Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Transformationen des Jonas Zipf Jenakultur-Chef und Kulturrat-Präsident wechselt im Sommer zu Kampnagel in Hamburg
Jena.
Dass Jonas Zipf bei „Jenakultur“keine Lebensstellung anstreben würde, war allen von Anfang an klar. Nach spätestens acht Jahren, so die Perspektive in 2016, werde er weiterziehen. Schließlich gehört er gleichsam dem fahrenden Volk an.
Jetzt werden es eben sechs Jahre gewesen sein, wenn er sich im Sommer, in dem er Vierzig wird, zum zweiten Mal aus Jena verabschiedet. Zipf wechselt als kaufmännischer Direktor an die internationale Kulturfabrik Kampnagel: ein etablierter Ort der freien Szene und inzwischen aber zugleich eines von vier Staatstheatern Hamburgs. Dort bildet er mit Intendantin Amelie Deuflhard fortan die Doppelspitze.
Dass man ihm den Job anvertraut, spricht Bände. Zipf ist kein Kaufmann oder Betriebswirt; der Theaterregisseur und Dramaturg reifte jedoch in den vergangenen Jahren zu einem der profiliertesten Kulturmanager nicht nur Thüringer Lande heran. Seine Berufung zeugt davon, dass die anstehende äußere Modernisierung von Kampnagel nach Plänen der preisgekrönten Pariser Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal mit einem inneren Umbau einher gehen soll.
Kampnagel-Fabrik wird jetzt für 120 Millionen Euro saniert und erweitert Kampnagel, seit vierzig Jahren ein Produktionshaus mit aktuell sechs Bühnen für zeitgenössische darstellende Künste auf dem Gelände einer ehemaligen Kranfabrik in Hamburg-Winterhude, wird ab 2025 für 120 Millionen Euro von Bund und Hansestadt saniert und erweitert. Unter anderem entstehen zwei Neubauten, für Probebühnen und Künstlerwohnungen. Intendantin Deuflhard und Kultursenator Carsten Brosda stellten die Pläne am Donnerstag der Kulturstaatsministerin Claudia Roth vor Ort vor. Zipf war bereits dabei.
Er will und wird sich hier derweil auch um das kümmern, was er unter dem Stichwort Transformation bereits in Thüringen unermüdlich propagiert: um den Wandel zum digitalen, inklusiven, nachhaltigen Kulturbetrieb. Er beschreibt Kampnagel als Modelltheater. „Die machen dort Kunst, die mir stark zusagt.“
Der Regisseur Jonas Zipf leitet „Jenakultur“seit 2016.
Zipf arbeitet bereits zwei Spielzeiten lang in Hamburg, am Thalia Theater, bevor er 2011 als leitender Dramaturg zur Schönecker-Truppe im Theaterhaus Jena stieß. Drei Jahre später holte ihn der neue Intendant, Weimars vorheriger Operndirektor Karsten Wiegand, als Schauspieldirektor ans Staatstheater Darmstadt. Obschon Zipf in dieser seiner Heimatstadt sehr erfolgreich begann und das Haus deutlich in die Stadt zu öffnen wusste, trennte sich Wiegand von ihm nach einer Saison wieder. Die Gründe sind bis heute einigermaßen unklar.
Für Thüringen war das ein Glück. Hier wurde Zipf zum auch bundesweit sichtbarsten und wirkmächtigsten Kulturamtsleiter, als Werkleiter eines einzigartigen Eigenbetriebes. Nur Kollege Tobias J. Knoblich in Erfurt, inzwischen dort zum Dezernenten aufgestiegen, erreichte vergleichbare Bedeutung.
Zweimal zwanzig Prozent mehr für den Jenaer Kulturhaushalt
Zipf, blitzgescheiter Theoretiker und versierter Praktiker in Personalunion, weiß Spielräume zwischen Verwalter und Gestalter zu nutzen. Er ist streitbar auf die ganz verbindliche und besonnene Art, intellektueller Netzwerker sowieso. Für Jena brachte er nicht nur „zwei deutschlandweit beachtete Kulturentwicklungspläne“auf den Weg, wie es jetzt auch in einer Pressemitteilung der Stadt würdigend heißt: für die Jahre 2017 bis 2020 sowie 2021 bis 2024. Zipf, der sich nur persönlich in dieser Zeit radikal verschlankt hat, konnte in der Zuschussvereinbarung der Stadt mit „Jena-Kultur“zudem für zwei Perioden jeweils rund zwanzig Prozent mehr für die Kultur herausschlagen. Einst startete er bei einem Zielwert von 15 Millionen Euro, aktuell sind es nun 21,5. Mit rot-rot-grüner Mehrheit im Stadtrat setzte er das zuletzt gegen einen FDP-Oberbürgermeister und einen CDU-Dezernenten durch, obwohl sich Jena in Haushaltssicherungslage befindet.
Zipf verantwortet zudem den inneren wie den äußeren Umbau der Ernst-Abbe-Bücherei, für die gerade für 37 Millionen Euro ein neues Gebäude dem Theaterhaus gegenüber entsteht. Die Jenaer Philharmonie wurde eines von sechs deutschen „Exzellenzorchestern“; aktuell bewirbt es sich erneut um Geld aus diesem Bundesprogramm. Derzeit arbeitet Zipf noch an der Bewerbung von Stadt und Universität für die Ansiedlung des „Zukunftszentrums für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“, für das bislang auch schon Frankfurt/Oder und zusammen Leipzig und Plauen Interesse anmeldeten.
Zu den Dingen, die Zipf anstieß und die andere weiterführen müssen, gehört ein neues Ausstellungshaus für Jenas Kunstsammlung. Aus den vielen Kulturprojekten, die Zipf unterdessen mit seinem Team anstieß und mit Partnern organisierte, ragte zuletzt das bundesweite Theater- und Kunstprojekt „Kein Schlussstrich!“zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes heraus.
Seit eineinhalb Jahren steht Jonas Zipf zudem dem Kulturrat Thüringen als Präsident vor, gewählt bis zum Mai 2023. An diesem Freitag tagt dessen Mitgliederversammlung. Sie wird auch zu klären haben, ob und wie sie das Amt vorzeitig besetzt. In einigem Widerspruch zu Kulturminister Benjamin Hoff hatte Präsident Zipf zuletzt nach den Pandemieerfahrungen einen „echten Neustart für die Kultur auch in Thüringen“gefordert. Jetzt startet er aber erst einmal selbst neu durch.