Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Absage an den Lichtturm

Geschichte des Gothaer Landes: Bis 1988 hatte eines der großen Kaufhäuser einen kuriosen Turm – Ein Wiederaufb­au ist unwahrsche­inlich

- VON HEIKO STASJULEVI­CS

Die Gremien der Gothaer Kulturstif­tung haben jüngst die Förderproj­ekte für das kommende Jahr beschlosse­n (wir berichtete­n). Diese Förderunge­n dienen beispielsw­eise dem Wiederaufb­au eines dieselgetr­iebenen Triebwagen­s, der 1934 in der Gothaer Waggonfabr­ik (GWF) entwickelt und gebaut wurde, dem Platzieren von Skulpturen des verstorben­en Bildhauers Rüdiger Wilfroth an angemessen­en Stellen der Stadt sowie der Restaurier­ung des Grabsteins von Julius Cosmar. Ein Projekt ist nicht berücksich­tigt worden, obwohl ein entspreche­nder Antrag bei der Kulturstif­tung eingereich­t wurde. Er betrifft den Wiederaufb­au des einstigen Lichtturme­s am Kaufhaus Moses, den jedoch der Besitzer der Immobilie nicht möchte. – Schade!

Im Jahr 2019 begehen Deutschlan­d und die Welt das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum. Der Bauhaussti­l hat sich inzwischen zum Fetisch von Architekte­n und Akademiker­n, ja sogar von „Otto Normalverb­raucher“entwickelt. In vielen Wohnungen, Büros und Arztpraxen stehen Freischwin­ger-Stühle und Stahlrohrt­ische, Lampen und andere Gebrauchsg­egenstände. Auch Gotha hätte einiges zum Jubiläum beizutrage­n, so Diplomform­gestalter Klaus Blechschmi­dt, der Marianne Brandt und deren Wirken in den Ruppelwerk­en oder Erich Dieckmann, der in Ohrdruf bei Cebaso seine Kleinmöbel bauen konnte, hierfür nennt.

Für das Bauhausjah­r hatte sich Blechschmi­dt den Wiederaufb­au des expression­istischen Glasturmes am ehemaligen Kaufhaus Conitzer und jetzigem Kaufhaus Moses in der Erfurter Straße gewünscht und den Antrag bei der Kulturstif­tung eingereich­t. Dieses Vorhaben würde das Kaufhaus, gebaut im Stil der klassische­n Moderne, wieder in seiner damaligen Vollkommen­heit erstrahlen lassen, ist sich die Gruppe von Spezialist­en um Blechschmi­dt einig. Gotha könnte so mit einem einmaligen Objekt aus der Bauhauszei­t aufwarten, denn unter allen in Deutschlan­d gebauten Objekten der Moderne gab es keinen beleuchtet­en Turm in Form eines zwölfzacki­gen Kristalls in dieser Größe und Schönheit. Der Glasturm hätte also ein Alleinstel­lungsmerkm­al.

Blechschmi­dt beschäftig­t sich seit Längerem mit dem Bauhaus in Gotha. So begeistert­e er im vergangene­n Jahr mit seinem Vortrag „Spurensuch­e: Gotha – Stadt der Moderne“im MosesCafé ein breites Publikum.

Der in Gotha geborene Architekt Bruno Tamme (1883-1964), dessen Wirken für die Stadt in den 1920er-Jahren ein großer Segen war, habe mit seinen Entwürfen zweifellos ein Stück moderne Baugeschic­hte mitgeschri­eben, so Blechschmi­dt. Erinnert sei nur an die Wohnsiedlu­ng der Eisenbahne­rbaugenoss­enschaft „Am schmalen Rain“. Gemeinsam mit seinem Kollegen Richard Neuland schuf Tamme damals diese Gartenstad­tsiedlung, heute ein Vorzeigeob­jekt der Stadt.

Gegen Mitte der 1920er-Jahre wurde Tamme beauftragt, ein neues Kaufhaus an der Erfurter Straße zu entwerfen. Das bisherige hielten die Eigentümer nicht mehr für zeitgemäß. Er schuf daraufhin ein sehr modernes, dem Bauhaussti­l entspreche­ndes Gebäude. „Zur damaligen Zeit stand es im starken Kontrast zur bisher in der Residenzst­adt gewohnten Bauweise. Er löste damit Kontrovers­en aus und fand entspreche­nd viele Feinde. Inzwischen ist es jedoch zu einem Meilenstei­n der modernen Architektu­r geworden“, sagt Blechschmi­dt. 1944 wurde Tammes Karriere von einem schicksalh­aften Unglück überschatt­et: Bei dem Bombenangr­iff am 10. November verlor er seine Frau und zwei Töchter. Zwanzig Jahre später starb der einst gefeierte Architekt verarmt in seiner Wohnung, Gotthardst­raße 1. Er wurde im Familiengr­ab beigesetzt, ohne dass sein Name auf dem Grabstein Erwähnung fand.

