Thüringische Landeszeitung (Gera)
Sie sind die Superhelden von Gera
Wie sich eine Geraer Institution in 20 Jahren etabliert hat und heute nicht mehr wegzudenken ist
Gera. „Im Leben nicht, hätte ich geglaubt, dass ich den 20. Geburtstag im FAZ erlebe“, sagt Katharina Philipp. Seit 2007 ist sie im Familienzentrum (FAZ) tätig, viele Jahre hangelte sie sich von einer Befristung zur nächsten, war sogar mal ganz aus dem Familienzentrum raus. Seit 2015 ist sie federführend für die Wellcome-Engel zuständig. So erging es eigentlich allen bis 2014 – das ständige Bangen um die Verlängerung des Arbeitsvertrages.
Susanne Korn leitet das Familienzentrum seit 2011, Sylvia Wohlrab ist seit 2012 an Bord. Isabell Hynek komplettiert das Frauenteam seit 2016. Das FAZ hat sich etabliert und ist als Ort der Begegnung nicht mehr wegzudenken. „Im Sommer 2004 fiel der Startschuss. Es war der 3. Juli. Mit einem Tag der offenen Tür wurde die Eröffnung gefeiert. Wir waren damals noch gar nicht an Bord. Sandra Meusel und Jana Golm haben die ersten Familien willkommen geheißen. Die Arbeit hier hat sich entwickelt. Als offener Treff mit Familienbildungsangeboten gedacht, entwickelte sich das FAZ immer mehr zu einem Ort, der auf Bedarfe reagiert. Von anfänglich zehn Familien, die sich hier regelmäßig getroffen haben, finden heute jede Woche bis zu 250 Familien zu uns“, freut sich Susanne Korn.
Als offener Treff nahm alles seinen Anfang
Während das FAZ 2004 vorrangig als offener Treff Familien aus Bieblach-Ost aktivieren sollte, punktet es heute mit seiner Angebotsvielfalt: von Babymassage bis Sport 50plus, vom Gitarrenkurs bis zum Bastelquatsch, von Erste Hilfe bis gesunde Ernährung. „Das FAZ ist ein schöner früher Ansatz, die Ressourcen der Eltern zu nutzen, um präventiv tätig zu werden. Es ist ein Ort der Familienbildung, der Gesundheitsfürsorge, es bietet Freizeitaktivitäten und soziale Unterstützung. Alles, was hier geboten wird, zeigt langfristig Wirkung auf die Lebensqualität der Familien, Probleme werden frühzeitig gelindert. Eltern erfahren, wie sie mit ihren Kindern umgehen können. Es werden weniger Hilfen zur Erziehung benötigt – dadurch können Ressourcen gespart werden“, sagt Gerhard König, Geschäftsführer des Schlupfwinkel und Sorgentelefon Gera e.V., in dessen Trägerschaft das Familienzentrum ist.
Seit 2009 gehört Christina Geigenmüller zum festen Nutzerkreis. Damals kam sie gemeinsam mit
ihrem Erstgeborenen, um die Gruppenangebote, sowohl für Kinder als auch für sie zu nutzen. „Ich habe damals mit einem Gitarrenkurs begonnen. Mein zweijähriger Sohn besuchte das Kinderturnen. Es war für mich der erste Anlaufpunkt, als ich wieder nach Gera zurückgekommen war. Zum einen, um Kontakte zu knüpfen, zum anderen, weil ich privat Probleme hatte und den Rat der Sozialpädagogen brauchte – ich konnte mir keinen Anwalt leisten. Seitdem gehe ich regelmäßig mittwochs zum Familienfrühstück, wenn ich es zeitlich einrichten kann.“Christina Geigenmüller schätzt die Möglichkeit, sich mit anderen Familien austauschen zu können, ob beim Frühstück oder in den Kursen. Zudem findet sie es toll, dass es Fundgrube und Kleiderkammer gibt, die sie in Wechselwirkung
rege nutzt. „Ich stöbere gern nach Kleidung, gebe aber auch jene Sachen ab, aus denen meine Jungs herausgewachsen sind.“
Hier wird präventive Arbeit geleistet
Sie hofft, dass ihr das FAZ noch lange erhalten bleibt. „Es ist ein guter Anlaufpunkt, der sehr gut genutzt wird. Die Kurse sind immer ausgebucht, beim Frühstück ist selten noch ein Platz frei. Ich hoffe, dass die Stadt dafür weiterhin Gelder aufbringen kann. Ich finde es immer ärgerlich, wenn solche Einrichtungen dann platt gemacht werden. Ich wünsche dem FAZ, dass immer genug Personal da ist. Hut ab vor den Mädels, dass sie immer Kraft dafür haben. Ich denke, es ist kein einfacher Job.“
Es ist eine Form der Prävention,
es bietet den Besuchern die Chance, sich ein Netzwerk außerhalb der eigenen Familie zu schaffen. Vor allem junge Familien seien willig, mitzuwirken. „Sie sind engagiert und wollen gestalten“, spricht Gerhard König aus Erfahrung. „Das Familienzentrum ist ein Ort, an dem Gesellschaft aufeinander trifft.”
