Thüringische Landeszeitung (Gera)
Vom Wiederaufbau der Muskulatur
Zur Radiogala in der Corona-Krise trafen sich Künstler aller neunzehn Musiktheater Thüringens, Sachsens und Sachsen-Anhalts in Chemnitz
„Einsam in trüben Tagen“, singt Margarethe Fredheim vom Theater Erfurt, „hab’ ich zu Gott gefleht.“Diese Elsa-Arie aus „Lohengrin“mag, wie so manches an diesem mehr als dreistündigen Radioabend, doppeldeutig klingen. Einsam in trüben Tagen, so ging es, alles in allem, in den Theatern in diesen Wochen ja nun durchaus zu.
Jetzt proben sie wieder. Immerhin. Meiningen versucht Carl Sternheims „Kassette“. Eine „Beischlafszene mit drei Metern Abstand“ist da denkbar, meint Intendant Ansgar Haag. Ist ja eine Komödie. Aber was nur wird mit dem „Holländer“? Schließlich: „Wagner ist Wagner“.
In der Not geht aber auch das mit Klavierbegleitung. Siehe Frau Fredheim. Siehe auch Stéphanie Müther, die ein Jahrzehnt lang in Erfurt sang und inzwischen in Chemnitz, als hochdramatischer Sopran, ihr Brünnhilde-Debüt gab. Jetzt singt sie das Finale aus der „Götterdämmerung“, in einer Fassung Samuel Bächlis, Kapellmeister in Erfurt.
Kurz darauf moderiert Deutschlandfunk Kultur dann ab: „Das war eine, nennen wir es, mitteldeutsche Operngala.“Nun, vom Programm her vielleicht, obschon es auch Operette und Musical bot. In der Form war’s ein Liederabend, mit Darbietungen (oder Einspielungen) aller neunzehn Musiktheater Thüringens, Sachsens, Sachsen-Anhalts.
Orchester und Chor sind nicht zugelassen; aber Halberstadt hatte bereits eine„ Bestuhlungs abstands ausmessungs probe “. Sachsen indes darf seit dem 18. Mai wieder spielen, theoretisch. Doch die Bedingungen, sie sind noch nicht so, laut Ingolf Huhn (Annaberg-Buchholz).
Thüringen bereitet den Neustart für den 1. September vor; dafür braucht es „wahrscheinlich Umbaumaßnahmen“, hören wir den Kulturminister Hoff. Und letztlich gilt generell, was Kay Kuntze (Altenburg-Gera) übers Staatsballett sagt: „Das dauert eine ganze Zeit, bis die Muskulatur wieder aufgebaut ist.“
Diese „Revue mit Stammtisch“von Deutschlandradio und MDR dreht sich am Samstag in der Oper Chemnitz um die Krise und ihre Folgen. Wir hören, dass Kapellmeister Dominik Beykirch in Weimar mit Sängern ihre Wunschpartien einstudiert. Wir hören von anderen Fassungen und Besetzungen, Freiluftkonzepten und der „radikal reduzierten Form“, mit denen ein hygienischer Neustart gelingen kann. Wir hören von Sinn- und Existenzkrisen – und auch von Hoffnung.
Erst kurz vor Schluss fragt Bettina Volksdorf (MDR), ob es nicht die Zeit sei, über neue Modelle von Musiktheater nachzudenken, anstatt den Status quo wiederherzustellen. „Es wird nichts mehr so sein, wie es war“, nickt Franziska Severin (Oper Leipzig). Doch derzeit sei man halt „mit Pragmatismen beschäftigt“.