Thüringische Landeszeitung (Jena)
Das verschwundene Bildnis
In Jena hat man vor einigen Jahren seine Villa restauriert und zum Kultur- und Ausstellungsquartier umgerüstet. Ihm zu Ehren vergibt die Stadt ein Stipendium für junge Künstler, die sich mit ihrer Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen. Dennoch wird das Wirken des jüdischen Rechtswissenschaftlers und liberalen Politikers Eduard Rosenthal (18531926), dessen Porträt die Nationalsozialisten aus der Jenaer Gelehrten-Galerie entfernten, in Jena und darüber hinaus bis heute unzureichend wahrgenommen und gewürdigt.
Der zweimalige Rektor der Jenaer Universität hat sich nicht nur um wissenschaftliche, kulturelle und soziale Belange seiner Heimatstadt gekümmert, zu seinen Verdiensten gehört auch der Entwurf der Thüringer Landesverfassung. 2020 jährt sich deren Verabschiedung zum 100. Male. Spätestens dann soll mit einem Denkmal an Eduard Rosenthal erinnert werden.
Noch ein Denkmal in unserem kleinen, mit Statuen, Büsten und Gedenktafeln überladenen Land?
Kein gewöhnliches, sagt Verena Krieger, Professorin für Kunstgeschichte an der Jenaer Universität. Ihr schwebt etwas Besonderes vor: ein dezentrales Kunstwerk, dessen Einzelelemente sich an den verschiedenen Wirkungsorten der zu ehrenden Persönlichkeit befinden – in Jena die Villa Rosenthal, das Volkshaus und das Universitätshauptgebäude, in Weimar das ehemalige Fürstenhaus und in Erfurt der Thüringer Landtag.
Preisvergabe im Dienste der Erinnerungskultur
Der von JenaKultur unterbreitete Vorschlag, den alle drei Jahre auszulobenden Botho-GraefKunstpreis der Stadt für dieses Projekt zu nutzen, wird von einem Kuratorium unterstützt, dem engagierte Bürger und Repräsentanten aus der Thüringer Politik, Wissenschaft, Kultur und Geschichtskultur wie Volkhard Knigge, Klaus Dicke, Benjamin Hoff, Thomas Wurzel oder Hellmut Seemann, angehören. Die Schirmherrschaft für das Projekt hat Landtagspräsident Christian Carius (CDU) übernommen.
„Es war eine spannende Debatte“, schwärmt Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, von der ersten Kuratoriumssitzung. „Es geht ja im Kern darum, wie man Erinnerungsarbeit mit zeitgenössischer Kunst verbinden kann. Die klassische Form des Erinnerns ist immer noch: Man stellt ein Denkmal auf. Im Falle von Eduard Rosenthal sind wir aber mit der Tatsache konfrontiert, dass ein Denkmal, sein Porträt in der Jenaer Universitätssammlung, untergegangen ist.“
Rosenthal, argumentiert Seemann, sei seit der Zeit des Nationalsozialismus keine tradierte Persönlichkeit des Jenaer Kulturund Wissenschaftslebens mehr.
Jetzt wolle man das revidieren und komme zu der Erkenntnis: Es genügt nicht, nur wieder ein Denkmal aufzustellen. „Eduard Rosenthals Porträt ist verschwunden. Dieses Verschwinden sollte denn auch der Anknüpfungspunkt für eine Erinnerungsinitiative sein.“
Das sieht auch Verena Krieger so. „Das verschwundene Bildnis war der Ausgangspunkt“, bestätigt sie. Die Universität besitze ja eine ihre über 450-jährige Tradition nachzeichnende Sammlung von Rektoren- und Gelehrtenbildnissen, die deutschlandweit einzigartig sei. Um so stärker steche die Leerstelle hervor.
