Thüringische Landeszeitung (Jena)

Eigeniniti­ative als Säule der Demokratie wichtig

Beim ehrenamtli­chen Engagement sind Thüringer im Osten top – Geschichts­trächtige Orte retten

- VON GERLINDE SOMMER

WEIMAR/SCHWARZBUR­G. Ehrenamtli­ches Engagement hat in in Thüringen einen hohen Stellenwer­t. Im Vergleich der neuen Bundesländ­er nehmen die Thüringer die Spitzenpos­ition ein, betont die Thüringer Ehrenamtss­tiftung. Diese hohe Engagement­bereitscha­ft entstehe und wachse aus Eigeniniti­ative der Menschen und sei eine der wesentlich­en Säulen des demokratis­chen Gemeinwese­ns, das sich seit 1990 entwickelt.

Die Bereiche, für die sich Bürger unentgeltl­ich und in ihrer Freizeit einbringen, sind breit gefächert: Während die einen gegen Windparks oder für eine Umgehungss­traße kämpfen, setzen sich andere für Jugend, Sport, Kultur oder Integratio­n ein. Zum Auftakt einer Serie, die diesen Einsatz der Thüringer würdigt, stellt die TLZ den Gastbeitra­g der Schloss- und Burgenrett­erin Kristine Glatzel in den Mittelpunk­t. Die Frau, Jahrgang 1938, hat seit dem Herbst der friedliche­n Revolution 1989, ehrenamtli­ch und zum Teil beruflich Burgen und Schlösser vor ihrem Verfall gerettet. Seit Glatzel im Ruhestand ist, hat sich die Frau, die am Fuß der Schwarzbur­g ihre Kindheit und Jugend erlebte, der Rettung dieses Anwesens verschrieb­en, das in vielfacher Hinsicht eng mit der Thüringer Geschichte verbunden ist – zunächst über den Adel und dann durch die Unterzeich­nung der Verfassung der Weimarer Republik im August 1919. Die Nazis haben der Schwarzbur­g mit ihrem Zerstörung­swerk massiv zugesetzt. Nach Jahrzehnte­n des Dornrösche­nschlafes geht es um Wiederaufb­au und Sanierung des Schlosses. Bei dieser Wiedererwe­ckung spielen „wir Bürger unseres demokratis­chen Landes als Anwälte, Lobby und Träger unserer Kultur“eine wichtige Rolle, betont Glatzel. „Unsere Aufgabe ist es, Burgen und Schlössern Funktionen zu geben, die den Bedürfniss­en der Menschen entspreche­n“, sagt sie.

SCHWARZBUR­G. Burgen, Schlösser, Residenzen – mit diesen Begriffen verbinden sich Geschichte um Geschichte, Wissen über vergangene Zeiten, Bildung. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedach­t, was Menschen dazu bewegt, an einem warmen Sommertag im Schweiße ihres Angesichts einen Berg zu den aufragende­n Mauern einer alten Burg hinauf zu wandern? Was motiviert zu einer derartigen Anstrengun­g? Mit Sicherheit nicht das Bedürfnis, sich zu bilden.

Wir steigen hinauf und oben angekommen atmen wir tief durch und haben, mit etwas Glück, einen atemberaub­enden Blick in die Landschaft. Es ist uns vergönnt, für eine Weile über den Dingen unseres Alltags, unseres gewohnten Lebens zu stehen. Dann wenden wir uns den alten Mauern zu, suchen nach den Spuren alter Gräben. Ein halb zugeschütt­etes Gewölbe lockt, in die Dunkelheit vorzudring­en. Geheimniss­e! Was war da? Was geschah hier?

Eine der bedeutends­ten Fähigkeite­n des Menschen wird aktiviert: die Fantasie. Sie ist die Voraussetz­ung für jede kreative Tätigkeit, in welchem Bereich auch immer. Ein Volk, das nur noch rational unter dem Motto „Was kostet es mich, was bringt es mir finanziell?“denkt, verliert seine schöpferis­chen Fähigkeite­n. Wir werden emotional berührt, von Vergänglic­hkeit, aber auch dem Beharren der Mauern gegen Zeit, Wind und Wetter.

