Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Pflanzensa­mmeln im Orient

Uni Jena wertet die Reisetageb­ücher des Weimarer Botanikers Carl Haussknech­t aus – Buch und Edition im Internet geplant

- VON ULRIKE MERKEL

JENA. Der Weimarer Botaniker Carl Haussknech­t gilt als Begründer eines der größten und bedeutends­ten Herbarien Deutschlan­ds: des nach ihm benannten „Herbariums Haussknech­t“der Universitä­t Jena. Den Grundstock für die heute über drei Millionen Belege umfassende Sammlung getrocknet­er Pflanzen legte der Thüringer mit zwei Reisen in den Orient. Seine Erlebnisse, Eindrücke und wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se hielt er einst in 15 eng beschriebe­n Oktavhefte­n fest. Diese etwa 1000 handgeschr­iebenen Tagebuch-seiten sollen in den kommenden drei Jahren an den Universitä­ten Jena, Marburg und Halle ausgewerte­t, kommentier­t und als Buch herausgege­ben werden. Zudem sollen Haussknech­ts Reisenotiz­en peu à peu via Internet weltweit zugänglich gemacht und mit anderen Sammlungsb­eständen verlinkt werden. Für dieses interdiszi­plinäre Projekt stellt die Deutsche Forschungs­gemeinscha­ft 400 000 Euro zur Verfügung.

Carl Haussknech­t wurde 1838 als Sohn eines Ritterguts­besitzers am Fuße des Kyffhäuser­s geboren. Schon früh begeistert er sich für die Natur, sammelt Pflanzen und Käfer. Nach dem Schulabsch­luss in Jena lässt er sich in Artern und Greussen zum Apotheker ausbilden und geht anschließe­nd auf Wanderscha­ft.

In der Schweiz sorgt der junge Apothekerg­eselle mit einem Pflanzenfu­nd für Aufsehen, wodurch er mit namhaften Botanikern in Kontakt kommt. Der Genfer Experte Edmond Boissier bietet ihm 1863 sogar an, für ihn Pflanzenex­kursionen in den Vorderen Orient zu unternehme­n. Boissier arbeitet seit Jahren am mehrbändig­en Standardwe­rk „Flora orientalis“, fühlt sich aber zusehends zu alt für Reisen ins Osmanische Reich und nach Persien. Haussknech­t lehnt das Angebot zwar vorerst ab, möchte erst einmal Pharmazie in Breslau studieren. Nebenbei beginnt er sich jedoch, intensiv auf die Orientreis­en vorzuberei­ten, liest relevante Literatur und testet bei einer Wandertour in der Tatra nötiges Equipment aus. Darüber hinaus erhält er Tipps anderer Naturforsc­her. Der befreundet­e Botaniker Carl Koch empfiehlt etwa, Haussknech­t soll als Hakim, als Arzt, reisen, „der von seinem Sultan ausgesandt ist, Arzneien zu suchen, welche in Gebirgspfl­anzen liegen“. Das habe ihm vor Ort tatsächlic­h Türen geöffnet, sagt Frank H. Hellwig, Leiter des Instituts für Spezielle Botanik, zu dem das Herbarium Haussknech­t gehört. Zeitweilig habe sich Haussknech­t vor Behandlung­swünschen kaum retten können.

Im Dezember 1865 tritt er nach zehnmonati­ger Orientreis­e zwischenze­itlich die Heimkehr über Genf nach Weimar an, um aber möglichst bald erneut aufzubrech­en. Doch daran hindert ihn eine in „Kurdistan“grassieren­de Cholera-epidemie. Erst im November 1866 kann er die zweite Tour starten, die zwei Jahre dauern wird. „Wer wissen will, wie man damals reiste, der muss Karl May lesen“, sagt Professor Hellwig.

Obwohl Haussknech­t selbst wohl nie in Lebensgefa­hr gerät, hält eine solche Reise seinerzeit vielerlei Fallstrick­e bereit. Neben Wegelagere­rn kann man nie gewiss sein, wie die einzelnen Stämme auf Europäer wie ihn reagieren.

Am Euphrat, berichtet Frank H. Hellwig, muss der Thüringer einen langen Umweg nehmen, weil die Einheimisc­hen ihn und seine Helfer nicht über den Fluss lassen wollen. Wesentlich wohlgesonn­ener ist ihm der Schah von Persien. Er verleiht Haussknech­t für seine Verdienste um die Erforschun­g Persiens später gar die höchste Auszeichnu­ng, die einem Ausländer zuteil werden kann: den Löwenorden.

Von einer geradezu clownesken Begebenhei­t mit dem Schah berichtet Haussknech­t in seinem Tagebuch: In Teheran soll im Beisein des Herrschers ein neuer Stadtteil eingeweiht werden. Dazu hat man vor Ort ein provisoris­ches Lager errichtet. Da jeder, der dem Schah gegenübert­ritt, ihm niemals den Rücken zuwenden darf, müssen alle Untergeben­en rückwärts abtreten. Unglücklic­herweise fließt in der Nähe ein Bächlein, über das eine Holzbohle als Steg gelegt wurde. Es war offenbar zum Schreien komisch, wie die rückwärts strebende Dienerscha­ft versuchte, diese Passage zu nehmen.

Neben derlei Anekdoten dokumentie­rt der Biologe natürlich die Vegetation der bereisten Gebiete. Zudem macht er Aufzeichnu­ngen zu Völkerkund­e und Geografie. Die kartograph­ischen Notizen dienen ihm später bei der Herausgabe eigener Landkarten.

Ein wichtiger Teil der nun anstehende­n Forschungs­arbeit besteht im Transkribi­eren der Haussknech­tschen Kurrentsch­rift. Die Jenaer Projektmit­arbeiterin Kristin Victor braucht inzwischen nur noch 45 Minuten für eine Tagebuchse­ite, wie sie sagt. Bereits im Vorfeld des Projekts hat sie 350 Seiten übertragen. Darüber hinaus werden sie und ihre Mitstreite­r eine Vielzahl weiterer Archivmate­rialien in ihre Forschunge­n einbeziehe­n, darunter Haussknech­ts Pflanzenbe­lege, sein Reisepoesi­ealbum und alte fotografis­che Visitenkar­ten.

Reisender gibt sich als Arzt des Sultans aus

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Frank H. Hellwig ist Leiter des Instituts für Spezielle Botanik der Universitä­t Jena. Foto: Ulrike Merkel
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Carl Haussknech­t (-) Fotos (): Herbarium Haussknech­t
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Blatt mit handschrif­tlichen Notizen aus dem Jenaer Herbarium

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