Klar, dass in 20 Jahren vieles verändert, weiterentwickelt und auch wieder abgeschafft wurde. „Der offene Treff hat sich mehr und mehr zu einer festen Kurslandschaft entwickelt, die sich durch die Woche zieht. Geblieben von Anfang an, das Familienfrühstück, die Krabbelgruppen, das Eltern-Kind-Turnen sowie die Fundgrube mit Secondhand-Ware für Kinder“, beschreibt Susanne Korn das Angebot im Haus, welches so in seiner Art ein Alleinstellungsmerkmal in Gera ist. „Es gibt wenig bis gar nichts für Eltern mit Kind. Es braucht mehr Orte der Begegnung für Familien mit kleinen Kindern. Aufgrund der räumlichen Enge stoßen wir regelmäßig an unsere Grenzen. Um komplett die Bedarfe der Familien abdecken zu können, bräuchten wir mehr Platz.“
Angebote für Menschen, die nicht so viel Geld haben
Er war zuerst Nutzer, bevor er selbst zum Kursleiter wurde. Lars Schelhorn spielt seit 16 Jahren Gitarre. Acht Jahre lang lernte er von Musiker Martin Goldhardt, bevor er in dessen Fußstapfen trat und die Kurse im Familienzentrum weiterführte. „Als Martin Goldhardt die Kurse abgeben wollte, standen diese auf der Kippe. Ich hatte mich dann dazu entschieden, dass ich es übernehme. Damals spielte ich schon acht Jahre.“
Jeden Donnerstag wird es musikalisch im FAZ. Von 18 bis 21 Uhr ist Lars Schelhorn zu Gast. Er unterrichtet in zwei Gitarrenkursen Anfänger und Fortgeschrittene und trommelt mit rund zehn Teilnehmern auf Djembén, afrikanischen Trommeln. Vor sechs Jahren hat er mit dem Trommelkurs angefangen. „Ich finde das FAZ ganz toll, weil es Angebote für Menschen schafft, die nicht so viel Geld haben. Mit den Kursen sollen nicht jene abgeholt werden, die sparen wollen, sondern diejenigen, die es sich sonst nicht leisten könnten, ein Instrument zu erlernen. Ich möchte Leute an Musik heranführen und das zu erschwinglichen Preisen. Dies ist vor allem jetzt wichtig, in Zeiten, in denen überall gekürzt wird. Das FAZ ist ein Fels in der Brandung.“
Lars Schelhorn unterrichtet für 2,50 Euro die Stunde. Ein Gitarrenkurs umfasst zehn Stunden. Er spendet sein Honorar an den Träger des Familienzentrums, dem Schlupfwinkel und Sorgentelefon Gera e.V.
Das Familienzentrum ist eine Institution und das seit zwei Jahrzehnten. „Für die Zukunft wünsche ich mir, eine sichere Finanzierung. Kommunal brauche ich niemanden die Bedeutung des FAZ zu erklären, aber auch Bund und Land müssen die Notwendigkeit verstehen. Denn wenn wir präventiv arbeiten, können wir langfristig kurativ sparen. Die Hilfen zur Erziehung sind wesentlich teurer, als die Mittel zur Finanzierung des Familienzentrums.
Um 20 Jahre Familienzentrum gebührend feiern zu können, wird am Freitag, 31. Mai, von 14 bis 17 Uhr, zum Wendehammerfest geladen.