Thüringische Landeszeitung (Gera)
Abschied und Ankommen
Jenaer Syrer erzählen über ihre Kindheit, den Krieg und die Flucht nach Deutschland
Die Syrer stellen die größte ausländische Gruppe in Jena dar. „Aber wir wissen eigentlich nichts über sie“, sagt die Schriftstellerin Kathrin Groß-Striffler. Und so entstand die Idee einer Schreibwerkstatt in der Ernst-Abbe-Bücherei, in der Flüchtlinge Texte über ihr Leben verfassen. Kurztexte, in denen sie von ihrer Kindheit erzählen, vom Krieg, von der Flucht und vom Ankommen in Deutschland.
Die Geschichten liegen nun gedruckt in einem Büchlein vor. Sein Titel: „Hoffnung“.
Am Samstag, 26. September, um 19.30 Uhr stellen die acht syrischen Werkstattteilnehmer – zwei Frauen und sechs Männer im Alter zwischen 16 und 56 Jahren – ihr Bändchen im Jenaer Stadtteilzentrum „Lisa“vor. Mitautor Ahmed wird die Buchpräsentation auf seiner Nay-Flöte begleiten.
Er flüchtete während des Ramadans und fühlte sich auf dem ganzen anstrengenden Weg permanent müde und hungrig.
„Es ging nicht um Fakten, sondern um Gefühle, wie es beispielsweise ist, in Syrien ein Kind zu sein“, beschreibt Autorin Groß-Striffler das Projekt. Mohammad etwa schildert seine Kindheit vor über 45 Jahren. Er berichtet von der kleinen Dorfschule, in der alle Kinder gemeinsam lernten, und vom schlechten Dorflehrer, der ihnen das Lesen nicht gut beibringen konnte. Er erzählt von der Feldarbeit und vom Teich, der einzigen Wasserquelle des kleinen Ortes. „Die Frauen tragen immer noch das Wasser zu ihren Häusern“, endet seine knappe Erinnerung.
Farid hat auch eine Schulgeschichte aufgeschrieben. Der Lehrer flüchtete mit seiner Familie zunächst in den Libanon, wo er eine kleine Schule mit aufbaute. In der syrischen Heimat starben währenddessen ein Neffe und eine Nichte. Die Häuser seiner Brüder wurden von Hisbollah-Milizen angegriffen.
Zwei Jahre blieben Farid und seine Familie im Libanon, bis sie am 24. Juni 2014 nach Deutschland reisen konnten. Die Gefühle waren ambivalent: Einerseits waren sie froh, den Gefahren den Rücken kehren zu können, andererseits fiel der Abschied von Freunden und Familie schwer.
Die 16-jährige Viyan erzählt von der Angst um ihre Oma, die auf eigenen Wunsch im umkämpften Aleppo zurückblieb. Da mehrere Fluchtversuche per Boot scheiterten, bricht der Vater erst einmal allein nach Deutschland auf. Die Familie soll in der Türkei warten.
Viyan und ihre Mutter suchen sich Arbeit. Zwölf Stunden am Tag sitzt die damals Zwölfjährige an der
Nähmaschine. Die Spurensuche in der Vergangenheit fiel nicht jedem leicht: „Ich habe beim Schreiben viel geweint“, erzählt Übersetzer Ibrahim. „Das hatte ich nicht erwartet.“
Die Texte wurden auf Deutsch geschrieben und in Absprache mit den Autoren von Kathrin GroßStriffler noch einmal überarbeitet. Sie sind in einer Auflage von 1000 Exemplaren erschienen und sollen demnächst kostenlos verteilt werden, wie Julia Hauck, Bibliotheksmitarbeiterin für interkulturelle Arbeit, ankündigt. Die Autoren erscheinen im Buch nur mit ihren Vornamen, um möglichen Anfeindungen vorzubeugen.
Gefördert wurde das Projekt von der Kulturstiftung des Bundes.
„Ich habe beim Schreiben viel geweint.“Ibrahim, Übersetzer
Wer die Buchpremiere in Jena besuchen möchte, muss sich wegen der CoronaBeschränkungen zuvor per Mail anmelden: julia.hauck@jena.de. Die Bändchen werden unter anderem kostenlos in der Ernst-Abbe-Bücherei ausliegen.