Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Rainer Merkel recherchiert in der Forschungsbibliothek Gotha. Briefe von Auswanderern als wertvolle Quellen
Gotha.
Ein Auswanderer in den USA schreibt an seine Verwandten in Deutschland. Es ist die Zeit um
1900 und der Mann brauche dringend Geld, um in eine Geschäftsidee im aufstrebenden Stadtteil Brooklyn investieren zu können. Vielleicht schafft es seine Geschichte in den neuen Roman von Rainer Merkel. Der Schriftsteller recherchiert derzeit in der Gothaer Forschungsbibliothek. Für die Arbeit an der Sammlung von Auswandererbriefen hatte er sich erfolgreich um ein Stipendium beworben.
Rainer Merkel ist der erste Stipendiat der Forschungsbibliothek. Der 57-Jährige hat bereits mehrere Bücher verfasst. Für seinen Roman „Lichtjahre entfernt“war er 2009 für den deutschen Buchpreis nominiert. Sein neues Buch soll in den
1950er-Jahren in Kalifornien spielen. Für die Figuren sucht sich Merkel Inspirationen in den Erfahrungen der Auswanderer. Außerdem recherchiert es in den Gothaer Quellen zur Geschichte des Protestantismus.
Die Briefsammlung hatte in den
1980er-Jahren ein westdeutscher Professor zusammengetragen. Teilweise über Zeitungsannoncen hat er gezielt nach Hinterlassenschaften von Auswanderern gesucht und ganze Ordner zusammengetragen. Manche Korrespondenzen sind auf der Schreibmaschine abgetippt und verschickt worden. Dem Sammler
Autor Rainer Merkel ist der erste Stipendiat der Kulturstiftung Thüringen an der Forschungsbibliothek im Gothaer Schloss Friedenstein.
ging es nicht um die Originaldokumente sondern um den Inhalt. Die Sammlung gelangte später in den Besitz der Forschungsbibliothek.
„Man kann sich wirklich in den Details verlieren“, sagt Rainer Merkel. Seit kurzer Zeit ist er in Gotha. Vier Wochen lang bleibt er in Thüringen,
um in der Forschungsbibliothek zu recherchieren. „Ich weiß noch nicht genau, was ich suche“, sagt er. Aus den Erkenntnissen der Arbeiten in Gotha könne sich auch ein ganz neues Projekt ergeben, eventuell ein Hörspiel. „Das Stipendium soll Autoren an die Arbeit im
Archiv heranführen“, sagt Ute Edda Hammer, Geschäftsführerin der Kulturstiftung Thüringen, die das Stipendium ausgeschrieben hat. 30 Autorinnen und Autor hatten sich auf die Ausschreibung beworben.
Neben Rainer Merkel dürfen ausnahmsweise drei weitere Bewerber in der Forschungsbibliothek recherchieren. Aufgrund der Qualität der Bewerbungen hatte sich die Kulturstiftung nachträglich dazu entschieden.
Bibliotheken sind für Rainer Merkel der ideale, wenn nicht gar der einzig mögliche Arbeitsort. Er braucht den Bezug zum Druckwerk, die Möglichkeit, das Buch jederzeit aus dem Regal nehmen zu können. „Ich hatte gedacht, der Lockdown beendet meine Schriftstellerkarriere“, erinnert er sich. Als die Bibliotheken geschlossen waren, musste er sich an eine andere Arbeitsweise gewöhnen. „Ich habe mich auf meine heimische Bibliothek besonnen“, schildert er und ist trotzdem froh, wieder mit öffentlichen Bücherbeständen arbeiten zu können. Er bleibe ein „Bibliotheksjunkie“, sagt Rainer Merkel.
„Gotha ist ein kleines Städtchen mit spektakulären Ausblicken“, sagt der gebürtige Kölner und WahlBerliner über seine Heimat für vier Wochen. Vor allem der Weg hinauf zum Schloss sei beeindruckend.
Das Bibliotheksstipendium soll künftig auch international ausgeschrieben werden, berichtet Ute Edda Hammer. Ziel sei es, die Bestände der Forschungsbibliothek Gotha mehr publik zu machen, immerhin sei sie eine der wichtigsten ihrer Art in Deutschland. In den Räumen auf Schloss Friedenstein wird unter anderem die drittgrößte Sammlung orientalischer Handschriften aufbewahrt.