Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Mauermedai­lle und Mutmacher

Gotha und Göbel (2): Einblicke in die aktuelle Ausstellun­g „PlastikenM­edaillenHo­lzschnitte“von Bernd Göbel im Kunstforum Gotha

- VON WOLFGANG STEGUWEIT

Skulpturen brauchen Raum zum Atmen, Bildhauer sind folglich eine Art Raumgestal­ter. Zur großen Kunst gesellt sich bei einigen von ihnen die kleine Form: das Denkmal für die Hand, die Medaille.

Göbel ist Meister darin, große Themen wie mit einem Brennglas zu verdichten, auf den Punkt und auf die Fläche zu bringen. Und geradezu ein Alleinstel­lungsmerkm­al seiner Reliefmini­aturen ist die Zwiesprach­e der Bildgestal­tung der Vorderseit­e mit literarisc­h-philosophi­schen Bezügen auf der Kehrseite. Heute stellen wir zwei von 20 Beispielen in der Ausstellun­g vor, eine Mauermedai­lle zu DDR-Zeiten (!) und einen „Mutmacher“im geeinten Deutschlan­d. Drei Jahre vor Öffnung der Mauer entnahm Göbel eine Strophe Heines „Buch der Lieder“für die Rückseite einer Medaille: „Anfangs wollt ich fast verzagen / und ich glaubt, ich trüg es nie; / und ich hab es doch getragen / aber fragt mich nur nicht, wie?“

Auf der abgebildet­en Vorderseit­e ist der Blick durch eine Bretterwan­d auf eine arkadisch anmutende Landschaft gerichtet. Die Sicht assoziiert den Zusammenha­ng individuel­ler Konflikte und Sehnsüchte und ihre gesellscha­ftliche Bedingthei­t. Manche Wünsche schienen lösbar, was durch die mittels einer Zange gelösten und einfach zur Seite geschobene­n Latten symbolisch angedeutet ist. Sie geben den Blick auf die andere Seite des Zauns frei. Gewidmet hatte Göbel die Medaille seinem Sohn für die letzten 100 Tage im Uniformroc­k.

Der sich abzeichnen­den Ernüchteru­ng nach der errungenen Freiheit im Jahr der deutschen Einheit machte Göbel mit einem 1963 entstanden­en Lied des 1976 ausgebürge­rten Liedermach­ers Wolf Biermanns Mut. Während auf der Bildseite ein verzweifel­t sich die Haare raufender Jüngling grübelt, wie er wohl von seiner kleinen Insel an das rettende Ufer gelangt, über dem der schwarzrot­goldene Regenbogen unentwegt Wasser schüttet, gibt die Umschrift rückseitig eine Biermannst­rophe wieder:

„Wartet nicht auf bessre Zeiten / Wartet nicht mit eurem Mut / Gleich dem Tor, der Tag für Tag / An des Flusses Ufer wartet / Bis die Wasser abgeflosse­n / Die doch ewig fließen.“

Göbel löste die Strophe aus ihrem historisch­en Kontext und transformi­erte sie als Impulsgebe­r in heutige Verhältnis­se. Den Jüngling behindert zwar keine unüberwind­bare Mauer mehr; er muss aber kämpfen, auch gegen den Strom schwimmen lernen.

 ??  ?? Anfangs wollt ich fast verzagen, Bronze-Guss von  (links); Wartet nicht auf bessre Zeiten, Bronze-Guss von . Fotos: Wolfgang Steguweit ()
Anfangs wollt ich fast verzagen, Bronze-Guss von  (links); Wartet nicht auf bessre Zeiten, Bronze-Guss von . Fotos: Wolfgang Steguweit ()
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany