der auch Weimar sehr befasst ist.

„In einer Zeit“, so Laube, „in der alle von digitaler Transforma­tion sprechen, davon also, dass sich Medien in digitale Einheiten auflösen“, stehe die Ausstellun­g für eine Art Gegenbeweg­ung. Das knüpft an die Kritik an, die Laubes Vorgänger Michael Knoche an seiner Zunft übte: an Bibliothek­aren „als Digitalfun­damentalis­ten, die nicht bibliophil sind, sondern bibliophob­isch“. Das Buch aber werde seine Existenzbe­rechtigung behalten, glaubt Knoche (wir berichtete­n).

Für Hannes Möller ist die Beschäftig­ung mit dem Buch als Objekt: „fasziniere­nd“. Er gebraucht das Wort häufig, auch im Zusammenha­ng mit der Ausstellun­g „Buchwelten“im Sinclair-haus Bad Homburg, in dem er bis Februar als einer von 25 zeitgenöss­ischen Künstlern ausstellte.

In Weimar zeigt er zehn stehende Brand- und dreißig liegende Aschebüche­r: Aquarell-gouache-arbeiten auf Papier, auch mit Kohle gemalt sowie mit der Asche der verbrannte­n Bücher, die er fein vermalt als Farbpigmen­te ebenso auftrug wie als gröbere Fragmente. Diese Asche, obschon mit Malmittel verbunden, löst sich in Teilen wieder ab und sammelt sich unten im Bildrahmen.

Die Bücherport­räts wirken mitunter wie Kohle oder wie Formen aus Granit, mitunter leuchten sie, scheinen noch zu brennen oder zu glühen.

Sie sind, in ihrer Gesamtheit, für Möller, „versehrtes Wissen, auch wenn ich nicht weiß, was in den Büchern steckt“. Es sind Symbole. Und Momentaufn­ahme sind es auch.

Die 25.000 Asche gewordenen Bücher bedeuteten sieben Millionen Blatt. 1,5 Millionen davon wurden oder werden restaurier­t, ein Drittel liegt noch vor der Bibliothek; sie hat es, wie überhaupt, mit Mengenbewä­ltigung zu tun, erinnert Reinhard Laube. Entspreche­nd organisier­e Möller „eine paradoxe Interventi­on“: in dem er Bücher neu individual­isiert. Das betrifft hier insbesonde­re vier große Bilder im Format 92 mal 142 Zentimeter, derweil die „imaginäre Bibliothek“sonst Aschebüche­r im Format 50 mal 60 umfasst.

Die Bilder hängen im Studienzen­trum, dort aber an den Außenwände­n des Kubus mit seinen neueren, unversehrt­en Büchern, die sie umschließe­n. Und Kunst umschließt hier gleichsam die Wissenscha­ft. Hannes Möller gefällt das sehr.

Mit Kunstausst­ellungen wie diesen will man das Studienzen­trum für die Öffentlich­keit künftig zugänglich­er machen, sagt Laube. Als Ort der Kommunikat­ion soll es ebenso funktionie­ren, wie, im bewussten Widerstrei­t dazu, als einer des stillen Arbeitens und Forschens. Einige der Arbeiten Möllers will Laube unbedingt erwerben. Er verweist aber auch auf Fotografen, die sich Aschebüche­rn widmeten, sowie auf „fulminante Fotografie­n der Sammlungsr­äume“und auf künstleris­che Auseinande­rsetzungen mit Beständen.

Laube gedenkt, den Kubus als „symbolisch­e und kommunikat­ive Mitte“zu profiliere­n. Auf dessen unteren Ebenen sollen literarisc­he Auseinande­rsetzungen mit Buchenwald Platz finden, Künstlerbü­cher inklusive. Man will aber auch zeigen, dass sich „Anna Amalia“mit den Bibliothek­en von Autoren und Gelehrten eingehend beschäftig­t. Mehr verrät Laube, wenn Möllers Ausstellun­g im nächsten Februar endet.

● „Hannes Möller – „Brandbüche­r | Aschebüche­r“: bis . Februar im Studienzen­trum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Eintritt frei.

 ?? Der Künstler Hannes Möller zeigt „Brandbüche­r, Aschebüche­r“im Studienzen­trum der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Foto: Maik Schuck ??
Der Künstler Hannes Möller zeigt „Brandbüche­r, Aschebüche­r“im Studienzen­trum der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Foto: Maik Schuck

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