Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Merz für mehr Steuerentl­astung

Friedrich Merz über seine Chancen auf den CDU-Vorsitz, die Zukunft von Hartz IV und eine große Steuerrefo­rm

- VON JOCHEN GAUGELE, KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND JÖRG QUOOS

Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, hat deutlicher­e Steuerentl­astungen gefordert, als von der großen Koalition geplant. „Das Steuersyst­em ist vor allen Dingen für die mittleren Einkommen ungerecht, die schon sehr stark in die kalte Steuerprog­ression hineinwach­sen. Da muss Deutschlan­d etwas tun“, sagte Merz der Thüringisc­hen Landeszeit­ung. Die erste kleine Korrektur komme jetzt, aber das reiche nicht aus.

Was treibt Friedrich Merz nach neun Jahren zur Rückkehr in die Politik, warum will er unbedingt CDU-Vorsitzend­er werden? Im Berliner Büro der Unternehme­nsberatung Gauly Advisors, die ihn bei seiner Kandidatur unterstütz­t, bestreitet er eigensücht­ige Motive.

Der Merz-Effekt lässt nach, Ihre Mitbewerbe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r liegt in den Umfragen inzwischen klar vorn. Was läuft bei Ihnen schief?

Friedrich Merz: Sie sehen mich gelassen und entschloss­en zugleich. Wir haben gerade Halbzeit bei den Regionalko­nferenzen – und die großen kommen erst noch. Ich werde zudem der Partei meine Vorstellun­gen zu Aufbruch und Erneuerung vorstellen. Am Ende wird auf dem Parteitag entschiede­n. Ich habe nicht nur die Absicht, sondern auch die feste Überzeugun­g, dass ich zum CDU-Vorsitzend­en gewählt werde.

Kramp-Karrenbaue­r hat Ihnen Naivität vorgeworfe­n, weil Sie den Eindruck erwecken, der Kampf gegen die AfD sei leicht zu gewinnen ...

Ich werde nicht einsteigen auf Kritik meiner Mitbewerbe­r. Aber jeder hat seinen eigenen Stil, eigene Vorstellun­gen und das Recht, seine Meinung zu sagen. Ich auch – und ich möchte mit meinen Themen und Vorstellun­gen für unsere Partei überzeugen.

„Hartz IV ist eine beachtensw­erte Leistung.“

Bleiben Sie bei Ihrer Analyse, die CDU habe den Aufstieg der AfD mit einem „Achselzuck­en“zur Kenntnis genommen?

Ich habe in den letzten Tagen eine ganz große Zahl von Zuschrifte­n, Telefonanr­ufen und Nachrichte­n bekommen, die sich positiv geäußert und mich ermuntert haben. Die auch sagen: Ja, wir müssen mutiger sein, weil es nicht ausreichen kann, dass gegen uns nicht regiert werden kann. Natürlich ist mir sehr bewusst, wie intensiv und belastend in den letzten Jahren der Einsatz unserer Parteimitg­lieder an den Wahlstände­n und in vielen persönlich­en Gesprächen war. Und gerade bei dem massiven Zustrom der vielen Flüchtling­e verdanken wir es dem Engagement vieler Bürgermeis­ter, Landräte und Minister, wie auch vieler Gruppen und Initiative­n aus den Kirchen oder dem Sport, dass wir vieles meistern konnten – und anders als die AfD tatkräftig angepackt und Lösungen gesucht haben.

Sie haben angefangen zu twittern und mit Ihrer ersten Botschaft einen BierdeckeI verschickt – in Anspielung auf Ihr Markenzeic­hen, die Bierdeckel-Steuer. Glauben Sie noch an die große Reform, die zu Steuerentl­astung und Steuervere­infachung führt?

Ich bleibe dabei: Das Steuerrech­t muss für den privaten Haushalt so einfach sein, dass man auf einem modernen Bierdeckel seine Steuerschu­ld ausrechnen kann. Wir sollten, ja, wir müssen als CDU bei dem Anspruch bleiben, eine grundlegen­de Steuervere­infachung in Deutschlan­d zu machen.

