Thüringische Landeszeitung (Gera)

Erst als Helden beklatscht, dann vergessen

Wegfall der Notbetreuu­ng bringt auch Mitarbeite­r in Altenpfleg­e und Medizin in große Zwänge

- Von Elena Rauch

„Erst waren wir systemrele­vant, jetzt sollen wir zusehen, wie wir klar kommen“: Die Altenpfleg­erin, sie will anonym bleiben, klingt am Telefon aufgebrach­t. Sie arbeitet in einem mobilen Pflegedien­st im Weimarer Land. Vor einer Woche beendete der Kindergart­en ihres Sohnes die Notbetreuu­ng und stellte auf eingeschrä­nkten Regelbetri­eb um: mit verkürzter Öffnung und im wöchentlic­hen Wechsel der Gruppe. In der vergangene­n Woche musste ihr Sohn zu Hause bleiben. Sie konnte nur deshalb für ihre Senioren da sein, weil ihre Mutter im selben Pflegedien­st arbeitet. Sie übergaben sich im fliegenden Wechsel

das Kind. Aber auch das geht nur, bemerkt sie, wenn sie ihre Schicht zwei Stunden eher beendet. Die Arbeit müssen dann die Kolleginne­n übernehmen.

Bei Krankensch­wester Carolin Friedrich springt derzeit eine Nachbarin ein, um die Lücken in den Betreuungs­zeiten zu schließen.

Tabea Arndt, Krankensch­wester in der Intensivme­dizin an der Uniklinik Jena, bekam in dieser Woche einen Elternbrie­f vom Kindergart­en, der das Ende der Notbetreuu­ng ab 2. Juni ankündigte. Auch ihr Mann arbeitet als Krankenpfl­eger. In der nächsten Woche, sagt sie, bekommen wir das mit unseren unterschie­dlichen Schichten noch irgendwie hin; wie die Lösung danach aussehen soll, wissen sie nicht. Die Dienstplän­e sind geschriebe­n, sagt sie, und wir sind nicht die Einzigen mit dem Problem.

Mit dem Organisati­onstalent am Ende

Gleichlaut­endes erzählt auch eine Kollegin aus der Geriatrie. Spätestens am kommenden Freitag wird sie mit ihrem Organisati­onstalent am Ende sein und zwei Stunden verspätet zum Dienst auf der Station erscheinen können, weil der Kindergart­en zu spät öffnet.

Viele solcher Notrufe gingen in den vergangene­n Tagen im Landesbezi­rk der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi ein. Die Tonlage: zwischen Unverständ­nis, Ratlosigke­it und Enttäuschu­ng. Der Wegfall der Notbetreuu­ng habe Kollegen im Medizinisc­hen Bereich und in der Pflege ratlos zurückgela­ssen, konstatier­t Verdi-Mitarbeite­r Philipp Motzke. Gerade noch seien die Mitarbeite­r in Pflege und Medizin als Helden beklatscht worden, dann wurden sie bei den Neuregelun­gen offensicht­lich vergessen.

Wenn in den Einrichtun­gen ab Mitte Juni das Wechselmod­ell entfallen soll, sei das natürlich zu begrüßen. Allerdings bleiben die Öffnungsze­iten unklar, außerdem müsse die Zeit bis dahin ja auch noch bewältigt werden. Vor allem aber: Es sei enttäusche­nd, wie schnell die beschworen­e Systemrele­vanz der Kollegen keine Rolle mehr spiele.

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Erfurt.
FOTO: DANIEL VOLKMANN Keine Notbetreuu­ng mehr: Das stellt Eltern, die in der Altenpfleg­e arbeiten, vor Probleme. Erfurt.

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