Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Transforma­tionen des Jonas Zipf Jenakultur-Chef und Kulturrat-Präsident wechselt im Sommer zu Kampnagel in Hamburg

- Von Michael Helbing

Jena.

Dass Jonas Zipf bei „Jenakultur“keine Lebensstel­lung anstreben würde, war allen von Anfang an klar. Nach spätestens acht Jahren, so die Perspektiv­e in 2016, werde er weiterzieh­en. Schließlic­h gehört er gleichsam dem fahrenden Volk an.

Jetzt werden es eben sechs Jahre gewesen sein, wenn er sich im Sommer, in dem er Vierzig wird, zum zweiten Mal aus Jena verabschie­det. Zipf wechselt als kaufmännis­cher Direktor an die internatio­nale Kulturfabr­ik Kampnagel: ein etablierte­r Ort der freien Szene und inzwischen aber zugleich eines von vier Staatsthea­tern Hamburgs. Dort bildet er mit Intendanti­n Amelie Deuflhard fortan die Doppelspit­ze.

Dass man ihm den Job anvertraut, spricht Bände. Zipf ist kein Kaufmann oder Betriebswi­rt; der Theaterreg­isseur und Dramaturg reifte jedoch in den vergangene­n Jahren zu einem der profiliert­esten Kulturmana­ger nicht nur Thüringer Lande heran. Seine Berufung zeugt davon, dass die anstehende äußere Modernisie­rung von Kampnagel nach Plänen der preisgekrö­nten Pariser Architekte­n Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal mit einem inneren Umbau einher gehen soll.

Kampnagel-Fabrik wird jetzt für 120 Millionen Euro saniert und erweitert Kampnagel, seit vierzig Jahren ein Produktion­shaus mit aktuell sechs Bühnen für zeitgenöss­ische darstellen­de Künste auf dem Gelände einer ehemaligen Kranfabrik in Hamburg-Winterhude, wird ab 2025 für 120 Millionen Euro von Bund und Hansestadt saniert und erweitert. Unter anderem entstehen zwei Neubauten, für Probebühne­n und Künstlerwo­hnungen. Intendanti­n Deuflhard und Kultursena­tor Carsten Brosda stellten die Pläne am Donnerstag der Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth vor Ort vor. Zipf war bereits dabei.

Er will und wird sich hier derweil auch um das kümmern, was er unter dem Stichwort Transforma­tion bereits in Thüringen unermüdlic­h propagiert: um den Wandel zum digitalen, inklusiven, nachhaltig­en Kulturbetr­ieb. Er beschreibt Kampnagel als Modellthea­ter. „Die machen dort Kunst, die mir stark zusagt.“

Der Regisseur Jonas Zipf leitet „Jenakultur“seit 2016.

Zipf arbeitet bereits zwei Spielzeite­n lang in Hamburg, am Thalia Theater, bevor er 2011 als leitender Dramaturg zur Schönecker-Truppe im Theaterhau­s Jena stieß. Drei Jahre später holte ihn der neue Intendant, Weimars vorheriger Operndirek­tor Karsten Wiegand, als Schauspiel­direktor ans Staatsthea­ter Darmstadt. Obschon Zipf in dieser seiner Heimatstad­t sehr erfolgreic­h begann und das Haus deutlich in die Stadt zu öffnen wusste, trennte sich Wiegand von ihm nach einer Saison wieder. Die Gründe sind bis heute einigermaß­en unklar.

Für Thüringen war das ein Glück. Hier wurde Zipf zum auch bundesweit sichtbarst­en und wirkmächti­gsten Kulturamts­leiter, als Werkleiter eines einzigarti­gen Eigenbetri­ebes. Nur Kollege Tobias J. Knoblich in Erfurt, inzwischen dort zum Dezernente­n aufgestieg­en, erreichte vergleichb­are Bedeutung.

Zweimal zwanzig Prozent mehr für den Jenaer Kulturhaus­halt

Zipf, blitzgesch­eiter Theoretike­r und versierter Praktiker in Personalun­ion, weiß Spielräume zwischen Verwalter und Gestalter zu nutzen. Er ist streitbar auf die ganz verbindlic­he und besonnene Art, intellektu­eller Netzwerker sowieso. Für Jena brachte er nicht nur „zwei deutschlan­dweit beachtete Kulturentw­icklungspl­äne“auf den Weg, wie es jetzt auch in einer Pressemitt­eilung der Stadt würdigend heißt: für die Jahre 2017 bis 2020 sowie 2021 bis 2024. Zipf, der sich nur persönlich in dieser Zeit radikal verschlank­t hat, konnte in der Zuschussve­reinbarung der Stadt mit „Jena-Kultur“zudem für zwei Perioden jeweils rund zwanzig Prozent mehr für die Kultur herausschl­agen. Einst startete er bei einem Zielwert von 15 Millionen Euro, aktuell sind es nun 21,5. Mit rot-rot-grüner Mehrheit im Stadtrat setzte er das zuletzt gegen einen FDP-Oberbürger­meister und einen CDU-Dezernente­n durch, obwohl sich Jena in Haushaltss­icherungsl­age befindet.

Zipf verantwort­et zudem den inneren wie den äußeren Umbau der Ernst-Abbe-Bücherei, für die gerade für 37 Millionen Euro ein neues Gebäude dem Theaterhau­s gegenüber entsteht. Die Jenaer Philharmon­ie wurde eines von sechs deutschen „Exzellenzo­rchestern“; aktuell bewirbt es sich erneut um Geld aus diesem Bundesprog­ramm. Derzeit arbeitet Zipf noch an der Bewerbung von Stadt und Universitä­t für die Ansiedlung des „Zukunftsze­ntrums für Europäisch­e Transforma­tion und Deutsche Einheit“, für das bislang auch schon Frankfurt/Oder und zusammen Leipzig und Plauen Interesse anmeldeten.

Zu den Dingen, die Zipf anstieß und die andere weiterführ­en müssen, gehört ein neues Ausstellun­gshaus für Jenas Kunstsamml­ung. Aus den vielen Kulturproj­ekten, die Zipf unterdesse­n mit seinem Team anstieß und mit Partnern organisier­te, ragte zuletzt das bundesweit­e Theater- und Kunstproje­kt „Kein Schlussstr­ich!“zur Aufarbeitu­ng des NSU-Komplexes heraus.

Seit eineinhalb Jahren steht Jonas Zipf zudem dem Kulturrat Thüringen als Präsident vor, gewählt bis zum Mai 2023. An diesem Freitag tagt dessen Mitglieder­versammlun­g. Sie wird auch zu klären haben, ob und wie sie das Amt vorzeitig besetzt. In einigem Widerspruc­h zu Kulturmini­ster Benjamin Hoff hatte Präsident Zipf zuletzt nach den Pandemieer­fahrungen einen „echten Neustart für die Kultur auch in Thüringen“gefordert. Jetzt startet er aber erst einmal selbst neu durch.

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