Thüringische Landeszeitung (Jena)
Opposition: Ultimatum in der Causa Lauinger
CDU und AfD fordern Rücktritt – Kemmerich (FDP): „Unwahrheit ist eine Lüge und nicht haltbar“
ERFURT. CDU und AfD fordern Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) auf, zurückzutreten. Hintergrund ist die mittlerweile zwei Wochen alte „Sohnemann“-Affäre.
Lauinger soll als Minister auf eine Entscheidung des Bildungsministeriums eingewirkt haben, die zuungunsten seines Sohnes getroffen wurde. Lauinger hatte sich Dienstag entschuldigt und gestern in der Landtagssondersitzung erneut Fehler eingeräumt. Er betonte aber, als Vater gehandelt zu haben.
Die Opposition in- und außerhalb des Landesparlaments sieht das gänzlich anders. „Mit der Befassung ihrer Kabinettskollegen haben Sie die Sache zu einer politischen gemacht“, sagt CDU-Fraktionschef Mike Mohring. Lauinger habe „gelogen“, „geschummelt“, „getrickst“. Mohring stellte ein Ultimatum: Lägen bis Montag nicht alle Unterlagen auf dem Tisch, würde die Union einen Untersuchungsausschuss durchsetzen. Die AfD schloss sich der Rücktrittsforderung an, forderte auch Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff und Bildungsministerin Birgit Klaubert (beide Linke) – beide sind ebenfalls involviert – zum Rücktritt auf.
FDP-Landeschef Thomas L. Kemmerich erklärte gegenüber dieser Zeitung: „Eine Unwahrheit ist eine Lüge und nicht haltbar.“Kemmerich erinnerte daran, dass es Lauinger gewesen sei, der in der Causa des ehemaligen Regierungssprechers Peter Zimmermann die damalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) angezeigt habe. Daran müsse sich Lauinger heute messen lassen. Die Abgeordneten der Koalition verteidigten Lauinger gegen die Rücktrittsforderungen. Astrid RotheBeinlich (Grüne) nannte die Rücktrittsforderungen „eine politische Kampagne“.
ERFURT. Der Schlips schimmert grün wie die Farbe jener Partei, der Dieter Lauinger angehört. Der Anzug ist grau wie das Gesicht des Thüringer Ministers für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Er steht hinter dem Pult des Landtages, auf das er sich mit beiden Händen abstützt, so, als müsse es ihn halten. Der linke Fuß wippt nervös.
Lauinger sagt, was er tags zuvor schon sagte, als er für fünf lange Stunden den Abgeordneten zweier Ausschüsse gegenüber saß. Er entschuldigt sich dafür, dass ihm bei seinen Bemühungen, Schaden von seinem Sohn abzuhalten, „Fehler unterlaufen“seien.
Aber, das sagt er auch: „Niemals habe ich mein Amt als Minister dafür genutzt, meiner Familie und meinem Sohn Vorteile verschaffen.“In den Reihen der CDU lachen einige höhnisch.
Es ist die dritte Sondersitzung nach dem Ferienende. Mittwoch für Mittwoch versammelte sich das Parlament, um, je nach Perspektive, über tatsächliche oder angebliche rot-rot-grüne Missstände zu debattieren.
Erst war es die aus Sicht der Opposition unbefriedigende Schulpolitik von Kultusministerin Birgit Klaubert (Linke). Eine Woche darauf durfte Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) zur Abhöraffäre Stellung nehmen. Am gestrigen Tag muss sich nun Lauinger rechtfertigen.
Der Minister hält sich kurz. Schon vor den Ausschüssen hatte Staatskanzleichef Benjamin Hoff (Linke) die 13-seitige Erklärung für die Regierung verlesen und die meisten Fragen beantwortet. Lauinger und Ministerin Klaubert, deren Schaffen in dieser Angelegenheit ebenso unglücklich wirkt, saßen zumeist still daneben. Auch am gestrigen Mittag teilt Lauinger wenig zur Sache mit, die Staatskanzlei hat ihm wieder nur den Reue-Part zugewiesen. Den Rest übernimmt später erneut Politikregisseur Hoff .
