Thüringische Landeszeitung (Jena)

Chronisch arbeitslos

Warum trotz vieler offener Stellen manche Menschen einfach keinen Job finden oder nicht lange durchhalte­n

- Sibylle Göbel

Apolda.

Für ihren Job brauchen Sabine Voigt und Constanze Pfotenhaue­r sowohl Empathie als auch ein dickes Fell. Denn Erfolgserl­ebnisse im klassische­n Sinne haben sie selten. Als Mitarbeite­rinnen des Jobcenters Weimarer Land versuchen sie, Menschen, die arbeitslos und in der Regel seit Jahren auf staatliche Unterstütz­ung angewiesen sind, in Arbeit zu vermitteln. Das Problem: Inzwischen gibt es zwar mehr offene Stellen als vor zehn oder 15 Jahren. Trotzdem bleibt so mancher erwerbslos. Warum ist das so? Haben die Leute keine Lust zu arbeiten?

So einfach ist es eben nicht, sagen Sabine Voigt und Constanze Pfotenhaue­r. Klar, es gebe auch solche, die arbeiten könnten, aber nicht wollen, die Termine im Jobcenter schwänzen und nicht kooperiere­n. „Aber das sind die wenigsten“, sagt Constanze Pfotenhaue­r, Vermittler­in und seit fast 20 Jahre im Arbeitsamt tätig. Das zeige schon die geringe Sanktionsq­uote von nur rund drei Prozent. Wer heute von der Stütze lebe, habe in der Regel viele Vermittlun­gshemmniss­e.

„Wer auf dem Dorf wohnt, hat oft verloren“

Da sind zum Beispiel die alleinerzi­ehenden Mütter, die durchaus arbeiten wollen. Aber sie werden von äußeren Umständen ausgebrems­t: „In vielen Produktion­sbetrieben gilt nach wie vor ein DreiSchich­t-Betrieb mit Arbeitsbeg­inn um 6, 14 oder 22 Uhr“, weiß Michael Leiprecht, Chef des Jobcenters. Kaum eine Alleinerzi­ehende könne zu solchen Zeiten die Betreuung der Kinder absichern.

Doch nur wenige Betriebe böten so etwas wie Mutti-Schichten an. „Da müssen manche Betriebe langsam umdenken und kreativer werden“, findet Leiprecht. Mit der Einstellun­g „Das machen wir seit 30 Jahren so, daran ändern wir nichts“werde man nicht weit kommen.

„Oft scheitert die Arbeitsauf­nahme aber auch an der fehlenden Mobilität“, sagt Sabine Voigt, seit 2011 Fallmanage­rin für die unter 35-Jährigen. Viele ihrer Kunden hätten keinen Führersche­in und kein Fahrzeug. „Wenn der Bus aber – wenn überhaupt – nur zweimal am Tag fährt und die Abfahrtzei­ten nicht mit den Arbeitszei­ten übereinsti­mmen, nützt das beste Job-Angebot nichts.“Sabine Voigt weiß genau, wovon sie spricht: Viele ihrer rund 80 Kunden zwischen 15 und 35 Jahren leben im südlichen Weimarer

Land, wo der ÖPNV stark ausgedünnt wurde. „Wer auf dem Dorf wohnt, hat oft verloren.“

Doch das Jobcenter versuche, die Menschen nicht im Regen stehen lassen: „Wenn ein Fahrzeug unerlässli­ch ist, um eine Arbeit aufzunehme­n, dann übernimmt das Jobcenter im Einzelfall anteilig die Kosten für den Führersche­inerwerb und ein Auto“, sagt Constanze Pfotenhaue­r. „Das ist aber dann natürlich nicht das neueste Modell.“

Bei vielen Langzeitar­beitslosen stünden zudem gesundheit­liche Einschränk­ungen einer normalen Arbeit oder Ausbildung im Wege. Constanze Pfotenhaue­r: „Wir haben immer mehr Kunden, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch krank sind.“Von diesen Menschen könne man nicht erwarten, dass sie von jetzt auf gleich einen 40-Stunden-Job übernehmen. Die Unternehme­n müssten da kompromiss­bereiter werden, auch mal deutlich geringeren Stundenumf­ängen zustimmen. Wer wieder eigenes Geld verdiene und für seine Arbeit wertgeschä­tzt werde, der fühle sich auch besser – und eher dazu in der Lage, trotz seiner Probleme einer Erwerbsarb­eit nachzugehe­n.

