Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Raus aus meinem Lebenslauf“

Bis heute war Olympiasie­gerin Heike Drechsler immer wieder Stasi-Vorwürfen ausgesetzt. Ein Gutachten entlastet sie

- VON ANDREAS RABEL UND ULRIKE JOHN

BERLIN/JENA. Endlich einen Schlussstr­ich ziehen, endlich einen Makel aus dem Lebenslauf tilgen, endlich gegen falsche Behauptung­en vorgehen können. Die Stasi-Vorwürfe und den Decknamen „IM Jump“hat Heike Drechsler über 25 Jahre lang mit sich herumgesch­leppt. Jetzt sieht sich die zweimalige Weitsprung-Olympiasie­gerin von diesem Vorwurf befreit. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten entlastet die 53-Jährige. Vor zwei Jahren hatte sich die gebürtige Geraerin profession­elle Hilfe gesucht, um das Thema aufzuarbei­ten. „Ich hab‘ das viel zu lange vor mir hergeschob­en“, sagt sie. „Als dann vor etwa zwei Jahren wieder jemand behauptete, ich war IM der Stasi, da sagte ich mir: Jetzt muss du was tun, sonst musst du dich mit diesen falschen Behauptung­en lebensläng­lich herumschla­gen.“

Jetzt habe sie es schwarz auf weiß, dass sie zu keiner Zeit als IM tätig war. Was sie noch nicht wusste: Seit sie 14 Jahre alt war, seit sie als Leichtathl­etin Reisekader war, habe sie die Stasi im Visier gehabt, sie bespitzelt. „Das tut schon weh, wenn man das liest, wenn man die Namen der Personen liest, die darin verwickelt waren.“

Der Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs, der nach der Wende als stellvertr­etender Fachbereic­hsleiter in der Forschungs­und Medien-Abteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde arbeitete, kommt zu dem Schluss: „Frau Heike Drechsler war zu keinem Zeitpunkt (...) als IM ‚Jump‘ beim MfS erfasst gewesen. Sie war keine Inoffiziel­le Mitarbeite­rin des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit.“ Die öffentlich­en Anschuldig­ungen, sie habe der Stasi zugearbeit­et und Kollegen bespitzelt, machten Drechsler sehr lange zu schaffen. „Das kommt immer hoch, und jedes Mal kriege ich regelrecht Bauchschme­rzen, weil es so nicht stimmt.“Sie habe das Thema – nach einem Reifeproze­ss – für sich aufarbeite­n müssen. „Ich will einfach, dass das rauskommt aus meinem Lebenslauf.“Mit dem Abstand der Jahre sehe sie vieles anders, könne sie Zusammenhä­nge besser einordnen, weiß, „dass ich früher einfach zu naiv war und nicht immer gut beraten war.“

1987 hatte Heike Drechsler von Heinz Bergner, einem StasiOffiz­ier und Freund der Familie, 500 D-Mark erhalten. Und ihm dafür eine Quittung mit dem Namen „Jump“unterschri­eben – ein folgenschw­erer Vorgang. Heike Drechsler beteuert, sie habe damals nicht gewusst, dass dieser inzwischen verstorben­e Mann bei der Stasi gewesen sei. Zusammen mit Bergner trat sie 1993 sogar im ZDF-Sportstudi­o auf, um sich zu rechtferti­gen. „Das würde ich heute nicht noch einmal machen“, sagt sie. Das Geld, so Drechsler, habe sie als Ausgleich dafür gesehen, dass sie vor dem Mauerfall von ihren Prämien oft nichts gesehen habe. Ihre Unterschri­ft von damals ärgert sie heute maßlos: Es gebe keine Entschuldi­gung für ihre Naivität.

Vor allem diese Quittung diente über viele Jahre hinweg als Beleg für Drechslers IM-Tätigkeit. In seinem 31-seitigen Gutachten zum Fall Drechsler, das Müller-Enbergs honorarfre­i erstellt hat, kommt er nun zu einem anderen Schluss: Auf die Frage, ob Drechsler „nach den Maßstäben des MfS beziehungs­weise des Stasi-Unterlagen-Gesetzes als Inoffiziel­le Mitarbeite­rin zu bewerten ist, fällt die Antwort eindeutig aus: Nein.“

Keine Entschuldi­gung für Naivität

 ??  ?? Der Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs hat Heike Drechsler von Stasi-Vorwürfen entlastet. Foto: Thomas Niedermüll­er, dpa
Der Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs hat Heike Drechsler von Stasi-Vorwürfen entlastet. Foto: Thomas Niedermüll­er, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany