Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Viel zu wenig Betriebsrente und viel zu wenig private Vorsorge“
Sittler: Bekämpfung der Altersarmut ist Aufgabe der Sozialpolitik, nicht der Rentenversicherung
ERFURT. Deutschlands Altersversorgung steht auf dem Prüfstand. Loring Sittler, einst Leiter des Zukunftsfonds der Generali Deutschland AG, erläutert, wie es um Rente und Rentner heute und in naher Zukunft steht.
Wie ist die Lage der Generation, die das Arbeitsleben hinter sich hat, heute?
Rentnern zwischen 65 und 85 geht es in der großen Mehrheit besser als je zuvor. Ihr durchschnittliches frei verfügbares Einkommen nach Abzug aller laufenden Kosten ist nach eigenen Angaben in der repräsentativen Generali Altersstudie 2017 seit 2012 um 20 Prozent gestiegen. Eine Minderheit von drei Prozent bezieht Grundsicherung im Alter. Das frei verfügbare Einkommen von Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status – etwa 25 Prozent der Gesamtbevölkerung – liegt deutlich niedriger als bei Personen mit mittlerem (49 Prozent) oder hohem Status (26 Prozent).
Wer ist heutzutage von Altersarmut bedroht?
Insbesondere Frauen, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben wegen Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Arbeitslosigkeit; betroffen sind aber auch Minijobber und prekär bezahlte Arbeitnehmer sowie viele Teilzeitarbeitnehmer, weil sie weder die wichtigen Beitragsjahre erreichen noch die Beitragshöhen erbringen konnten, die für eine auskömmliche gesetzliche Rente notwendig sind. Und gerade diese hatten in der Regel auch kein Geld, um mit einer zusätzlichen Betriebsrente oder mit einer privaten Riester-rente vorzusorgen oder sonst Kapital zu bilden.
Und wie verändert sich dies in den kommenden Jahren?
Das Auseinanderdriften der Einkommen zwischen oben und unten wird sich weiter fortsetzen und verschärfen, aber man darf nicht überdramatisieren: Selbst das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung weist darauf hin, dass die Senkung des Rentenniveaus nicht zu einer Rentenkürzung führt. Das ist gesetzlich ausgeschlossen. Die Renten steigen aber langsamer als die Löhne.
Wird es künftig also deutlich mehr Altersarmut geben?
Das ist leider zu befürchten. Viele scheiden vor dem gesetzlichen Rentenalter aus dem Erwerbsleben aus und erhalten im Krankheitsfalle die Erwerbsminderungsrente, die in der Regel ein niedrigeres Alterseinkommen zur Folge hat. Besorgnis erregend ist auch, dass die Bundesregierung zwar immer wieder betont, dass die gesetzliche Rente alleine die Erhaltung des Lebensstandards nicht garantieren kann, dennoch sorgen viel zu wenige, die es sich eigentlich leisten könnten, für das Alter vor. Es gibt viel zu wenig Betriebsrenten und viel zu wenig private Vorsorge für das Alter – und eine starke Neigung großer Teile der Bevölkerung, das verfügbare Geld für den sofortigen Konsum auszugeben.
Welche Forderungen ergeben sich daraus?
Die Regelungen zur Riester-rente sind zu kompliziert und es bestehen nicht genügend Anreize, in diese staatlich subventionierte Form der Alterssicherung einzusteigen. Die Betriebsrenten haben sich noch nicht weit genug durchgesetzt. Auch hier ist der Gesetzgeber gefordert, den Einstieg zu erleichtern und die finanziellen oder steuerlichen Anreize für Betriebsrenten zu verbessern. Dazu gehört auch eine vernünftige Informationskampagne über die künftige Entwicklung der Rente.
Und was wäre, wenn einfach die Renten erhöht würden?
Eine allgemeine Erhöhung der Renten ist aus demografischen Gründen nicht nur zu teuer, sie hilft auch den Benachteiligten nicht wirklich und verschafft den ohnehin gut gestellten Personen mehr Einkommen. Auch die Einbeziehung aller Arbeitseinkommen in die gesetzliche Rentenversicherung schafft keine nachhaltige Abhilfe: Vorübergehend werden mehr Einnahmen erzielt, es entstehen aber dadurch auch neue Rentenansprüche, die später zu bezahlen sind.
Das heißt?
Die allgemeine Bekämpfung der Altersarmut ist Aufgabe der Sozialpolitik, keine Aufgabe der beitragsfinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung. Die Rente sollte aus guten Gründen an die Arbeitsleistung gebunden bleiben. Das erzeugt auch den nötigen politischen Druck, sich an der Lohnfront in die richtige Richtung zu bewegen.
Werden wir uns auf längere Lebensarbeitszeiten einstellen müssen?
Ja. Das derzeitige tatsächliche Renteneintrittsalter liegt noch unter 64 Jahren. Da wir eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt haben – sie steigt aktuell nur ganz langsam an – kann das nicht funktionieren: immer mehr Rentner, die länger leben, und immer weniger junge Menschen, die als Erwerbstätige einzahlen. Da muss man nicht Mathematik studiert haben, wie Franz Müntefering sagt. Auch infolge der „Rente mit 67“-Regelung wird sich die Lebensarbeitszeit verlängern; und weitere Erhöhungen der Regelaltersgrenze sind praktisch unvermeidbar.
Was empfehlen Sie beim Renteneintrittsalter?
Nach meiner Meinung sollte die längere Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden, damit die Lebensarbeitszeit stabil bei 2/3 der Lebenszeit bleibt. Das wäre immerhin eine Entlastung für die Finanzierung der Rentenversicherung. Für eine nachhaltige Stabilisierung der Rentenversicherung müssen wir aber auch die Frauenerwerbsquote steigern und weniger Bildungs- und Ausbildungsabbrüche erreichen und zusätzlich die Flüchtlinge in den ersten Arbeitsmarkt integrieren – eine Riesenaufgabe. Wenn alle mitziehen, schaffen wir das. Und dennoch werden wir nicht umhinkommen, in den nächsten Jahren die Beiträge zur Rentenversicherung deutlich anzuheben.
Es heißt, immer mehr Rentner müssten arbeiten gehen, weil sie zu wenig haben. Stimmt das?
Es ist ein Mythos, dass viele Rentner arbeiten gehen, weil sie müssen. Insgesamt sind in Deutschland nur 15 Prozent der Menschen über 65 Jahre erwerbstätig; und mehrheitlich sind es die Besserverdienenden, die aus Freude an der Arbeit weiterarbeiten. Dieser Anteil wird sich künftig aber sicher steigern, in allen Schichten.