Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Mauermedaille und Mutmacher
Gotha und Göbel (2): Einblicke in die aktuelle Ausstellung „PlastikenMedaillenHolzschnitte“von Bernd Göbel im Kunstforum Gotha
Skulpturen brauchen Raum zum Atmen, Bildhauer sind folglich eine Art Raumgestalter. Zur großen Kunst gesellt sich bei einigen von ihnen die kleine Form: das Denkmal für die Hand, die Medaille.
Göbel ist Meister darin, große Themen wie mit einem Brennglas zu verdichten, auf den Punkt und auf die Fläche zu bringen. Und geradezu ein Alleinstellungsmerkmal seiner Reliefminiaturen ist die Zwiesprache der Bildgestaltung der Vorderseite mit literarisch-philosophischen Bezügen auf der Kehrseite. Heute stellen wir zwei von 20 Beispielen in der Ausstellung vor, eine Mauermedaille zu DDR-Zeiten (!) und einen „Mutmacher“im geeinten Deutschland. Drei Jahre vor Öffnung der Mauer entnahm Göbel eine Strophe Heines „Buch der Lieder“für die Rückseite einer Medaille: „Anfangs wollt ich fast verzagen / und ich glaubt, ich trüg es nie; / und ich hab es doch getragen / aber fragt mich nur nicht, wie?“
Auf der abgebildeten Vorderseite ist der Blick durch eine Bretterwand auf eine arkadisch anmutende Landschaft gerichtet. Die Sicht assoziiert den Zusammenhang individueller Konflikte und Sehnsüchte und ihre gesellschaftliche Bedingtheit. Manche Wünsche schienen lösbar, was durch die mittels einer Zange gelösten und einfach zur Seite geschobenen Latten symbolisch angedeutet ist. Sie geben den Blick auf die andere Seite des Zauns frei. Gewidmet hatte Göbel die Medaille seinem Sohn für die letzten 100 Tage im Uniformrock.
Der sich abzeichnenden Ernüchterung nach der errungenen Freiheit im Jahr der deutschen Einheit machte Göbel mit einem 1963 entstandenen Lied des 1976 ausgebürgerten Liedermachers Wolf Biermanns Mut. Während auf der Bildseite ein verzweifelt sich die Haare raufender Jüngling grübelt, wie er wohl von seiner kleinen Insel an das rettende Ufer gelangt, über dem der schwarzrotgoldene Regenbogen unentwegt Wasser schüttet, gibt die Umschrift rückseitig eine Biermannstrophe wieder:
„Wartet nicht auf bessre Zeiten / Wartet nicht mit eurem Mut / Gleich dem Tor, der Tag für Tag / An des Flusses Ufer wartet / Bis die Wasser abgeflossen / Die doch ewig fließen.“
Göbel löste die Strophe aus ihrem historischen Kontext und transformierte sie als Impulsgeber in heutige Verhältnisse. Den Jüngling behindert zwar keine unüberwindbare Mauer mehr; er muss aber kämpfen, auch gegen den Strom schwimmen lernen.