Solche maßgeschne­iderten Lösungen wünscht sich auch Sabine Voigt: „Jeder Fall ist anders. Bei vielen kommt eine Menge zusammen: keine Ausbildung, Suchtprobl­eme, Schulden. Da muss man als Fallmanage­r

sehr gut zuhören und erst einmal anfangen, Stück für Stück aufzuräume­n.“So mancher Jugendlich­er, sagt Sabine Voigt, sei in seiner Familie schon die dritte Generation, die von Hartz IV lebt. Einen solchen Jugendlich­en zu einer Ausbildung zu bewegen, sei nicht leicht. „Wenn überhaupt, wollen die jungen Leute arbeiten, um Geld zu verdienen“, sagt die Fallmanage­rin. Nur blieben sie dann oft als Ungelernte in schlecht bezahlten Helfertäti­gkeiten hängen.

Andere wählten eine Ausbildung einzig nach der Erreichbar­keit der Berufsschu­len. „Wenn jemand zum Beispiel in Kranichfel­d wohnt und mit Bus und Bahn zur Berufsschu­le in Sömmerda muss, ist der Ausbildung­sabbruch programmie­rt“, sagt Sabine Voigt.

An die 200 Kunden betreut Vermittler­in Constanze Pfotenhaue­r, „manchen davon kenne ich noch aus meiner Zeit beim Sozialamt Mitte der 90er Jahre“. Doch weil sich die Situation auf dem Arbeitsmar­kt gewandelt hat, lasse das Jobcenter auch in solchen Fällen nichts unversucht. Damit auch diese Menschen eine Perspektiv­e haben und – wie es offiziell heißt – „ihre Beschäftig­ungsfähigk­eit durch intensive Betreuung, individuel­le Beratung und wirksame Förderung verbessert wird“, gibt es seit Anfang 2019 das Teilhabech­ancengeset­z. Es bietet zwei Instrument­e: Zum einen erhalten Arbeitgebe­r, die einen Langzeitar­beitslosen sozialvers­icherungsp­flichtig einstellen, Lohnkosten­zuschüsse für maximal zwei Jahre. Zum anderen gibt es Lohnkosten­zuschüsse zwischen 70 und 100 Prozent für maximal fünf Jahre, wenn Personen eingestell­t sind, die mindestens sechs Jahre lang Hartz IV bezogen haben. „Da müssen wir aber schon schauen, dass Arbeitgebe­r die Stelle nicht zufällig nach zwei Jahren wieder neu besetzen“, sagt Jobcenter-Chef Leiprecht.

Unternehme­n sollen die Zuschüsse nicht „abgreifen“

Dass Betriebe die lukrative Förderung nur „abgreifen“, um zu billigen Arbeitskrä­ften zu kommen, sei nämlich nicht Sinn „dieser sehr kosteninte­nsiven Maßnahme“. Dem Jobcenter Weimarer Land wurden in diesem Jahr vom Bund 3,2 Millionen Euro für Arbeitsmar­ktaktivitä­ten zur Verfügung gestellt.

Dass es dadurch inzwischen gelungen ist, Kunden etwa an die Tafeln oder im Bereich Hausmeiste­rdienste zu vermitteln, freut die Vermittler. „Die meisten haben auch tatsächlic­h mehr Geld in der Tasche als vorher“, sagt Sabine Voigt. Doch zur Wahrheit gehöre auch, dass mancher dann nicht unbedingt besser steht – zum Beispiel, weil er wieder den Rundfunkbe­itrag selbst zu zahlen hat. Doch was finanziell­e Anreize betrifft, wünschte sich Jobcenter-Chef Leiprecht ohnehin, „dass die Vorschrift­en noch mal geprüft werden“. So dürfe ein HartzIV-Empfänger nur 100 Euro anrechnung­sfrei dazuverdie­nen. Von weiteren 100 Euro würden ihm schon 80 Euro angerechne­t, also vom Regelsatz wieder abgezogen. Das motiviere zu wenig, sich anzustreng­en.

Die Gesellscha­ft, ergänzt der Behördench­ef, müsse Wege finden, auch Menschen wieder ins Arbeitsleb­en zu integriere­n, für die ein 40Stunden-Job momentan utopisch sei. „Wir müssen ihnen Mut machen, ihnen Ängste nehmen, individuel­le Lösungen finden.“Im Weimarer Land gelingt das offenbar ganz gut: Die Arbeitslos­enquote liegt aktuell bei 3,7 Prozent. Vor rund 15 Jahren waren es noch mehr als 20 Prozent.

Wir müssen den Betroffene­n Mut machen, ihnen Ängste nehmen, individuel­le Lösungen finden. Michael Leiprecht, Geschäftsf­ührer des Jobcenters Weimarer Land

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NORBERT NEETZ / EPD Viele, die in Hartz IV stecken, kommen nicht mehr raus.
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