Thüringische Landeszeitung (Jena)
Fisch fliegt, Vogel siegt
Der Thüringer Sport feiert in der Erfurter Messehalle seine Besten – mit einem Abend, an dem manches anders ist
Darf man den Ball des Sports feiern? Zu dieser Zeit, an diesem Ort? Darf fröhlich sein, wer allen Grund hätte innezuhalten, acht Wochen nach der Detonation im größtmöglichen Skandal um Doping und Betrug? Die Fragen sind legitim und schlicht. Die Antwort ist es auch. Man darf.
Weil eine Absage vor allem die getroffen hätte, die seine Seele ausmachen. Die Ehrenamtlichen, die Übungsleiter, die Aufsteiger, die Organisatoren, die ebenso unsichtbaren wie allgegenwärtigen Helfer des großen kleinen Sports zwischen Zella-Mehlis und Stotternheim.
Das Fest musste diese Gleichzeitigkeiten zwischen Wohl und Wehe verkraften und mit ihr die Zerreißprobe zwischen dem, was war und dem, was ist.
Es war Kristina Vogel, die schon mit ihrer Anwesenheit das richtige Argument bereithielt. Auch sie muss, auf gänzlich anderer Ebene und ungleich schwerer, eine neue Wirklichkeit meistern.
Und so erinnerte an diesem Abend alles auf seine Weise – der öffentlich gewordene Skandal, der weniger hoch fliegende Ball und das ganz persönliche Schicksal – an eine simple Einsicht, die über den Sport hinausreicht: nichts im Leben ist selbstverständlich. Man muss seine Herausforderung nur zu packen wissen. Am besten auf Vogelsche Art: aufrecht und aufrichtig
Weitere Kommentare finden Sie unter www.tlz.de/meinung Kontakt zu unseren Sport-Kommentatoren erhalten Sie unter E-Mail: sport@tlz.de 1. Bobteam Jamanka
2. Thüringer HC
3. Rodel-Duo Eggert/Benecken 4. Thuringia Bulls
5. SV Pöllwitz
6. Post Mühlhausen 7. Maxx-Solar-Lindig-Radteam 8. Nordhäuser SV Gruppenbild mit Herren: Bobpilotin Mariama Jamanka (vorn/. v. r.) mit den Anschieberinnen Franziska Bertels und Lisa Buckwitz (r.), umrahmt von Sascha Benecken (vorn/. v. r.), der seinen Rodel-Piloten Toni Eggert mit vertrat, und den THC-Handballerinnen mit Trainer Herbert Müller. FOTOS: KARINA HESSLAND-WISSEL ERFURT. Sie füllt noch immer ganz allein die große Bühne. Als Kristina Vogel da oben sitzt, im glitzernden Rollstuhl und grellen Rampenlicht, zeigt sich die gemeinschaftsstiftende Kraft des Sports auf ihre ganz eigene Art. Es ist ihr Moment und der des Abends zugleich. Die Ewigkeit des Augenblicks muss diesen unglaublichen Spagat zwischen den Triumphen und Tränen des vergangenen Jahres, zwischen Sternstunden und Schrecksekunden aushalten.
Die Erfurterin meistert ihn mit der unerschütterlichen Souveränität ihres Naturells und der mitreißenden Energie einer großen Sportlerin. „Ich mache das auch für euch“, ruft sie ins Mikrofon, und der Saal verneigt sich auf seine Weise. Minutenlang, mit stehendem Applaus.
Doch dann wischt auch sie, überwältigt von der Zuneigung, eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ich hatte nicht erwartet, dass mich das so emotional abholt“, sagt sie. Sechsfache Thüringer Sportlerin des Jahres ist sie nun und hat damit gleichgezogen mit der großen Gunda Niemann-Stirnemann. Ihr wichtigster Sieg aber lässt sich nicht mit Gold aufwiegen. Weil er so viel schwerer fällt. Es ist der Weg zurück, in ihr zweites Leben. „Er dauert viel, viel länger“, sagt die einst beste Bahnradfahrerin der Welt, die immer Ungeduldige, „aber es lohnt sich zu kämpfen.“
Am sportlichen Waagepunkt zwischen Taten und Träumen knüpft dieser siebente gemeinsame Ball von Landessportbund und Thüringer Sporthilfe einmal mehr die Bande zwischen Winter und Sommer, zwischen Abschied und Anfang. Thüringen, ein Wintersportland? Ja, aber.