„Im Kern geht es darum, wie man Erinnerungsarbeit mit zeitgenössischer Kunst verbinden kann.“ Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar und Kuratoriumsmitglied
„Es sind übrigens zwei Porträts, die die Nazis verschwinden ließen“, fügt Krieger hinzu. „Das andere verlorene Bildnis zeigte den berühmten Psychiater Otto Binswanger.“
Für einen internen Wettbewerb wurden neun Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland eingeladen, darunter zwei Künstler-Duos, die allesamt Erfahrung mit Arbeiten im öffentlichen Raum haben: Horst Hoheisel und Andreas Knitz (Kassel/ Berg), Antonia
(Berlin), Michaela Melián (Eurasburg), Marcel Odenbach (Köln), Patricia Pisani (Berlin), Luise Schröder (Leipzig) sowie Stih und Schnock (Berlin). Sie werden am 23. April zu einem Workshop nach Jena kommen, sich mit der Biografie Eduard Rosenthals und der Atmosphäre seiner Wirkungsorte vertraut machen.
Die künstlerischen Entwürfe und Gestaltungsmodelle sollen dann vom 7. Dezember bis zum 15. Januar in einer Ausstellung
präsentiert und in einem Katalog dokumentiert werden.
Die Aufgabe für die Künstler sei sehr anspruchsvoll, da komplex, erklärt die Kunsthistorikerin Krieger.
Schließlich gelte es, nicht nur an die Persönlichkeit Eduard Rosenthals zu erinnern, sondern auch den politischen Kontext zu reflektieren.
Dafür werden sie auch in Weimar das künftige Haus der Demokratie am Theaterplatz und das sogenannte Gauforum gegenüber vom entstehenden neuen Bauhausmuseum in Augenschein nehmen.
2020 ist ein guter Zeitpunkt, um das mit dem Botho-GraefPreis prämierte Werk der Öffentlichkeit zu übergeben. Aber warum reagiert man erst jetzt auf die Leerstelle in der Rektorenporträt-Sammlung der JeLow naer Universität?
„Das hat so lange gedauert, weil diese Person aus der Erinnerungskultur erfolgreich herausgebrochen worden ist“, gibt Klassik-Präsident Seemann zu bedenken.
„Es war eine Attacke auf eine Persönlichkeit gleich zu Beginn des Nationalsozialismus, die zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr lebte. Das heißt, es war eine Post-Mortem-Aktion. Wir sind bei unserer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu Recht in erster Linie auf die Opfer hin ausgerichtet. Die Opfer dürfen nicht vergessen werden. Ein Opfer des Nationalsozialismus ist Rosenthal jedoch nicht. Rosenthal ist ein Opfer der Erinnerungspolitik des Nationalsozialismus.“
Das sei ein Unterschied, erklärt Seemann. „Da wir gerade in eine Epoche eintreten, wo die Opfergeneration des Nationalsozialismus endgültig abtritt, rutschen die Erinnerungspolitik des NS und unsere Erinnerungskultur plötzlich zusammen. Deshalb kommen wir gerade jetzt auf die Figur Rosenthal.“
Ob analog oder digital, das ist Künstlersache
Die DDR habe kein Interesse gehabt, an einen liberalen Rechtsgelehrten und Politiker zu erinnern, der zudem vehement für das Land Thüringen eingetreten war, meint Verena Krieger. Selbst nach der Wende hat man eine Weile gebraucht, das Versäumte nachzuholen.
Inzwischen ist Jena – mit der Kunst-Villa Rosenthal und dem Clara-und-Eduard-RosenthalStipendium – auf einem guten Weg.
Dass über den Botho-GraefKunstpreis nun auch das Land Thüringen aufmerksam geworden ist, sehen die Kuratoriumsmitglieder als Gewinn.
Geplant sind öffentliche Diskussionen mit den Künstlern, Förderern und Bürgern als Teil des Projektes. Verena Krieger: „Wir werden am Ende ein Werk realisiert sehen, das die Geschichte seiner Entstehung mit einbeziehen wird. Ob über virtuelle Aspekte oder was auch immer – das ist Aufgabe der Künstler.“
„Wenn Erinnerung und Stiftung von Erinnerung weiterhin eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft spielen sollen, müssen wir den Mut haben, neue Wege zu gehen“, ist Hellmut Seemann überzeugt. Wie die Erinnerungslücke gefüllt wird, ob auf analoge oder digitale Weise, sei Sache der Künstler. Die mit Fachleuten besetzte Jury wird den besten Vorschlag mit 5000 Euro prämieren.
Und wer finanziert die Realisierung der Siegerarbeit?
Da sieht Seemann kein Problem: „Wenn der Prozess so weitergeht, wie er begonnen hat, dann werden sich institutionelle und private Stifter finden.“