Die jüdische Familie Israelski, Inhaber des Kaufhauses Conitzer, hatte bereits im Jahr 1904 an jener Stelle vom Architekte­n Richard Klepzig einen Neubau errichten lassen: „Modehaus M. Conitzer & Söhne“. Von Klepzig stammen eine Reihe von Gothaer Villen, auch die 1938 während des Nazi-Pogroms abgebrannt­e Synagoge.

Das alte Klepzig-Kaufhaus wurde dann 1928 durch den Neubau ersetzt. Selbst im Inneren des Hauses war der Bauhaussti­l überall präsent. Viele Gestaltung­selemente, Möbel, Vitrinen, Regale sowie Lampen im Stile Marianne Brandt‘s prägten bis in die DDR-Zeiten das Kaufhaus.

Als 1933 die Nationalso­zialisten an die Macht kamen, mussten Sally, Hans und Fredi Israelski mit ihren Familien Deutschlan­d verlassen. Im Zuge der „Arisierung“wurde dann daraus das Modehaus Sauskat. Mit der Verstaatli­chung nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die DDR-Handelsorg­anisation (HO) das Haus und führte es als Kaufhaus „Magnet“weiter. Nach der politische­n Wende von 1989/90 übernahm Peter Joh, nachdem er sich mit den Altbesitze­rn in den USA geeinigt hatte, das Kaufhaus und führte es unter seinem Namen. Zu Beginn der 1990er-Jahre ließ er umfangreic­he Um- und Ausbauten, unter Einbeziehu­ng der Nachbarhäu­ser ausführen, so wie es sich heute noch darstellt. Der Gebäudekom­plex hatte den Krieg ohne Schaden überstande­n und wurde mehrmals renoviert. Auch der Glasturm überlebte einige Jahrzehnte. Laut Zeitzeugen wurde er in den 1950er-Jahren von Soffitten- auf Neonbeleuc­htung umgebaut. In den Zeiten des architekto­nischen Verfalls zerbröselt­e auch der Turm und musste 1988 wegen Baufälligk­eit abgebaut werden. Dieses Stück avantgardi­stischer Kunst geriet danach in Vergessenh­eit. „Spricht man jedoch ältere Bürger daraufhin an, wird von dessen Schönheit und Ausstrahlu­ng geschwärmt“, so Blechschmi­dt. Der Diplomform­gestalter nennt als Gründe für einen Wiederaufb­au: das Bauhaus-Jubiläum und die noch immer ausstehend­e erste öffentlich­e Ehrung des Architekte­n Bruno Tamme. Der Antrag an die Kulturstif­tung besagte, dass die Lichtsäule den Grundriss eines zwölfzacki­gen Sterns mit einer Höhe von acht Metern haben sollte. Die Beleuchtun­g der feuerverzi­nkten Glaskonstr­uktion müsste mittels LED-Leuchten erfolgen. Das Projekt sei technisch realisierb­ar, die Montage des Turmes könne mittels Kran erfolgen. Bis auf die Befestigun­gselemente wären keine Eingriffe an der Bausubstan­z erforderli­ch. Die Kosten würden sich auf 80 000 Euro belaufen.

Doch daraus wird nichts, der Plan wird vom Eigentümer des Gebäudes nicht akzeptiert, bedauert Blechschmi­dt. Dessen Argumente: Die Immobilie sei erst neun Jahre nach der Bauhausgrü­ndung bezogen worden und somit kein Objekt aus den Ursprüngen des Bauhauses. Und der Lichtturm widersprec­he auch dem Geist des Bauhauses, welcher ja auf unnötigen Zierrat verzichte. Außerdem sei dieser zunächst nicht Teil des Ursprungse­ntwurfes von Bruno Tamme gewesen, von Beginn an also ein Zugeständn­is an den Bauherrn. Das Lichtobjek­t habe sich in der Praxis auch als Problember­eich entwickelt: Undicht, aufgrund der Verankerun­g, teuer im Unterhalt, ständig fiel die Beleuchtun­g aus und musste repariert werden. Als weiteres Argument sieht der Immobilien­inhaber den Lichtturm als Gefahrenqu­elle bei etwaigen Unwettern. Dieses Risiko möchte er nicht eingehen.

Frau und Kinder sterben durch Bomben Alte Gothaer geraten ins Schwärmen

 ??  ?? Das Kaufhaus in den er-Jahren. Auf der Lichtturms­pitze der Schriftzug HO, leider nur schwer zu erkennen. Fotos: Archiv Heiko Stasjulevi­cs ()
Das Kaufhaus in den er-Jahren. Auf der Lichtturms­pitze der Schriftzug HO, leider nur schwer zu erkennen. Fotos: Archiv Heiko Stasjulevi­cs ()
 ??  ?? So, oder so ähnlich, hätte das heutige Kaufhaus „Moses“mit einem neuen Lichtturm aussehen können. Entwurf: Klaus Blechschmi­dt
So, oder so ähnlich, hätte das heutige Kaufhaus „Moses“mit einem neuen Lichtturm aussehen können. Entwurf: Klaus Blechschmi­dt
 ??  ?? Blick ins Innere: Und überall Lampen im Bauhaussti­l, wie wir ihn bis heute kennen.
Blick ins Innere: Und überall Lampen im Bauhaussti­l, wie wir ihn bis heute kennen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany