Thüringische Landeszeitung (Jena)
RTL holt sich Pinar Atalay von der ARD
„Tagesthemen“-Moderatorin wechselt zum Privatfernsehen – wie zuvor schon Jan Hofer und Linda Zervakis
Von Jonas Erlenkämper
Köln/Hamburg.
Die Frau des Tages ist zugeschaltet aus ihrem Wohnort Hamburg. Während Pinar Atalay (43) auf einem Sofa sitzt und so freundlich-seriös wie sonst in den „Tagesthemen“in die Kamera blickt, lässt ihr neuer Chef in Köln keinen Zweifel daran aufkommen, dass RTL große Hoffnungen setzt auf den Stareinkauf von der ARD. „Sie ist eine Topjournalistin mit Haltung und großer Ausstrahlung“, jubelt Stephan Schmitter, Geschäftsführer RTL News. „Ein Familienmensch mit einem spannenden Lebensweg, warmherzig und neugierig.“Man sei „sehr glücklich, dass Pinar Atalay zu uns kommt“.
Was sie und der Geschäftsführer am Dienstag überraschend verkünden, ist mehr als eine TV-Personalie – es ist ein Angriff auf die ÖffentlichRechtlichen. Atalay, seit 2014 Moderatorin der „Tagesthemen“und eine der bekanntesten Nachrichtenfrauen im deutschen Fernsehen, kehrt der ARD den Rücken und moderiert ab dem 1. August bei der privaten Konkurrenz von RTL.
Der Sender will seine Informationssendungen ausbauen und sich so von Streaming-Rivalen wie Netflix abheben. „In diesen politisch spannenden Zeiten wird das journalistische Profil von RTL weiter gestärkt, und ich freue mich, daran teilhaben zu dürfen“, erklärt die
Mutter einer vierjährigen Tochter. Für ihren aktuellen Arbeitgeber ist Atalays Abgang hingegen eine Enttäuschung: „Das ,Tagesthemen‘-Moderationsteam mit Caren Miosga und Ingo Zamperoni wurde durch Pinar Atalay journalistisch wie menschlich bereichert“, resümiert Marcus Bornheim, Erster Chefredakteur ARD-aktuell – der zentralen Hamburger Redaktion, die auch die „Tagesschau“und das „Nachtmagazin“produziert. „Wir wünschen ihr alles Gute.“
In Köln trifft Atalay auf einen alten Bekannten: Im Dezember hatte sich Jan Hofer (69) nach rund 36 Jahren von der „Tagesschau“verabschiedet, im März verkündete RTL, dass er ab Herbst eine neue werktägliche Nachrichtensendung übernehmen wird.
Der ARD laufen die Moderatoren weg. Auch Linda Zervakis (45) hat die „Tagesschau“im April verlassen und einen Vertrag bei ProSieben unterschieben. Was versprechen
sich die Privatsender von der Abwerbung bekannter ARD-Gesichter? Atalay, Hofer und Zervakis sind seit Jahren einem Millionenpublikum bekannt und stehen für Seriosität und Verlässlichkeit – somit passen sie ins Konzept der Senderfamilien RTL und ProSiebenSat.1, die beide zur Bundestagswahl eine Nachrichtenoffensive starten.
So baut ProSiebenSat.1 gerade eine neue Redaktion auf und hatte es geschafft, Annalena Baerbock nach ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin der Grünen zu einem Interview zu bewegen – noch bevor sie bei ARD und ZDF zu Gast war. Die RTL-Gruppe wiederum prüft eine enge Zusammenarbeit mit dem Hamburger Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr („Stern“, „Geo“), der wie RTL zum Bertelsmann-Konzern gehört.
Dieter Bohlen und Oliver Pocher mussten bei RTL gehen
Pinar Atalay betont, die Nachrichtenoffensive habe sie gereizt: Sie wolle „mit meiner Erfahrung als TVJournalistin und Moderatorin dem steigenden Informationsbedürfnis“des Publikums gerecht werden, und zwar „mit Qualitätsjournalismus, der für die Gesellschaft unabdingbar ist“. Atalay, geboren im lippischen Lemgo und ausgebildet beim Radiosender Antenne Münster, soll nicht nur als Sprecherin vor der Kamera stehen, sondern auch inhaltlich mitarbeiten.
Für langjährige RTL-Figuren aus dem Showbereich bleibt da kein Platz mehr. Nachdem der Sender im April bereits TV-Ekel Dieter Bohlen (67, „Deutschland sucht den Superstar“) vor die Tür gesetzt hatte, wurde vergangene Woche bekannt, dass die Kölner Oliver Pochers (43) Krawallshow „Pocher – gefährlich ehrlich“einstellen. RTL will solide werden – und Pinar Atalay soll dabei helfen.
„Sie ist eine Topjournalistin mit Haltung und großer Ausstrahlung.“ Stephan Schmitter, Geschäftsführer RTL News, über den Neuzugang Pinar Atalay