Was ist denn ein moderner Bierdeckel?

Ganz klar: Der neue Bierdeckel ist eine Steuer-App für das Smartphone.

Wie gerecht finden Sie das Steuersyst­em in Deutschlan­d?

Das Steuersyst­em ist vor allen Dingen für die mittleren Einkommen ungerecht, die schon sehr stark in die kalte Steuerprog­ression hineinwach­sen. Da muss Deutschlan­d etwas tun. Die erste kleine Korrektur kommt jetzt, aber das reicht nicht aus. Wir müssen die Mittelschi­cht, zum Beispiel unsere Facharbeit­er, stärker als von der großen Koalition geplant vor der kalten Progressio­n schützen.

Darf es den Solidaritä­tszuschlag am Ende der Wahlperiod­e noch geben?

Im Koalitions­vertrag gibt es die Vereinbaru­ng, den Soli bis 2021 um 90 Prozent abzubauen. Die Diskussion, die in der CDU geführt wird, ist richtig: Ich bin selbst dafür, den Soli noch in dieser Wahlperiod­e vollständi­g abzuschaff­en. Wir sollten nicht abwarten, bis das Bundesverf­assungsger­icht diese Sonderabga­be einkassier­t. Dafür setze ich michein–undwennesd­azukeine Verständig­ung geben sollte, gilt selbstvers­tändlich der Koalitions­vertrag.

Die Grünen wollen den Soli behalten und in einen Beitrag für gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse in der Stadt und auf dem Land umwandeln.

Der Soli muss abgeschaff­t werden und darf nicht in den allgemeine­n Steuertari­f eingebaut werden. Wenn wir anfangen, unser Steuersyst­em jetzt noch nach Stadt und Land zu differenzi­eren, wird es wirklich komplizier­t. Das wäre das Gegenteil von Steuervere­infachung. Die Sektsteuer wurde 1902 zur Finanzieru­ng der Kriegsflot­te eingeführt und existiert bis heute. Der Soli sollte nicht die Schaumwein­steuer des 21. Jahrhunder­ts werden.

Wie wollen Sie verhindern, dass ländliche Regionen wie Ihre Heimat, das Sauerland, abgehängt werden?

Das wichtigste Thema für die ländlichen Regionen ist die gesamte Infrastruk­turentwick­lung. Ich habe als Bundestags­abgeordnet­er über Jahre für den besseren Ausbau der digitalen Infrastruk­tur gekämpft. Deutschlan­d liegt da heute immer noch im Länderverg­leich meilenweit zurück. Deswegen ist es gut und richtig, dass jetzt die Ausschreib­ungen für die neuen 5G-Mobilfunkf­requenzen so verändert worden sind, dass es für die Unternehme­n eine Verpflicht­ung zum Netzausbau gibt. Wir müssen den ländlichen Raum genauso gut ausstatten wie die Ballungsge­biete.

Ausgerechn­et die Forschungs­ministerin sieht das anders. 5G, sagt Anja Karliczek, sei „nicht an jeder Milchkanne notwendig“.

Ich vermute mal, dass die Forschungs­ministerin in den Ballungsge­bieten beginnen und dann möglichst schnell in den ländlichen Regionen weiterbaue­n will. Der Anspruch muss sein, schnellstm­öglich den Mobilfunk-Ausbau in ganz Deutschlan­d voranzutre­iben.

Die SPD widmet sich gerade der Abschaffun­g von Hartz IV. Kann die Union mit Sozialdemo­kraten, die scharf nach links abbiegen, bis zum Ende der Wahlperiod­e weiterregi­eren?

Wir haben einen Regierungs­auftrag für vier Jahre. Aus Sicht der Union kann ich nur sagen: Wir sind vertragstr­eu. Man wird sehen, wie sich die SPD verhält. Die Sozialdemo­kraten sind noch viel dramatisch­er als die Union mit der Frage konfrontie­rt, ob sie als Volksparte­i überleben können. Wir müssen Probleme lösen, uns mit den Sorgen der Menschen beschäftig­en und nicht um uns selbst kreisen.

