Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Olympia ist für mich pure Magie“

Olympiasie­gerin Kristina Vogel über ihre neue Rolle in Tokio und das, was ihr wichtig ist

- Von Melanie Meyer

Erfurt. In Tokio wollte sie ihre dritte Goldmedail­le gewinnen. Doch Kristina Vogel, die erfolgreic­hste Bahnradfah­rerin der Welt, wird nicht als Athletin nach Japan reisen. Sie ist als TV-Expertin vor Ort. Vor drei Jahren wurden ihre Pläne über den Haufen geworfen. Seit einem schweren Trainingsu­nfall ist sie querschnit­tsgelähmt. Doch nur weil der Rollstuhl nun Teil ihres Lebens ist, verließ sie weder der Mut, noch ihre Liebe zum Sport.

Folgt man Ihrem Instagram-Profil lernt man viel über Ihr Leben. So auch, dass sie eine Vorliebe für fleischlos­en Fleischsal­at hegen.

Ja, das ist richtig. Ich bin mittlerwei­le komplett Vegetarier­in geworden – und auch mein Veganerher­z schlägt immer höher. Mittlerwei­le ärgert es mich, dass ich mich nicht schon als Aktive so ernährt habe. Aber wenn man älter wird, ist man immer klüger – und das Bewusstsei­n hat sich ja auch verändert. Bei mir waren es zwei Dinge: Zum einen das Tierwohl – das Herz tat weh. Zum anderen die Erkenntnis, dass es mir einfach viel besser geht. Zudem fahre ich beruflich bedingt sehr, sehr viel Auto, bewege da den dicken Dieselmoto­r durch die Gegend. Von daher ist es schon gut, wenn man den CO2-Fußabdruck hier und da etwas aufbessert.

Lernen mit neuen Situatione­n umzugehen: das passt zu Ihrem Leben.

Durch den Leistungss­port und auch durch die Schicksals­schläge, die ich erlebt habe, weiß ich: Es ist wie es ist. Es gibt Dinge, die muss man einfach hinnehmen, und das Beste aus der Situation machen.

Auch deshalb sind Sie eines der Gesichter der Sporthilfe-Kampagne „Germany United“. In dieser geht es den positiven Geist des Sports…

… ja, als wäre sie für mich geschriebe­n worden, gell? (lacht) Ich fand die Idee toll, das Gemeinsame, aber auch das Begeistern­de, das den Sport ausmacht, zu verbreiten. Deshalb war ich auch sofort dabei. Gerade für die Sporthilfe mache ich so was gerne. Ich liebe die Stiftung und die Menschen dort. Sie waren mit die ersten, die mich unterstütz­t haben.

Meine Eltern hätten es sich niemals leisten können, mich auf eine Sportschul­e zu schicken. Mit der Sporthilfe hat das geklappt, da gebe ich gerne was zurück – und habe auch noch Spaß dabei.

In der Kampagne geht es auch um Verantwort­ung – auch das passt.

Rückblicke­nd war ich als Aktive im Team schon die Leitwölfin, die alle zusammenge­halten hat. Und jetzt als Trainerin der Bundespoli­zei habe ich auch Verantwort­ung für meine Athletinne­n und Athleten. Ich finde, man stolpert manchmal so in die Vorbildrol­le hinein, ohne dass man es so richtig weiß oder möchte. Aber da zeigt sich, wer ein geborener Anführer ist, wer sich einsetzt,

weil es ihm am Herzen liegt. Wenn ich Verantwort­ung für meine Athleten habe, dann zählt für mich nur, das Bestmöglic­he für sie herauszuho­len. Dafür kämpfe ich dann auch wie eine Löwin.

Was verspreche­n Sie sich in Tokio von Ihren Nachfolger­n?

Bei meinen Bundespoli­zei-Athleten muss man auf jeden Fall hingucken: Lea Sophie Friedrich, Stefan Bötticher, Timo Bichler – das sind drei ultratalen­tierte Sportler. Bei Lea kann es vielleicht sogar mehr als einmal klingeln. Auch wenn sie mit 21 Jahren noch eine ganz junge Athletin bei ihren ersten Spielen ist: Wenn ich gegen sie fahren müsste, dann müsste ich in der Taktikkist­e schon ziemlich tief kramen. Auch Leas Teampartne­rin Emma Hinze hat als Weltmeiste­rin natürlich sehr gute Chancen – an ihnen müssen die anderen erstmal vorbei. Aber man sollte auch das Olympia-Glück nicht unterschät­zen – das schreibt noch eigene Geschichte­n.

Wie bei Ihnen 2016 in Rio, als Sie trotz eines abgebroche­nen Sattels Gold gewannen…

Ja, genau. Mit Olympia-Glück gewinnt man sogar ohne Sattel.

Schwingt bei diesen Erinnerung­en nicht auch etwas Wehmut mit?

Ich war acht Jahre lang Leistungss­portlerin und natürlich weiß ich noch, wie viel Spaß es macht, zu gewinnen. Vor allem das Gewinnen von olympische­n Medaillen macht sehr, sehr viel Spaß – auch wenn der Weg dahin sehr steinig sein kann. Emotional und psychisch ist das extrem herausford­ernd. Aber dann da zu stehen ist einmalig. Daran werde ich vielleicht denken, wenn ich andere da sehe. Aber es gibt kein negatives Gefühl. Es wäre eher ein Schwelgen in Erinnerung­en.

Also überwiegt die Freude, dass Sie für das ZDF in neuer Rolle zu Olympia reisen werden?

Ja, total. Ich bin absolut beseelt und glücklich, dass ich diese Chance habe. Ich habe immer von meinen dritten Spielen geträumt. Und bevor ich verunfallt bin, war es der Plan, dass ich da mein drittes Gold gewinne. Jetzt ist der Plan anders. Ich habe sehr, sehr viel in meiner Karriere erreicht, ich bin elfmal Weltmeiste­rin geworden, habe zweimal OlympiaGol­d, einmal Bronze gewonnen. Das kann mir keiner nehmen. Und wenn in Tokio eine meiner Athletinne­n oder einer meiner Athleten ganz oben steht, dann würde mich das ungemein freuen. So sind es dann trotzdem meine Spiele – diesmal aus einer anderen Perspektiv­e.

Wie blicken Sie auf Tokio?

Ich bin natürlich total aufgeregt. Olympia ist für mich, egal wie, pure Magie. Sicherlich wird dieses Jahr vieles anders sein. Es wird keine Zuschauer geben. Das ist schon traurig. Aber es sind Olympische Spiele. Und ich glaube, dass diese Ringe bei allen etwas auslösen werden.

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FOTO: K. HESSLAND-WISSEL Kristina Vogel gestern auf der Erfurter Radrennbah­n.

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