Auch diesmal dürfen sich die von der großartigen Mariama Jamanka angeführten Helden von Loipe und Eiskanal auf der Bühne ihrer Überzahl sicher sein, wenngleich allein schon die in Mannschaftsstärke direkt vom siegreichen Spitzenspiel gegen Bietigheim „eingeflogenen“THCBallerinas für ein optisches Frühlingserwachen sorgen. Die beiden Hauptkategorien jedenfalls gehen wieder an den Sommer. Neben Kristina Vogel, bei der, wenn man die Bemerkung Franziska Sag beim Abschied leise Servus: Rennrodlerin Tatjana Hüfner, Olympiasiegerin und fünffache Weltmeisterin, dankt ihrem langjährigen Schlittentechniker Wolfgang Scholz. Atemlos durch den Abend: Die mitreißenden Breakdancer der „Dancefloor-Destruction-Crew“aus Schweinfurt. Schenks richtig deutet, die Familienplanung offenbar konkret wird, holt sich Goldjunge Thomas Röhler die Krone als Thüringer Sportler des Jahres. Damit gehören zwölf von vierzehn Einzeltiteln der vergangenen sieben Jahre dem Radsport und der Leichtathletik.
Gelegenheit für große Emotionen bietet dieser Abend reichlich, die ein oder andere aber bleibt in Ansätzen stecken. Zum Abschied von Tatjana Hüfner und Andi Langenhan sind deren langjährige Begleiter Wolfgang Scholz und Bernhard Glass gekommen – als Überraschungsgäste, doch nicht wirklich überraschend. Wie es überhaupt zu den großen ungelösten Rätseln eines jeden solchen Balls gehört, das anwesende sportliche Helden-Reservoir würdig und umfassend zu offenbaren. Mit Elisabeth Pähtz bleibt immerhin eine leibhaftige, amtierende Europameisterin (und Umfrage-Vierte) inkognito und unerwähnt.
Ein Hauch Zukunft wirbelt mit den akrobatischen Weltund Europameistern von DDC aus Schweinfurt in die Erfurter Messehalle. 2024 in Paris soll Aufsteigerin : SporthilfeChef Kuno Schmidt gratuliert Karateka Madeleine Schröter. Mikrofon-Talent: Biathlet Erik Lesser interviewt Andre Lange. Breakdance olympisch werden. Sozusagen als meditatives Pendant öffnet später der im lakonischen Wortwitz an seinen großen Landsmann Emil erinnernde Claude Criblez seinen Flugzoo. Der Schweizer sagt nur wusch, und ein fliegender Fisch schwebt in einer Wolke weißen Rauchs über den Köpfen des Publikums. Das staunt still und gebannt und bestätigt die alte Erkenntnis, dass die einfachsten Spielzeuge oft die besten sind.
Zumal das Schauspiel wie ein Gleichnis über dem Abend liegt. Ein Abend, der nicht ganz die Höhe und Leichtigkeit des ferngesteuerten Zeppelins erreicht. Dafür gibt es Gründe. Einen Wechsel am Mikrofon etwa, das sich Franziska Schenk erstmals mit Frank Stuckatz teilt, der wiederum bei seiner Premiere die von Peter Rüberg hinterlassenen großen Schuhe erst einmal einlaufen muss. Oder: Die gefühlt wieder spürbar länger gewordene Zeit für Ehrungen, die aus der Nacht mehr Gala statt Ball macht. Der kommt als solcher spät zu seinem Recht. Dann, als Annred erst in der letzten Stunde des Tages zum Tanz bittet. Die vorzügliche Band wiederum macht es anfangs sowohl dem heimlichen Schlagerliebhaber Erik Lesser als auch dem bekennenden Tanz-Eleven und LSBPräsidenten Stefan Hügel mit schnellen, modernen Rhythmen zugegeben nicht ganz einfach.
Und es gibt die andere Wirklichkeit, die noch ungemütlicher ist als eine glatte Tanzfläche: die des publik gewordenen Dopingskandals, der wie ein unsichtbarer, ungebetener Gast im Raum steht. Ein Gast, dem man nicht ohne Weiteres die Tür weisen kann, weil er nicht so leicht zu fassen ist.
Das Gewissen der Veranstalter hat sich für die Offensive entschieden, gleich die ersten Reden führen, sichtlich politischkorrekt bemüht, geradewegs darauf hin. Eisschnellläufer Patrick Beckert steht mutig seinen Mann und bezieht am Mikrofon Stellung. Später ist das Thema entschwunden wie der Rauch aus dem Schweizer Flugzoo. Irgendwann muss es irgendwo wusch gemacht haben.
Mehr Bilder vom Ball des Sports im Internet: www.tlz.de Blau ist die Nacht: Kristina Vogel gewinnt zum fünften Mal in Folge und zum sechsten Mal insgesamt die Sportlerwahl. Der SC Motor Zella-Mehlis mit Präsident Thomas Weiß, Gaby Schneider und Geschäftsführer Joachim Oehler wird als Organisationsteam des Jahres geehrt. Rodlerin Dajana Eitberger war die Glücksfee und Sabine Hoßbach (r.) aus Herleshausen die glückliche Gewinnerin des von der Mediengruppe Thüringen gestifteten Reisegutscheins.