Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ringelnatz als Schlangenträger Schausteller-Dynastie Malfertheiner reicht bis ins 17. Jahrhundert. Siebte Generation beim Geraer Frühlingsfest
Ohrdruf/Gera.
Die Knirpse auf den Motorrädern oder in der Feuerwehr fahren nicht nur im Kreis. „Es geht auch hoch und runter wie bei einer Berg- und Talbahn“, sagt Andy Malfertheiner. Kinder-8-Schleife heißt das Karussell. Wer von den Dreikäsehochs in seinem Lieblingswagen sitzt, will nicht so schnell wieder raus. Das Geraer Frühlingsfest ist für den Ohrdrufer Schausteller und seine Familie die zweite Station nach dem Saisonbeginn im Erfurt. Erst mit dem Weihnachtsmarkt in der Landeshauptstadt endet eine monatelange Reise durch die Städte und das Leben im Wohnwagen. „Dieser stammt noch von meinem Vater Eberhard. Er kaufte ihn vor 50 Jahren“, sagte Sohn Andy Malfertheiner
„Auf zehn Metern ist alles verstaut, was man so braucht, wenn man unterwegs ist“, ergänzt Sylvia Malfertheiner. „Geschirr, Bettwäsche, Kleidung.“An Bord befinden sich eine Waschmaschine und Badewanne. Eingerahmte Bilder von den zwei Töchtern stehen in der Anbauwand.
Einst Karussell mit Kurbel angetrieben
Die Malfertheiners lieben es, unterwegs zu sein, genießen die „Freiheit“. In ihnen steckt das Schausteller-Gen. Mit Gia wächst die siebte Generation heran. „Unter Zwang musste ich Kinderpflegerin lernen. Mama meinte, man weiß nie was kommt“, verschmitzt schaut sie ihre Mutter an. Im vergangenen Jahr machte die 21-Jährige ihren LkwFührerschein.
Sie bestand Theorie und Praxis auf Anhieb. „Schrauben und Fehler finden kann ich“, sagt sie selbstbewusst. „Ich wusste sofort, dass das Ruckeln des Karussells durch die fehlende Stromphase verursacht wird. Papa wollte es nicht glauben.“Irgendwann wird vielleicht diese Episode in der Chronik der Malfertheiners stehen. Der Cousin schreibt sie gerade.
Bis ins 17. Jahrhundert reicht ihre Geschichte. Sie beginnt in Italien in Südtirol. Michael Malfertheiner, er begründete die Schausteller-Dynastie, erfreute damals mit einem kleinen Karussell die Menschen – angetrieben per Kurbel. Sein Sohn baute 1830 ein Kinderkarussell und 1835 ein Riesenrad. Das waren zwei von zahlreichen Attraktionen.
Eine Menagerie, die historische Form der Tierhaltung und Vorläufer des zoologischen Gartens, betrieb Andy Malfertheiners Urgroßtante
Tochter Gia, Andy und Sylvia Malfertheiner (von links) mit ihrer Kinder-8-Schleife. Die Familie ist gerade in Gera anzutreffen. Urgroßtante Mina mit ihren Löwen.
Mina. Sie zeigte sich beim LöwenRingkampf, der Urgroßonkel Ernst mit Zebras und den kleinsten Pferdchen der Welt. Als dieser mit seiner Show in Südamerika unterwegs war, wurde er entführt. Die Familie konnte ihn auslösen.
Eine Alligatorenschau präsentierte der Urgroßvater Friedrich. In der Schlangenbude der Familie auf dem Hamburger Dom verdingte sich im Dezember 1901 Joachim Ringelnatz, der später bekannte Schriftsteller und Maler. Er landete nach seiner verunglückten Reise als Schiffsjunge völlig abgebrannt in der Hafenstadt und brauchte Geld. Ringelnatz half Riesenschlangen zu tragen. Das ist verbrieft.
Sogar Bertolt Brecht soll in der Menagerie zugepackt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennten sich die Wege der Schausteller. Der eine blieb im Westen, der andere im Osten. „Opa Ernst fing 1946 in Ohrdruf an. Er baute den Spiegelgarten Honolulu. Bald kaufte er die Berg- und Talbahn Fahrt ins Blaue, die betrieb er bis zur Rente ‘85“, erzählt Enkel Andy Malfertheiner. „Um die 70er-Jahre erwarb er den Berliner Ring mit den motorisierten Fahrzeugen. Vielleicht können sich
Geraer daran erinnern. Diese Benzin-Autos stehen heute im Pariser Schaustellermuseum. Wegen der Abgase musste nach der Wende dieses Geschäft stillgelegt werden.“
Andy Malfertheiner stieg 1989 mit 16 Jahren bei seinem Vater Eberhard ein. Die Schlosser-Lehre klappte nicht. „Traurig darüber war ich nicht.“Ihm gefiel das ungebundene Leben. „In jedem Städtchen ein Mädchen“. Seine Frau, eine gelernte Restaurantfachfrau, kannte er schon seit dem Kindergarten. Vor 30 Jahren funkte es. Dass Sylvia mitreist, stand außer Frage. Die beiden Töchter gingen in Ohrdruf zur Schule. Die Jüngste will zur Bundeswehr.
Vor zwei Jahren übernahm Andy Malfertheiner den Betrieb seines Vaters mit der Kinder-8-Schleife, 1991 wurde das Karussell angeschafft, und dem Pfeilwerfen. Das Ehepaar und Gia sind eingespielt. Sechs Stunden dauert allein der Aufbau des Fahrgeschäftes. Die Malfertheiners sind froh, dass sie durch die Pandemie gekommen sind, dank staatlicher Unterstützung.
„In diesem Jahr können wir endlich wieder durchstarten. Der Trubel, das Reisen und die glücklichen Kindergesichter haben uns gefehlt“, so das 48-jährige Oberhaupt.