Thüringische Landeszeitung (Jena)
Unverhoffter Blickwechsel
Als der peruanische Stürmerstar Cueva Ende der ersten Halbzeit des Spiels gegen Dänemark den Strafstoß meterweit über das Tor gesemmelt hatte, blickte er für einen Moment gen Himmel. Ob aus Verzweiflung oder Angst vor den Fans daheim, war in der kurzen Kamerasequenz nicht auszumachen. Aber sicher ist, dass wir diese Geste in den nächsten Tagen noch öfter sehen werden.
Fußballer blicken, wenn sie den geheiligten und frisch gewässerten Rasen betreten, noch einmal kurz zum Himmel auf. Es ist, als erbäten sie für die nächsten neunzig Minuten den Generalbeistand des „Großen Schiedsrichters“oder erflehten wenigstens eine göttliche Eingebung für den tödlichen Pass in die Tiefe. Manche glauben eher nicht an solche Rituale, sondern schwören darauf, dass verliert, wer sich vorm
Spiel rasiert. Doch tatsächlich soll es ganz realiter Fälle gegeben haben, in denen die „Hand Gottes“entscheidend in das Spielgeschehen eingegriffen hat.
Dieser Blick zum Himmel ist ein uralter Reflex. Er gehört gewissermaßen zur psychedelischen Erstausstattung der Kinderstube der Menschheit. Unsere Ahnen richteten, gleich nachdem sie von den Bäumen gestiegen waren und aufrecht gingen, den Blick zum Himmel. Zu sehen, ob bald Mittag wäre, ein Gewitter aufziehe oder sich sonst am Horizont Unbill zeige. Etwas Unbestimmtes lenkte ihren Blick in die Unendlichkeit des Raumes über ihnen. Furcht und Ehrfurcht mischten sich darin, kindliche Neugier, religiöser Eifer und wissenschaftlicher Ehrgeiz. So wurde der Himmel mal Kinderzimmer, mal Kathedrale, mal Versuchsgelände. Wir malten das Firmament mit Sternbildern aus, ließen es von albernen Cartoonisten mit „Blauen Männlein“bevölkern oder von ScienceFictionSpektakeln mit Bedrohungsszenarien füllen. Wir spiegelten dort unsere Sehnsüchte und Ängste und spielten unsere Visionen und Phobien durch. Und natürlich wollten wir dorthin, immer schon, und wollen es immer noch – und müssen es eines Tages wohl auch. Die Sache wird langsam sogar dringend.
Auf dem Weg sind wir ja schon. Der Astronaut Alexander Gerst jedenfalls hat an der Raumstation „Rasswet“(Morgendämmerung) angedockt – im weitesten Sinne auf dem Weg der Menschheit zum Mars. Da ist es doch durchaus denkbar, der Blick des glücklichen Astronauten aus dem Raumfenster hinab auf Erden hätte unterwegs den des unglücklichen Fußballspielers hinauf zum Himmel getroffen. Elfmeter versemmelt, hätte der eine verlegen gesagt; was sind schon elf Meter, der andere tröstend geantwortet.