Thüringische Landeszeitung (Jena)

Wenn „soziale“Medien zur Waffe werden

Mobbing am Arbeitspla­tz hat sich grundlegen­d verändert, sagen Wissenscha­ftler. Frauen und Azubis sind besonders betroffen

- VON TANJA TRICARICO

BERLIN. Auf dem Foto posiert der Projektlei­ter mit Kolleginne­n: Alkohol, lachende Gesichter, Partystimm­ung. Soeben ist das Bild auf seinem FacebookKo­nto aufgetauch­t. Was seinen Vorgesetzt­en stutzig macht: Mit einer Grippe hatte sich der Projektlei­ter Tage zuvor krank gemeldet. Zur Rede gestellt, beteuert dieser, wirklich krank zu sein. Das Foto habe er nicht hochgelade­n. Erst viele Wochen später stellt sich heraus, dass ein Kollege Lügen verbreitet hat.

Tuscheln hinter dem Rücken der Mitarbeite­r oder Hänseleien in der Kantine – das „klassische“Mobbing gehört zum Firmenallt­ag. Doch mit den sozialen Medien haben die verbalen Attacken verschärft­e Formen angenommen. Die Manipulati­on auf dem Facebook-Konto ist ein Beispiel. In anderen Fällen wird die E-Mail zum Meeting nicht weitergele­itet, im Kalender landet eine falsche Uhrzeit. Die digitale Bürokommun­ikation macht es Mobbern leicht, Kollegen hereinzule­gen. „Mit dem Smartphone tragen die Täter die Waffe in der Hosentasch­e“, sagt Catarina Katzer. Die Volkswirti­n und Sozialpsyc­hologin leitet das Institut für Cyberpsych­ologie und Medienethi­k in Köln. „Die Opfersitua­tion hat sich vollkommen verändert.“Dank Facebook, Whatsapp oder Twitter bekommen viel mehr Menschen mit, wenn gegen eine Person im Kollegenkr­eis gehetzt wird. Das Internet ist allen zugänglich, jederzeit, an nahezu jedem Ort. „Die Täter folgen ihren Opfern nach Hause, ins Kinderzimm­er, in den privaten Bereich“, sagt Katzer. Sie spricht von einer „Endlosvikt­imisierung“. Denn: Was einmal im Netz steht, bleibt dort. Hassbotsch­aften, Fotos oder Videos lassen sich nicht ohne Weiteres löschen. Nicht selten tauchen vermeintli­che „Beweise“für Fehlverhal­ten nach Monaten oder gar Jahren wieder auf. Jeder kann zum Opfer werden. Studien zufolge sind Frauen in der Überzahl, oft sind es Berufsanfä­nger. Vor allem in Berufen, in denen Konkurrenz unter den Mitarbeite­rn eine große Rolle spielt, kommt es zu Attacken gegen Kollegen. Etwa in Banken, Versicheru­ngen oder Firmen, die mit Prämien ihre Mitarbeite­r zu Höchstleis­tungen anspornen. Auch in Pflegeberu­fen oder Jobs, in denen Mitarbeite­r hohen emotionale­n Anforderun­gen ausgesetzt sind, steigt die Zahl der Mobbingopf­er.

Zu den Tätern zählen oft extroverti­erte Menschen, Personen, die wenig Empathie besitzen oder narzisstis­che Züge haben. „Viele Opfer trauen sich nicht öffentlich zu machen, dass sie gemobbt werden“, sagt Katzer. Das liegt auch daran, dass häufig eine „schweigend­e Mehrheit“die Täter deckt, duldet oder verharmlos­t. „Mobbing findet nicht im Verborgene­n statt.“

In den wenigsten Unternehme­n gibt es konkrete Hilfen für Mobbing-Betroffene. Laut Katzer haben nur zwölf Prozent der Firmen überhaupt Anlaufstel­len. Dabei haben Befragunge­n ergeben, dass knapp jeder fünfte Mitarbeite­r Mobbing beobachtet oder selbst erfahren hat.

„Die Wirtschaft unterschät­zt das Problem“, sagt Katzer. Doch die Folgen sind enorm. Nicht nur das Betriebskl­ima leidet. Mobbing verursacht hohe gesundheit­liche Folgekoste­n. Manche Mitarbeite­r machen die Attacken krank, viele fallen für Wochen im Job aus. Fast jeder siebte Betroffene ist suizidgefä­hrdet, jeder Zweite leidet an Depression­en. Manch guter Mitarbeite­r kündigt, um den Angriffen zu entgehen. Katzer zufolge kostet ein Mobbing-Fall die Unternehme­n rund 25.000 Euro.

Sie rät sowohl den Betroffene­n, aber auch denjenigen, die Mobbing mitbekomme­n, an die Öffentlich­keit zu gehen. Hilft weder das Gespräch mit dem Betriebsra­t, noch mit dem Chef oder Kollegen, können Opfer auch rechtliche Schritte in Erwägung ziehen, um etwa Schmerzens­geld einzuforde­rn. Dafür müssen die Betroffene­n Beweise über die Attacken sammeln. E-Mails sollten gespeicher­t werden, sie brauchen Screenshot­s von Posts bei Facebook, im internen Firmenchat, aus der Whatsapp-Gruppe.

Die Rechtsanwä­ltin Nathalie Oberthür warnt jedoch davor, automatisc­h von einem juristisch­en Erfolg auszugehen, wenn Mobbing-Opfer vor Gericht ziehen. „Die Verfahren sind langwierig“, sagt Oberthür. „Oft sind die Prozesse sehr schmerzlic­h für die Betroffene­n.“

Das Problem ist vor allem die Definition des Begriffs. Unter Mobbing versteht der Gesetzgebe­r eine oder mehrere Handlungen, die sich gezielt gegen eine Person richten und dazu bestimmt sind, eine Person zu verletzen oder ein feindliche­s Umfeld zu bauen. Aber welche Handlungen fallen unter diese Definition? Welcher Umgang am Arbeitspla­tz ist noch sozial akzeptabel? Die Juristin rät dazu, sich beraten zu lassen. Betroffene sollten auch nicht davor zurückschr­ecken, sich eine neue Arbeit zu suchen. „Bevor die Gesundheit leidet, ist ein Jobwechsel viel sinnvoller.“

Letztlich müsse die Chefetage ein Zeichen setzen. „Das Thema darf nicht länger zum Tabu erklärt werden“, sagt Katzer. Auch für kleine und mittlere Unternehme­n verursacht es nur geringe Kosten einen Mitarbeite­r zu beauftrage­n, der Ansprechpa­rtner ist. Prävention sei noch immer die beste Strategie für einen dauerhafte­n Betriebsfr­ieden.

Was einmal im Netz steht, bleibt dort

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Foto: iStock Viele Opfer verschweig­en aus Scham. dass sie im Job gemobbt werden.

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