Zuvor aber spricht Mike Mohring, der Vorsitzende der CDU und der zugehörigen Landtagsfraktion. Mehr als 20 Monate musste der Chef der Opposition auf diesen Moment warten. Jetzt aber hat Rot-Rot-Grün seine erste echte Affäre allein produziert – und es ist auch noch eine jener Art, für die einst bevorzugt die Union zuständig war.
Die Vorwürfe kommen im Stakkato. Lauinger, ruft Mohring, habe „geschummelt“, „getrickst“und „gelogen“und „vorsätzlich die Öffentlichkeit hinters Licht geführt“.
Mike Mohring redet frei, die Sätze sitzen. Einer lautet: „Ein Justizminister der Bundesrepublik Deutschland, der lügt nicht, der tritt für das Recht ein.“Ein anderer: „Sie, Herr Minister, wollen ein Recht für sich reklamieren, dass Ihnen nach den Gesetzen in diesem Land zu keinem Zeitpunkt zustand.“
Es folgt eine Aufzählung der Fragen, die aus Sicht der CDU nicht ausreichend beantwortet wurden – und ein Ultimatum: Wenn bis Montag nicht alle Akten, Vermerke, E-Mail-Ausdrucke, Telefonlisten und sonstige Papiere zu dem Vorgang vorlägen,
„Ich habe in den vergangenen Wochen gelernt, dass der Mensch und der Minister Lauinger nicht trennbar sind. Aus heutiger Sicht würde ich anders handeln.” Dieter Lauinger
werde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt.
Mohring endet mit dem erwartbaren Finale: Er fordert Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf, Lauinger zu entlassen, falls dieser nicht von sich aus zurücktrete.
Die AfD setzt da gerne noch einen drauf. Sie fordert die Entlassung von einem Drittel des Kabinetts, also von Lauinger, Klaubert und Hoff. Ansonsten aber bemüht sich Partei- und Fraktionschef Björn Höcke, der sonst um keine Polemik verlegen ist, fast schon um Ausgewogenheit.
So äußert er Verständnis für die „Aufregung“und Fehlentscheidungen des Vaters Lauinger – der gleichwohl aber als Minister versagt habe. Und er nennt Klaubert sympathisch – um dann zu sagen, dass sie doch lieber eine Tagesstätte statt eines Ministeriums leiten sollte.
Dann tritt Hoff auf, die Socken leuchten rot über den Turnschuhen. Er präsentiert sich gewohnt vorbereitet, rasselt Uhrzeiten und Paragrafen herunter, um schon allein durch die schiere Anzahl der Fakten zu belegen, dass die Regierung nichts verbergen will. Man hätte, formuliert er fein, am Abend zuvor im Ausschuss auch gerne noch nach 20.17 Uhr die Fragen der Opposition beantwortet. Doch, leider, seien ja keine mehr gestellt worden.
Dennoch redet Hoff auffällig lange zu dem bemerkenswerten Umstand, dass der Persönliche Referent Lauingers am Tag der endgültigen Entscheidung über den Ministersohn im Bildungsministerium auftauchte, um mit Klaubert zu sprechen. Dabei, räumt der Staatskanzleichef ein, sei es auch nochmals um die rechtliche Bewertung gegangen – wobei hier Lauingers Referent aus der Funktion des Mitarbeiter in die Rolle des „Vertrauten“gewechselt habe.So eine Erklärung muss man erst einmal abliefern.
Hoff, so scheint es jedenfalls, fühlt sich dabei auch nicht sonderlich wohl. Aber es hilft ja nichts. Jetzt muss auch diese Regierung, die nicht alles anders, aber vieles besser machen wollte, das tun, was Regierung bei derlei Gelegenheiten tun: kleinreden, runterkochen, aussitzen.
Und so tritt eine ganze Riege Koalitionsabgeordneter an, um Lauinger energisch (Grüne) oder pflichtschuldig (SPD) zu verteidigen. Nur einer sagt während der gesamten Sitzung kein öffentliches Wort zu dem Minister oder der Koalition, die ihre Unschuld verlor.
Es ist der Ministerpräsident.