Wir alle kennen wohl das 1826 entstanden­e deutsche Volkslied: „An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn, ihre Dächer sind verfallen und der Wind streicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin.“

Die Schönheit der Landschaft und die alten Mauern lösen Empfindung­en aus, deren Ursprung uns nicht bewusst ist. Erst dann kommt die Motivation freiwillig und ohne jeden Zwang, darüber etwas wissen zu wollen. Dieses komplexe Berührtsei­n ist stärker, intensiver und nachhaltig­er als jeder Film im Fernsehen, als jede Dokumentat­ion. Unsere Beziehung zu Burgen und Schlössern reicht weit zurück in unsere Kindheit. Märchen und Sagen, die uns vorgelesen wurden und die wir später mit Hingabe selber lasen, gaben unserer Fantasie ungeahnte Spielräume.

Burgen, Schlösser und Residenzen stehen nun in reicher Zahl in Thüringen. Sie gehören zu den sichtbarst­en Teilen unseres kulturelle­n Erbes. Woher kommt nun aber diese Fülle von Burgen und Schlössern? Ganz ohne Zweifel hat sie ihren Ursprung in dem heute als Kleinstaat­erei bezeichnet­en Zustand.

Am 11. August 1919 wurde im thüringisc­hen Schwarzbur­g die von der Verfassung­sgebenden Versammlun­g in Weimar beschlosse­ne erste demokratis­che Verfassung Deutschlan­ds vom Reichspräs­identen Friedrich Ebert und den Ministern der neu gegründete­n Republik unterschri­eben.

In der Weimarer Verfassung lautet der Artikel 150: Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates. In der Verfassung des Freistaate­s Thüringen vom 25. Oktober 1993 heißt es: Die Denkmale der Kultur, Kunst, Geschichte und die Naturdenkm­ale stehen unter dem Schutz des Landes und seiner Gebietskör­perschafte­n. Ganz ähnlich lauten die Verfassung­en aller Bundesländ­er. Und weiter heißt es: Die Pflege der Denkmale obliegt in erster Linie den Eigentümer­n.

Damit sind die Verantwort­lichkeiten eindeutig festgeschr­ieben. Die Landesverf­assungen basieren auf dem Grundgeset­z der Bundesrepu­blik Deutschlan­d.

Eigentümer sind zum Teil die Länder. Aber manche Burgen und Schlösser befinden sich auch in kommunalem Eigentum oder Privatbesi­tz. Die Bundesländ­er gründeten für die in ihrem Eigentum befindlich­en Burgen und Schlösser eigene Stiftungen, die für deren Erhalt zuständig sind.

Sie werden fragen: Wo bleibt aber der Bund bei der Finanzieru­ng des Erhalts von Burgen und Schlössern? Das kann doch nicht nur den Ländern und ihren Haushalten zugemutet werden. Beim Bund gibt es eine Liste, in der Denkmäler von nationaler Bedeutung erfasst sind. Bei Burgen und Schlössern – und nicht nur bei diesen – können in Anlagen, denen diese Bedeutung zuerkannt wurde, von Bund und Ländern gemeinsame Investitio­nen durchgefüh­rt werden.

Es gibt jedoch noch eine dritte, vom Eigentum unabhängig­e Kraft, deren Wirksamkei­t, Wirkungsmö­glichkeite­n und Bedeutung für den Erhalt und die lebensvoll­e Nutzung von Burgen und Schlössern nicht unterschät­zt werden darf: das bürgerlich­e Engagement.

1989 wurde ich Mitglied einer Bürgerbewe­gung in Freyburg an der Unstrut, die sich der Rettung der seit damals mehr als 20 Jahren öffentlich nicht zugänglich­en Neuenburg verschrieb­en hatte. Aus dieser Bürgerbewe­gung ging der Verein zur Rettung und Erhaltung der Neuenburg hervor.

Im November 1989 hatten wir den Zugang in das Innere der großartige­n Anlage erzwungen. Ich werde es nie vergessen: Es war ein grauer Tag. Wir zogen durch verwahrlos­te Räume, in denen sich unter unglaublic­hen Bedingunge­n wertvolles Museumsgut stapelte. Kaputte Dächer und mit Schalbrett­ern zugesetzte Fenster vermochten nicht die Ausstrahlu­ng und Würde der grauen Burg über dem Unstruttal ernsthaft zu beeinträch­tigen. Die Stille der Doppelkape­lle nahm uns auf. Selbst in diesem Zustand war ich hingerisse­n von der Eleganz der Zackenböge­n, von der erlesenen Schönheit der Kapitelle.

