Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Raus aus meinem Lebenslauf“
Bis heute war Olympiasiegerin Heike Drechsler immer wieder Stasi-Vorwürfen ausgesetzt. Ein Gutachten entlastet sie
BERLIN/JENA. Endlich einen Schlussstrich ziehen, endlich einen Makel aus dem Lebenslauf tilgen, endlich gegen falsche Behauptungen vorgehen können. Die Stasi-Vorwürfe und den Decknamen „IM Jump“hat Heike Drechsler über 25 Jahre lang mit sich herumgeschleppt. Jetzt sieht sich die zweimalige Weitsprung-Olympiasiegerin von diesem Vorwurf befreit. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten entlastet die 53-Jährige. Vor zwei Jahren hatte sich die gebürtige Geraerin professionelle Hilfe gesucht, um das Thema aufzuarbeiten. „Ich hab‘ das viel zu lange vor mir hergeschoben“, sagt sie. „Als dann vor etwa zwei Jahren wieder jemand behauptete, ich war IM der Stasi, da sagte ich mir: Jetzt muss du was tun, sonst musst du dich mit diesen falschen Behauptungen lebenslänglich herumschlagen.“
Jetzt habe sie es schwarz auf weiß, dass sie zu keiner Zeit als IM tätig war. Was sie noch nicht wusste: Seit sie 14 Jahre alt war, seit sie als Leichtathletin Reisekader war, habe sie die Stasi im Visier gehabt, sie bespitzelt. „Das tut schon weh, wenn man das liest, wenn man die Namen der Personen liest, die darin verwickelt waren.“
Der Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs, der nach der Wende als stellvertretender Fachbereichsleiter in der Forschungsund Medien-Abteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde arbeitete, kommt zu dem Schluss: „Frau Heike Drechsler war zu keinem Zeitpunkt (...) als IM ‚Jump‘ beim MfS erfasst gewesen. Sie war keine Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit.“ Die öffentlichen Anschuldigungen, sie habe der Stasi zugearbeitet und Kollegen bespitzelt, machten Drechsler sehr lange zu schaffen. „Das kommt immer hoch, und jedes Mal kriege ich regelrecht Bauchschmerzen, weil es so nicht stimmt.“Sie habe das Thema – nach einem Reifeprozess – für sich aufarbeiten müssen. „Ich will einfach, dass das rauskommt aus meinem Lebenslauf.“Mit dem Abstand der Jahre sehe sie vieles anders, könne sie Zusammenhänge besser einordnen, weiß, „dass ich früher einfach zu naiv war und nicht immer gut beraten war.“
1987 hatte Heike Drechsler von Heinz Bergner, einem StasiOffizier und Freund der Familie, 500 D-Mark erhalten. Und ihm dafür eine Quittung mit dem Namen „Jump“unterschrieben – ein folgenschwerer Vorgang. Heike Drechsler beteuert, sie habe damals nicht gewusst, dass dieser inzwischen verstorbene Mann bei der Stasi gewesen sei. Zusammen mit Bergner trat sie 1993 sogar im ZDF-Sportstudio auf, um sich zu rechtfertigen. „Das würde ich heute nicht noch einmal machen“, sagt sie. Das Geld, so Drechsler, habe sie als Ausgleich dafür gesehen, dass sie vor dem Mauerfall von ihren Prämien oft nichts gesehen habe. Ihre Unterschrift von damals ärgert sie heute maßlos: Es gebe keine Entschuldigung für ihre Naivität.
Vor allem diese Quittung diente über viele Jahre hinweg als Beleg für Drechslers IM-Tätigkeit. In seinem 31-seitigen Gutachten zum Fall Drechsler, das Müller-Enbergs honorarfrei erstellt hat, kommt er nun zu einem anderen Schluss: Auf die Frage, ob Drechsler „nach den Maßstäben des MfS beziehungsweise des Stasi-Unterlagen-Gesetzes als Inoffizielle Mitarbeiterin zu bewerten ist, fällt die Antwort eindeutig aus: Nein.“
Keine Entschuldigung für Naivität