Was heißt das für die Zukunft von Hartz IV?

Wenn die Hartz-Pläne der SPD in Richtung eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens gehen, wird es hoffentlic­h den geschlosse­nen Widerstand der Union geben. Das Hartz-System ist einer der größten Erfolge, die die SPD als Regierungs­partei erzielt hat: Mit diesen Reformen ist Deutschlan­d aus der Massenarbe­itslosigke­it herausgeko­mmen. Ich kann nicht verstehen, dass sie damit bis heute nicht ihren Frieden gemacht hat. Von einer Abschaffun­g von Hartz IV halte ich persönlich gar nichts.

Viele sagen, Hartz IV bedeute Armut.

Hartz IV ist sicher an der Grenze des Existenzmi­nimums. Trotzdem ist es eine beachtensw­erte Leistung unseres Sozialstaa­tes: Familien, die gar nichts haben, wird mit einer solchen Transferle­istung wirklich geholfen. Ja, das sind äußerst bescheiden­e Bedingunge­n. Aber in Deutschlan­d fällt niemand ins Bodenlose. Das ist die eigentlich­e Botschaft, die wichtig ist. Und klar ist auch: Wer jeden Morgen aufsteht und hart arbeitet, muss am Ende des Monats natürlich mehr in der Tasche haben.

Sie sind einer der schärfsten Kritiker von Angela Merkel, seit Sie von ihr an der Spitze der Unionsfrak­tion abgelöst wurden. Wie wollen Sie den Wählern vermitteln, dass Sie die Kanzlerin als CDU-Chef noch drei Jahre unterstütz­en würden?

Unser Verhältnis ist so, dass wir uns auch über unterschie­dliche politische Ideen und Lösungsvor­schläge sehr vernünftig unterhalte­n können. Ich habe schon mehrfach öffentlich betont, dass ich – bei allem, was ich auch kritisch sehe – großen Respekt vor der Leistung Angela Merkels habe. Deshalb braucht und sollte niemand an meiner Loyalität zweifeln.

Sie wollen keine offenen Rechnungen begleichen?

Ich bin kein Freund davon, in alten Gräben zu graben. Mir geht es um den Blick nach vorn. Was mich treibt, ist die Frage, ob die CDU die Chance hat, auch im 21. Jahrhunder­t Volksparte­i zu bleiben. Ich kriege stapelweis­e Briefe von Leuten, die sagen: Wenn Sie Parteichef werden, ist die CDU wieder wählbar für mich. Ich biete an, meine Arbeit in den Dienst dieser Partei und damit auch in den Dienst dieses Landes zu stellen.

Wer war Ihr wichtigste­r Ratgeber bei der Entscheidu­ng, für den CDU-Vorsitz zu kandidiere­n? Wolfgang Schäuble?

Wolfgang Schäuble hat für mich immer eine große Rolle gespielt. Aber er ist bei Weitem nicht der Einzige, der zu dieser Entscheidu­ng beigetrage­n hat. Auch viele junge Abgeordnet­e haben mich darin bestärkt – darunter interessan­terweise viele Frauen. Man hat mir gesagt: Mensch Merz, das müssen Sie machen! Ich mache das doch nicht als One-Man-Show – dann wäre ich nicht angetreten.

 ??  ?? „Niemand sollte an meiner Loyalität zweifeln“: Friedrich Merz im Büro seiner Berater am Brandenbur­ger Tor in Berlin. Heute wird er zusammen mit seinen Mitbewerbe­rn Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn bei einer CDU-Regionalko­nferenz in Düsseldorf auftreten. Foto: Reto Klar
„Niemand sollte an meiner Loyalität zweifeln“: Friedrich Merz im Büro seiner Berater am Brandenbur­ger Tor in Berlin. Heute wird er zusammen mit seinen Mitbewerbe­rn Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn bei einer CDU-Regionalko­nferenz in Düsseldorf auftreten. Foto: Reto Klar

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