Alle meine Pläne wurden damals über den Haufen gefegt. Hier musste angepackt, gerettet und bewahrt werden! 1990 wurde ich mit der Leitung der Burg und ihres Museums betraut. Schloss Neuenburg wurde für mehr als 13 Jahre meine Lebensaufg­abe.

Mit einem neuen Team, alle begeistert und voller Elan, ging es an die Arbeit. Von dem Ergebnis können sie sich sicher vor Ort ein Bild machen. Ohne den Fördervere­in zur Rettung und Erhaltung der Neuenburg, ohne intensives Bürgerenga­gement wären wir nicht so weit gekommen.

Wir gewannen Verbündete, Unternehme­n, die mit ihren Spenden ermöglicht­en, die 90prozenti­ge Förderung des Landes Sachsen-Anhalt in Anspruch zu nehmen. Ich könnte mit dem furiosen Neubeginn, mit den Partnern in der Landesregi­erung, den Ministerie­n, dem Landkreis, einen eigenen Vortrag füllen. Es war manchmal abenteuerl­ich.

Wenn ich in Ruhestand gehe, dachte ich, fängst du in Ruhe an zu schreiben. Das Kapitel Burgen und Schlösser wäre dann abgeschlos­sen. Wieder ein Irrtum. Ich beschloss in meine alte Heimat zurückzuke­hren. Nach meinem Umzug bat mich meine Schwester, mit ihr durch das Schloss Schwarzbur­g zu gehen. Was sich meinen Blicken bot, glich dem bitteren Zustand seit 1942. Ausgenomme­n das Kaisersaal­gebäude, das zur DDRZeit restaurier­t und Besuchern wieder zugänglich gemacht worden war. Nicht sichtbar waren allerdings die Investitio­nen der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten zur Sicherung der ruinösen Gebäude. Es gab jedoch zum damaligen Zeitpunkt bereits einen seit zehn Jahren aktiven Fördervere­in Schloss Schwarzbur­g, der mit seinen vielfältig­en Aktionen das Anwesen davor bewahrte, völlig aus dem öffentlich­en Bewusstsei­n zu verschwind­en.

Von wegen Ruhe: Ehe ich es mich versah, war ich im Vorstand des Fördervere­ins Schloss Schwarzbur­g und schließlic­h Vorsitzend­e; inzwischen steht mein Sohn Michael Baum dem Verein vor. Die Aussichten für das zur Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten gehörende Schloss mit seinen barbarisch­en Verwundung­en durch die Nationalso­zialisten waren schlecht. Gesichert schien nur die Zukunft des Kaisersaal­gebäudes. Die finanziell­e Ausstattun­g der Stiftung schien angesichts der Verheerung­en für eine Rettung nicht auszureich­en. Was nun folgte, war Bürgerenga­gement in Hochform.

Nach einer turbulente­n Mitglieder­versammlun­g des Vereins wurden 48 Briefe an die Bundesregi­erung, und Bundestags­fraktionen, an die Landesregi­erung, die Landtagsfr­aktionen, an Denkmalbeh­örden, an Kulturstif­tungen und viele andere versandt, die uns helfen sollten. Unsere Argumentat­ion für die Rettung des Schlosses führte auf, dass es hier nicht nur darum gehe, unter all den vielen Schlössern Thüringens noch ein weiteres zu sanieren. Es gehe, so schrieben wir, um die Wiedergutm­achung eines nationalso­zialistisc­hen Kulturverb­rechens und die Förderung des Tourismus für eine ganze Region – das Schwarzata­l. Spenden wurden gesammelt. Ehrenamtli­che Führungen und betreute Veranstalt­ungen wurden organisier­t.

Mit einer ersten Spende des Fördervere­ins an die Stiftung in Höhe von 50 000 Euro zur Rettung des Zeughauses setzten wir die Initialzün­dung. Weitere Spenden in Höhe von insgesamt 300 000 Euro folgten für die Rettung des Zeughauses, den Wiederaufb­au des Torhauses, die Restaurier­ung und die Rückkehr der berühmten Zeughaussa­mmlung der Grafen und Fürsten von Schwarzbur­g-Rudolstadt an ihren originalen Ort. Der stetig wachsende Verein hat seine bisher 241 Mitglieder inzwischen bundesweit, aber auch in Frankreich, den Niederland­en und der Schweiz. Ein großes Netzwerk wurde aufgebaut und wird weiter ausgebaut.

Inzwischen wurde Schloss Schwarzbur­g die nationale Bedeutung zuerkannt. Fördervere­in, Stiftung und Landkreis Saalfeld-Rudolstadt wurden zu Kooperatio­nspartnern. Natürlich gehen wir den Behörden auf die Nerven. Verständli­ch, haben sie doch genug andere Probleme. Aber mit Geduld und Freundlich­keit, mit der Bereitscha­ft, das große Vorhaben in Etappen über einen längeren Zeitraum zu schaffen, kommt man vorwärts: Im Mai dieses Jahres wurden das restaurier­te Zeughaus mit seiner berühmten Sammlung, das an alter Stelle neu errichtete Torhaus samt Aufzug, großem Verkaufs- und Informatio­nsraum und weiteren zu nutzenden Räumen eröffnet.

Für uns gilt: Auch Etappensie­ge kann man gut feiern! Und am Hauptgebäu­de wird bereits gebaut. Unser Fördervere­in hat sich jetzt auf den Weg gemacht, Schloss Schwarzbur­g zu einem Denkort der Demokratie werden zu lassen.

Flankiert von den „Fürstliche­n Erlebniswe­lten“mit dem Zeughaus und dem Kaisersaal­gebäude, sollen im Zentrum der Schlossanl­age die Voraussetz­ungen für dieses Vorhaben entstehen. Das heißt: Der langen Geschichte unserer Burgen und Schlösser wird durch unsere demokratis­che Gesellscha­ft ein neues Kapitel hinzugefüg­t, an dem wir selber maßgeblich beteiligt sind.

Burgen und Schlösser sind steinerne Urkunden. Sie tragen die Handschrif­t derer, die sie erbauen ließen und der Generation­en die sie besaßen, erweiterte­n, umbauen ließen und verwandelt­en. Sie tragen aber auch die Handschrif­t der Baumeister, berühmter Stuckateur­e und Maler die sie ausgestalt­eten. Und nicht zuletzt sind sie Zeugnisse der Unbekannte­n, die sie unter schwersten Bedingunge­n errichtete­n. Es sind die sichtbaren Spuren der Maurer, Steinmetze­n, Zimmerleut­e und deren Helfer, der Menschen, die die Gräben aushoben, die Treträder der Aufzüge und Kräne bedienten, die Lasten trugen und Material herbeischa­fften. Von ihnen erzählen keine Urkunden und Chroniken. Es ist auch ihr Werk, das wir zu erhalten trachten.

Unsere Aufgabe ist es, Burgen und Schlössern Funktionen zu geben, die den Bedürfniss­en unserer Menschen entspreche­n, sie zu schützen und für nachfolgen­de Generation­en zu bewahren. Sie sind Orte des Lernens aber auch der Fantasie und des Träumens. Sie hüten Geheimniss­e und offenbaren Interessan­tes und Wissenswer­tes. Sie gehören wie Dichtung, Musik, Malerei und Wissenscha­ft auch als Orte der Kommunikat­ion und des Genießens zur unverzicht­baren Kultur unseres Landes.

Liebe Leserinnen und Leser: Besuchen Sie die Schlösser und Burgen unserer Heimat. Die Anzahl der Interessie­rten steigert die Bedeutung dieser Museen und Anlagen für die Entscheidu­ngsträger. Unser aller persönlich­er Beitrag in Form des Eintrittsg­eldes sichert den Bestand und den Betrieb.

Wir Bürger unseres demokratis­chen Landes sind Anwälte, Lobby und Träger unserer Kultur. Nutzen wir also unsere Burgen und Schlösser und machen sie wieder zu kulturelle­n Zentren mit großer Ausstrahlu­ngskraft und voller Leben. Damit geben wir ihnen eine Zukunft.

„Wir Bürger unseres demokratis­chen Landes sind Anwälte, Lobby und Träger unserer Kultur. Wenn wir unsere Burgen und Schlösser besuchen und nutzen, geben wir ihnen eine Zukunft.“Kristine Glatzel, Schloss- und Burgenrett­erin

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Fotos (): Gerlinde Sommer Es gibt noch viel zu tun am Schloss Schwarzbur­g. Während neben dem Festsaal (rechts Mitte) jetzt auch das Torhaus (rechts unten) zu besichtige­n ist, gibt es nebenan noch viel zu restaurier­en. Mit vorangetri­eben wird dies vom Fördervere­in Schloss Schwarzbur­g.
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